| # taz.de -- Oranienplatz-Flüchtlinge in Berlin: „Sie tragen scheinbar eine T… | |
| > Es gibt eine große Solidarität mit Flüchtlingen in der Stadt – doch die | |
| > Menschen vom Oranienplatz merken nichts davon. Am Sonntag gibt es ein | |
| > Solidaritätsfest für sie. | |
| Bild: Wo sind sie geblieben? Bis zur Räumung des Flüchlingscamps 2014 waren d… | |
| taz: Frau Messikh-Müller, Frau Gärtner, alle reden über Flüchtlinge, aber | |
| eine Gruppe scheint vergessen – die Oranienplatz-Leute. Was ist aus ihnen | |
| geworden? | |
| Taina Gärtner: Das ist ganz unterschiedlich. Ein großer Teil, etwa 130 | |
| Leute, ist nach wie vor bei der Kirche untergeschlüpft. Auch wir von | |
| Lampedusa Berlin versuchen ständig, neue Schlafplätze zu finden. Am besten, | |
| wo die Leute ein paar Monate oder länger bleiben können, nicht nur für drei | |
| Tage. Einer wohnt bei mir. | |
| Monique Messikh-Müller: Es gibt ja im Moment viele Schlafplatz-Suchbörsen | |
| in der Stadt, vor allem fürs Lageso, aber wir machen das speziell für die | |
| Leute vom Oranienplatz. Dann gibt es etwa 50 Leute, die bei | |
| afrikanischen Freunden untergebracht sind. Erwähnen sollte man noch, | |
| dass es inzwischen einige Oranienplatz-Babys gibt, etwa zehn, und die | |
| Männer deswegen Papiere bekommen haben. Einige wenige sind auch | |
| verheiratet. | |
| Was sind das für Leute, die Ihnen Schlafplätze anbieten? | |
| Messikh-Müller: Ganz verschieden. Oft sind es WGs, die ein Zimmer frei | |
| haben. Es gibt aber auch Menschen, die sich extra noch ein Sofa ins | |
| Wohnzimmer reinstellen, um jemanden unterzubringen. | |
| Wie viele Leute bringen Sie auf diese Art unter? | |
| Gärtner: Im Moment haben wir einen Stamm von rund 20 Leuten, die wir | |
| einigermaßen versorgt kriegen. Aber wir stoßen an unsere Grenzen. | |
| Was hat sich bei der rechtlichen Situation getan? | |
| Gärtner: Fast alle Oranienplatz-Leute haben italienische | |
| Aufenthaltspapiere, die sie aber immer wieder verlängern lassen müssen. | |
| Wenn die Papiere in Ordnung sind, können sie hier 90 Tage als Touristen | |
| legal leben. Aber sie müssen andauernd nach Italien. Dann sind sie sieben, | |
| acht, neun Monaten weg, weil das dort so lange dauert – und sie leben auf | |
| der Straße unter schwierigsten Bedingungen. In der Zeit halten wir den | |
| Kontakt, und wenn ein bisschen Kohle übrig ist, schicke ich ihnen etwas. | |
| Viele versuchen aber, schnell wieder nach Berlin zu kommen und hier darauf | |
| zu warten, dass die Behörden dort ihre Papiere fertig machen, weil sie in | |
| Berlin Unterstützung haben, Essen bekommen und so. Aber dann reisen sie | |
| illegal hier ein. Wenn sie erwischt würden, bekämen sie eine | |
| Grenzübertrittsbescheinigung mit der Auflage, in kurzer Frist auszureisen. | |
| Kommt das vor? | |
| Gärtner: Wenn sie einmal hier sind, geht es eigentlich. Es wird hier in | |
| Berlin jetzt nicht die totale Jagd auf Afrikaner gemacht. Aber der | |
| Knackpunkt ist: Wie kommen sie über die Grenze? Es ist schon häufiger | |
| passiert, dass sie in Rosenheim aus dem Zug geholt und wieder | |
| zurückgeschickt wurden nach Italien. Letztens wurde sogar jemand trotz | |
| vorhandener Papiere zurückgeschickt – weil er nicht genug Geld dabeihatte. | |
| Viele dürfen weiterhin nicht hier arbeiten? | |
| Messikh-Müller: Das ist unterschiedlich. Etwa 25, die bei Xenion in | |
| psychologischer Behandlung sind wegen posttraumatischer Störungen, haben | |
| für die Zeit ihrer Behandlung eine Duldung bekommen. Sie können, wenn sie | |
| ein Jobangebot haben, in dieser Zeit auch arbeiten. | |
| Und klappt das? | |
| Gärtner: Auch wer eine Duldung hat, weil er bei Xenion ist, braucht noch | |
| eine Arbeitsgenehmigung der Ausländerbehörde. Das klappt aber schon, wenn | |
| man sagt, man will ein Praktikum machen. Die Leute können so auch in | |
| Projekte reinrutschen, etwa bei Arrivo, das Ausbildungsplätze für | |
| Flüchtlinge vermittelt. Das ist unsere Strategie: ihren Aufenthalt | |
| verfestigen, indem wir sie in Programmen unterbringen, die öffentlich | |
| gefördert werden. Denn das ist für die Behörden der beste Beleg für ihre | |
| Integration, mal abgesehen davon, dass sie dort noch besser Deutsch lernen. | |
| Einige haben über Arrivo einen Ausbildungsplatz bekommen? | |
| Gärtner: Ja, bislang vier Männer – hoffentlich sind es bald mehr. | |
| Die meisten aber haben nach Jahren nichts erreicht. Wie geht es ihnen | |
| damit? | |
| Messikh-Müller: Viele sind depressiv geworden. Am Anfang auf dem | |
| Oranienplatz gab es so viel Hoffnung, und es ist traurig, zu sehen, wie | |
| davon immer mehr verschwunden ist. Einige hat die Situation in Süchte | |
| getrieben, Alkohol und mehr, andere bringt es in Psychosen. Das hat sehr | |
| zugenommen im letzten Jahr, seit sie aus den Unterkünften im Sommer 2014 | |
| rausmussten. Dann gab es noch mal eine kleine Hoffnung, als die | |
| Kirchengemeinden viele aufgenommen haben, aber da ist jetzt nach über einem | |
| Jahr auch die Luft raus. Die Hoffnungslosigkeit wächst also weiter. | |
| Was hält die Leute am Leben, gibt ihnen Hoffnung? | |
| Gärtner: Viele klammern sich an das Deutschlernen. Das gibt ihnen das | |
| Gefühl, dass sie etwas Sinnvolles tun, was ihnen später vielleicht helfen | |
| kann. Im Moment geht eine ganze Gruppe zusammen vormittags zur | |
| Volkshochschule in einen Kurs. Dann hat sich ein ganz tolles Lernnetzwerk | |
| über die Kirchenunterkünfte etabliert. In der Gitschiner Straße 15 gibt es | |
| jeden Tag, außer Freitag, Deutschunterricht, sogar auf zwei Levels. Manche | |
| gehen also vormittags zur Volkshochschule, nachmittags in die Gitschiner. | |
| Sonntags können sie zu unserem Deutschlerntreff kommen. Also das läuft ganz | |
| gut. | |
| Jetzt gibt es ja gerade viel Solidarität mit Flüchtlingen. Merken Sie das | |
| auch? | |
| Gärtner: Nein, die Oranienplatz-Leute scheinen eine Tarnkappe zu tragen, | |
| sie bleiben unsichtbar. Ich erlebe, dass Leute aus dem Kiez, die genau | |
| wissen, dass wir immer Schlafplätze suchen, zu mir kommen und mir Lob | |
| heischend erzählen, dass sie jetzt auch ein Zimmer anbieten. „Wir holen uns | |
| jetzt immer die Leute vom Lageso.“ Denen ist nicht eingefallen, uns zu | |
| fragen. Als ob da eine Denkgrenze ist. | |
| 12 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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