Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Zustände im Dezember 2015: Alles egal!
> Was das Berlin-Bashing wegen der Lage am Lageso und das neue Werbevideo
> der Berliner Verkehrsbetriebe miteinander zu tun haben.
Bild: Ihm ist fast alles wurscht!
Berlin ist blamiert. Langsam, aber sicher hat sich das Versagen von Politik
und Verwaltung an der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge herumgesprochen:
erst in der Stadt, dann in Deutschland, schließlich, mit einem Artikel in
der New York Times, quasi weltweit.
Der Höhepunkt war Ende letzter Woche erreicht, nach dem Rücktritt des Chefs
des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), Franz Allert.
Daraufhin machte die Presse die Stadt so richtig runter: Mit nur einem Wort
– „Schande“ – überschrieb die Süddeutsche Zeitung eine einseitige Rep…
über die Zustände vor der Behörde in Moabit; Spiegel Online schreibt von
einer „failed Stadt“ in Anlehnung an den Begriff failed state für einen
nicht mehr funktionierenden Staat.
Derart stand Berlin nicht mehr am Pranger seit der Hochphase des
BER-Skandals. Nun ist es in der Tat noch ein bisschen schlimmer: Der BER
kostet zwar Milliarden Euro, aber vor dem Lageso geht es um Menschen.
Da mutet das [1][neue Werbevideo der Berliner Verkehrsbetriebe] (BVG),
ebenfalls Ende letzter Woche ins Netz gestellt, wie Hohn an. „Is mir egal“,
rappt der als BVG-Mitarbeiter verkleidete Werbetexter Kazim Akboga vor sich
hin und meint die angeblich so große Toleranz des Bus- und Bahnbetreibers.
Er sieht über jedes Verhalten der Fahrgäste lässig hinweg – solange sie
nicht schwarzfahren. Eine Frau, die Zwiebeln schneidet, ein schwules Paar
in Lederoutfit, laute Musikgruppen – ist ihm alles schnuppe. „Mann macht
Umzug, is’ mir egal, Mann auf Pferd, is’ mir egal“, heißt es. Das Video …
ein Hit: Bisher wurde es fast 2 Millionen Mal geklickt.
Nun ist die BVG nicht das Lageso, und in der Realität tut sie sich
eigentlich schon bei Gitarristen in der U-Bahn schwer. Aber das so breit
vom wichtigsten landeseigenen Betrieb postulierte Laissez-faire als
Lebenseinstellung hat einen wahren Kern: In Berlin geht vieles, was
anderswo, erst recht in Süddeutschland, nie erlaubt würde. Weil die Stadt
größer ist, vielschichtiger, toleranter; aber auch, weil ihre Behörden mit
dem Leben vor der Bürotür oft überfordert sind. Und das nicht nur, weil die
Verwaltung zum Schuldenabbau Tausende Stellen abbauen musste.
## Lässigkeit oder Fahrlässigkeit
Genau für diese Lässigkeit wurde Berlin lange gefeiert. Die „coolste
Hauptstadt der Welt“, titelte der Stern noch zum 25. Jubiläum des
Mauerfalls. Die illegalen Clubs und Partys der neunziger und nuller Jahre
sind längst Teil der offiziellen Stadtgeschichte – und -werbung. Dass es
sie gab (und noch gibt), liegt auch daran, dass die Behörden und Politiker
sie oft ignorierten, aus Unkenntnis oder Unwillen. Und: Diese Lässigkeit
haben nicht nur Hipster verinnerlicht, sondern auch viele Berliner, wie die
immer gleichen Reaktionen auf Streiks im Nahverkehr und Wartezeiten auf
Ämtern zeigen: Irgendwie ist das halt so, also ist es – egal.
Ist damit jetzt, allen Botschaften der BVG zum Trotz, Schluss? Ist das
Lageso – wo jeder Zuständige und Nichtzuständige sehen konnte, dass vieles
falsch lief – ein Fanal, dass Berlin nun eine ordentliche Stadt, im
süddeutschen Sinne, werden muss, um ähnliche Katastrophen zu verhindern?
Das wäre eine Lösung. Aber natürlich wird das nicht passieren, schon gar
nicht auf die Schnelle.
Ein paar Gedanken machen dürfen sich Politiker und Bürokraten indes schon:
Wann ist egal okay, vielleicht sogar ein Fortschritt? Und wann ist egal
dessen Gegenteil oder einfach Faulheit oder Inkompetenz? Und wann merkt das
jemand?
13 Dec 2015
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xvcpy4WjZMs
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
BVG
Lageso
Chaos
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Verwaltung
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
Schwerpunkt Rassismus
Flüchtlingscamp Oranienplatz
Flüchtlinge
Lageso
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kazim Akboga über Fußball und Kunst: „Neuer spielt, oder?“
Als singender BVG-Kontrolleur wurde Akboga mit „Is mir egal“ bekannt. Zur
EM spricht er über seinen Song zum Turnier, Deutschlandflaggen und
Orakeltiere.
Berliner Ämter: Das Chaos wird verwaltet
Berlins Behörden sind so schlecht wie ihr Ruf. Das zeigt eine Umfrage der
Europäischen Kommission. Damit ist nun belegt, was schon jeder Betroffene
wusste.
Eröffnung des Pannenflughafens: BER lässt Spekulationen sprießen
Die BER-Eröffnung könnte sich erneut verschieben. Die zuständige Baubehörde
moniert schon wieder Probleme beim Brandschutz.
Fehlende Vielfalt im BVG-Spot: Alles Weiße? Is‘ nich‘ egal
Im Spot der Berliner Verkehrsbetriebe gibt es nur weiße Passagiere. Man
muss sich schon anstrengen, um in Berlin eine solch homogene U-Bahn zu
finden.
Oranienplatz-Flüchtlinge in Berlin: „Sie tragen scheinbar eine Tarnkappe“
Es gibt eine große Solidarität mit Flüchtlingen in der Stadt – doch die
Menschen vom Oranienplatz merken nichts davon. Am Sonntag gibt es ein
Solidaritätsfest für sie.
Allert-Rücktritt: Bauernopfer oder genialer Coup
Der Rücktritt von Lageso-Chef Franz Allert verstärkt den Druck auf
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) - und in der Koalition. Auch das geplante
Landesamt für Flüchtlinge verliert Zustimmung.
Chaotische Flüchtlingspolitik: Von Lügen und anderen Kleinigkeiten
Der Senat hat in Punkto Flüchtlinge keinen Plan: Sinnlose Gesetze werden
angekündigt und teils gleich wieder kassiert, Senatoren operieren mit
Falschmeldungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.