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# taz.de -- Tierwohl im Pferdesport: Kontrolle durch Schmerz
> Gebrochene Kiefer, geplatzte Gelenkkapseln, chronische Krankheiten: Im
> deutschen Pferdesport wird Schreckliches toleriert.
Bild: Nach einem Wettkampf: ein Turnierpferd.
Im Pferdesport geht es alles andere als demokratisch zu. Wenig
verwunderlich, könnte man denken, hat der Reitsport doch seine Wurzeln im
Militär. Umso verwunderlicher ist jedoch, was in letzter Zeit an der Basis
dieser großen Vereinigung geschieht. Einzelne Tierärzte, Reiter, Ausbilder
und Pferdeliebhaber scheren aus dem Glied aus und üben Kritik an
tierquälerischen Ausbildungsmethoden, Zäumungen, Gebissen und dem Gebrauch
der Sporen.
Bisher hat diese Kritik keine Wirkung gezeitigt. Die Deutsche Reiterliche
Vereinigung (FN) versucht weiterhin, die Situation auszusitzen oder, wenn
es gar nicht anders geht, die Kritiker zu ignorieren, zu diskreditieren
oder als Spinner abzutun.
Eine öffentliche Videoansprache mit dem Titel „Tu etwas, FN“, die innerhalb
weniger Tage von über 14.000 Menschen aufgerufen wurde, ignorierte man
ebenso wie die Verbesserungsvorschläge des prominenten Pferdeausbilders
Philippe Karl. Eine nette Pressekonferenz hier, ein hübscher Film als
Beruhigungspille dort und das Ins-Abseits-Stellen von Kritikern haben
bisher immer ihre Wirkung getan.
Die Pferde aber leiden weiter unter tierquälerischen Ausbildungsmethoden
wie der Rollkur, unter dem Einsatz von Schlaufzügeln, modernen, scharfen
Gebissen und Sporen.
## System Gewalt gegen das Pferd
Die Industrie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Sie präsentiert immer neue
Hilfszügel und vor allem Gebisse, mit denen die Pferde durch Schmerz und
Druck unter Kontrolle gebracht werden sollen. Mit geschickt formulierter
Werbung verführen sie die Reiter, lieber Geld für perfide Gebisse
auszugeben, als Zeit und Geduld in die Ausbildung der Pferde zu stecken.
Die Gesundheit und die Unversehrtheit des Pferdes spielt bei diesen großen
wirtschaftlichen Interessen keine Rolle mehr. Das ist das System Gewalt
gegen das Pferd.
Das Ergebnis sind kranke Pferde: Angst, Schmerz, gebrochene Kiefer,
geplatzte Gelenkkapseln, chronische Erkrankungen des Bewegungsapparats,
Verwundungen durch Sporeneinsatz, Magengeschwüre, psychische Schäden und
vieles mehr ist zu beklagen.
Dass diese Tierquälerei System hat, zeigt sich schon daran, dass auf
Turnieren gegen diese Methoden so gut wie nie vorgegangen wird. Solange
kein Blut fließt, tut niemand etwas, kein Richter auf dem Reitplatz und
kein Tierarzt. Und wenn doch, wie im Fall einer jungen Tierärztin, die
genau dieses Nichtstun anprangerte, dann wird man/frau aus dem illustren
Kreis der Deutschen Reiterlichen Vereinigung schneller ausgestoßen, als
er/sie „Pferd“ sagen kann.
Ob dem einen Pferd im Maul gerissen, das andere mit Sporenstichen bestraft
wird, Zäumungen nicht korrekt angelegt oder unerlaubte Gebisse im
Pferdemaul zu finden sind – Richter vom Vorbereitungsplatz sind nur äußerst
selten dort, wo sie hingehören: am Abreiteplatz.
Das zumindest lehrt die Erfahrung aus vielen, vielen Turnierbesuchen. Dabei
kann man die Situation der Richter sogar ein bisschen verstehen, haben sie
doch eigentlich gar keine wirkliche Handhabe gegen den Missbrauch der
Pferde und befinden sich in einem unguten Abhängigkeitsverhältnis zum
Veranstalter. Denn wenn sie sich nicht kooperativ verhalten, dann wird der
Veranstalter seine Konsequenzen daraus ziehen und beim nächsten Turnier
andere Richter anfordern.
## An Verantwortung erinnern
Dennoch muss man sie an ihre Verantwortung erinnern. Sie haben sich auch
für den Schutz der Pferde einzusetzen. Und dass sie, wenn ihnen negative
Kritik begegnet, immer wieder beleidigend werden, erweckt den Eindruck,
dass sie die Vergehen der Reiter vertuschen wollen.
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat natürlich die Zeichen der Zeit
erkannt und mischt inzwischen auch im Freizeitreiterbereich lustig mit. Die
FN unterstützt Freizeitturniere, Gelassenheitsprüfungen und andere
Veranstaltungen. Das muss sie auch, laufen ihr die Reiter doch sonst in
Scharen davon, und auch die Zuschauerzahlen auf den ländlichen Turnieren
lassen zu wünschen übrig.
Fragt sich, ob wir es zulassen wollen, dass Pferde, nur weil sie im
Leistungssport eingesetzt werden, anders behandelt werden dürfen. Zu diesem
Schluss kann man kommen, wenn man Richter hört, die argumentieren, dass auf
einem Turnier schon mal härter angepackt werden dürfe.
Nun aber sollen die Verantwortlichen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung
aktuell am runden Tisch zusammensitzen, wie man hört. Trägt die anhaltende
Kritik doch Früchte? Folgen sie dem Schweizer Vorbild? Oder werden wir
wieder smarte Worte hören, die den Eindruck erwecken sollen, dass die FN
aktiv wird? Wir werden sehen …
Vielleicht stehen wir kurz vor einem Verbot der Rollkur, was allein schon
ein Erfolg wäre, aber machen wir uns nichts vor: Die alltägliche Gewalt
gegen Pferde wäre damit noch lange nicht beendet.
6 Dec 2015
## AUTOREN
Regina Rheinwald
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