# taz.de -- Chaotische Flüchtlingspolitik: Von Lügen und anderen Kleinigkeiten | |
> Der Senat hat in Punkto Flüchtlinge keinen Plan: Sinnlose Gesetze werden | |
> angekündigt und teils gleich wieder kassiert, Senatoren operieren mit | |
> Falschmeldungen. | |
Bild: Tag und Nacht warten in der Kälte: Die katstrophalen Zustände am Lageso… | |
In Berlin regiert nicht Rot-Schwarz sondern das Chaos: Die Zustände am | |
Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) sind seit Monaten | |
katastrophal - laut Pro Asyl die schlimmsten in ganz Deutschland. [1][Sogar | |
die New York Times war schon in Moabit]. Fast täglich werden neue | |
Notunterkünfte eröffnet und mit Flüchtlingen voll gestopft. Es mangelt an | |
Sanitäranlagen, Betreuung und Information, Menschen müssen wochenlang | |
warten, um überhaupt registriert zu werden. Sicherheitsleute am Lageso | |
schikanieren und schlagen die Flüchtlinge, in manchen Bezirken | |
demonstrieren „besorgte Bürger“ und Rechtsradikale gegen sie. Und was macht | |
der Senat? | |
## Feldbebauung ist gestrichen | |
Erst konnte es ihm nicht schnell genug gehen: Nach der Ruck-Rede des | |
Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zur Flüchtlingspolitik im | |
Abgeordnetenhaus beschloss Rot-Schwarz vor knapp zwei Wochen eine Änderung | |
des Gesetzes zum Tempelhofer Feld, um an dessen Rändern Notunterkünfte für | |
Flüchtlinge bauen zu können. Schnell kam der Verdacht auf, dass es Müller | |
vor allem darum ging, das ungeliebte Bebauungsverbot zu unterminieren: | |
Sollte es keinen anderen Platz in der Stadt geben für eine Traglufthalle | |
und drei „Reserveflächen“? | |
Wirklich nachgedacht hatte offensichtlich niemand, denn eine | |
Machbarkeitsstudie stellt nun fest: Die anvisierten Orte sind sehr teuer | |
und aufwändig zu erschließen. So ruderte Bausenator Andreas Geisel (SPD) am | |
Freitag zurück: Mobile Unterkünfte werde es nun doch, wie von der | |
Initiative „100 Prozent“ vorgeschlagen, auf befestigten Flächen links und | |
rechts des Flughafengebäudes geben. Beschlossen ist laut Morgenpost auch, | |
dass die bereits gekaufte Traglufthalle keine Unterkunft wird, sondern zur | |
Logistik für die Flüchtlinge in den Hangars dienen soll. | |
## Neues Amt, alte Probleme | |
Als der Senat vorigen Dienstag das „Gesetz zur Einrichtung eines | |
Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten“ beschloss, war die Kritik | |
einhellig: Eine bloße Umbenennung bringe Flüchtlingen und überlasteten | |
Behördenmitarbeitern gar nichts. Langfristig mag ein Amt, das alle für | |
Flüchtlinge relevanten Bereiche vereint, eine gute Idee sein. Aber eine | |
Maßnahme gegen die aktuelle Überforderung bei Registrierung, Unterbringung | |
und Gewährung von Leistungen ist das nicht. Im Gegenteil könne eine | |
übereilte Verwaltungsreform sogar zunächst größeres Chaos verursachen, | |
befürchtet Canan Bayram von den Grünen. | |
Doch Rot-Schwarz drückt auch hier aufs Tempo, vor allem Czaja muss dringend | |
Lösungsansätze präsentieren: Schon am 1. Januar soll das neue Amt | |
„arbeitsfähig“ sein. Wie das gehen soll, weiß zwar niemand, aber „diese | |
Terminvorgabe kann nur durch ein ein beschleunigtes parlamentarischen | |
Verfahren eingehalten werden“, heißt es in der Beschlussvorlage, die der | |
taz vorliegt. Noch im Dezember soll das Gesetz durchs Abgeordnetenhaus | |
gewunken werden. Kostenpunkt: rund 650.000 Euro pro Jahr - für zehn neue | |
Jobs auf Leitungsebene. | |
## Falsche Versprechungen | |
Immer wieder hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) Ankündigungen gemacht, die | |
nicht stimmten. Am Mittwoch erklärte er nun dem RBB, Flüchtlinge könnten | |
künftig ihr Geld statt beim Lageso in den Bezirken abholen und die | |
Heimbetreiber bekämen die Kostenübernahmen vom Amt künftig elektronisch. | |
Für beides bräuchten die Menschen also nicht mehr zum Lageso zu kommen - | |
was angesichts der dortigen Warteschlagen ein echter Fortschritt wäre. Dumm | |
nur, dass Bezirke und Betreiber laut verschiedener Medien umgehend | |
dementierten: Es gebe keine Vereinbarung dieser Art, sagte etwa Mittes | |
Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) dem RBB: „Das ist Quatsch.“ | |
## Angstmache mit Zahlen | |
Eine Strategie hat der Senat vor allem, wenn es darum geht, das Problem | |
großzureden, um das eigene Versagen zu kaschieren. Aktuelles Beispiel: | |
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), der sich zuletzt mit dem Vorschlag | |
profiliert hatte, abgelehnten Asylbewerbern gar keine Leistungen mehr zu | |
zahlen, erklärte am Wochenende dem Tagesspiegel, warum Berlin überfordert | |
ist: 3.000 Flüchtlinge kämen jede Woche nach Berlin, bis kommenden Sommer | |
habe man 90.000 neue Flüchtlinge unterzubringen. | |
Leider „vergaß“ Heilmann zu erwähnen, dass ein Großteil der Ankommenden | |
nach der Registrierung in andere Bundesländer verteilt wird. Rechnet man | |
die Zahlen des Bundesamts für Migration hoch, muss Berlin - bei bundesweit | |
einer Million Flüchtlinge pro Jahr - von Januar diesen Jahres bis nächsten | |
Sommer 75.000 Menschen aufnehmen. Ein Unterbringungsproblem hat Berlin auch | |
deshalb, weil es momentan bis zu zwei Monaten dauert, ehe Flüchtlinge | |
überhaupt registriert werden. Grünen-Politikerin Bayram kommentierte | |
Heilmans Zahlenspiel daher als „durchtränkt von Unwissenheit gepaart mit | |
dem Versuch, Ängste zu schüren“. | |
6 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nytimes.com/2015/11/27/world/europe/germany-berlin-migrants-refu… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Lageso | |
Flüchtlinge | |
Mario Czaja | |
Michael Müller | |
Thomas Heilmann | |
Flüchtlinge | |
BVG | |
Syrische Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Flucht | |
Lageso | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Wohnen auf 2,1 Quadratmetern | |
Stadtpolitische Initiativen fordern die Abkehr von Massenunterkünften – und | |
von den Plänen, das Tempelhofer Feld doch zu bebauen. | |
Berliner Zustände im Dezember 2015: Alles egal! | |
Was das Berlin-Bashing wegen der Lage am Lageso und das neue Werbevideo der | |
Berliner Verkehrsbetriebe miteinander zu tun haben. | |
Massenunterkünfte für Flüchtlinge: Warten auf den Anschluss | |
Mehr als 2000 Flüchtlinge leben in den drei Hangars im Flughafen Tempelhof. | |
Duschen und richtige Toiletten gibt es dort noch immer nicht. | |
Kommentar Berliner Lageso: Körperverletzung und Nötigung | |
Mehrere JuristInnen haben Anzeige gegen die Lageso-Verantwortlichen | |
erstattet. Ein symbolischer Akt, denn es wird vermutlich kein | |
Strafverfahren geben. | |
Juristen zeigen Berliner Sozialsenator an: „Das ist strafrechtlich relevant“ | |
40 AnwältInnen erstatten Anzeige gegen Mario Czaja und Lageso-Behördenchef | |
Franz Allert wegen der Probleme vor der Flüchtlingserstanlaufstelle. Was | |
werfen Sie ihnen vor? | |
Kritik an langsamen Asylverfahren: Die lahme Behörde | |
EU-Parlamentspräsident Schulz wirft Innenminister de Maizière Versagen vor. | |
Flüchtlingskoordinator Altmaier verteidigt das Bamf. Vieles gehe bereits | |
schneller. | |
Das war die Woche in Berlin I: Wer bricht hier die Gesetze? | |
Innensenator Henkel drohte nach mehreren Schlägereien Flüchtlingen mit | |
Knast, sollten sie gegen Gesetze verstoßen. Das Land Berlin ist in dieser | |
Hinsicht aber nicht besser. | |
Flüchtlinge in Berlin: Kein Weg durchs Chaos | |
Weil sie seit Wochen ohne Geld auf ihre Registrierung warten, machen sich | |
200 Flüchtlinge aus einer Turnhalle auf den Weg zum Lageso. Erfolg haben | |
sie nicht. | |
Turnhallen für Flüchtlinge in Berlin: Kein faires Spiel | |
Nachdem der Senat weitere Turnhallen zu Unterkünften umnutzt, wächst bei | |
den Berlinern der Unmut. Dabei sind bisher erst knapp 40 Hallen belegt. | |
Behördenversagen in Berlin: Flüchtlinge bekommen eigenes Amt | |
Ab Januar soll sich statt des Lageso eine eigene Behörde um Flüchtlinge | |
kümmern. Der Streit um die Unterbringung in Turnhallen geht unterdessen | |
weiter. |