# taz.de -- NS-Aufarbeitung im Pferdesport: Hippologisches Hinterfragen | |
> Wie belastet war Reitsportfunktionär Gustav Rau? Sein Einfluss in der | |
> Nazizeit ging wohl über den eines einfachen NS-Mitläufers weit hinaus. | |
Bild: Ein Deutscher in Übersee: Reitsportfunktionär Gustav Rau 1954 in New Yo… | |
Noch gilt Gustav Rau als honorige Persönlichkeit. In Deutschland sind nach | |
dem Hippologen und Pferdesportjournalisten etliche Straßen benannt, und die | |
Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) verleiht regelmäßig die | |
Gustav-Rau-Medaille. | |
Das Andenken, so teilt es der Pferdesportverband der taz mit, „basiert in | |
erster Linie auf seinen exzellenten hippologischen Fachkenntnissen und auf | |
den Verdiensten, [1][die er sich nach dem Zweiten Weltkrieg um Pferdesport] | |
und -zucht erworben hat“. Allerdings war Gustav Rau, der von 1880 bis 1954 | |
lebte, schon seit der Jahrhundertwende aktiv – und erst recht ab dem Jahr | |
1933. Er zählte zu den „führenden Köpfen des nationalsozialistischen | |
Pferdesports“, wie es die Historikerin Nele Fahnenbruck formuliert. | |
Gleichwohl hat die Reiterliche Vereinigung in der Festschrift zu ihrem | |
100-jährigen Bestehen geschrieben, man täte Rau „Unrecht, ihn als | |
überzeugten Nationalsozialisten zu bezeichnen, denn wirkliches politisches | |
Engagement lässt er niemals erkennen“. Diese Einschätzung aus dem Jahr 2005 | |
gilt immer noch, wobei, ein bisschen Zurückrudern findet in der Festschrift | |
sehr wohl statt: „Sein Handeln lediglich auf ein gewisses Mitläufertum zu | |
reduzieren, wäre allerdings auch nicht angemessen“, heißt es da. | |
## Forschung in Potsdam | |
Heute verweist der Reitsportverband auf ein vor wenigen Wochen [2][ins | |
Leben gerufene Projekt des Deutschen Olympischen Sportbunds] (DOSB), in dem | |
die Belastung von Sportfunktionären im NS-Regime untersucht wird. „Sollte | |
es im Rahmen dieser Studie neue Erkenntnisse geben, wird der Verband diese | |
natürlich in angemessener Weise berücksichtigen.“ | |
Multifunktionär Rau gehört tatsächlich zu den Personen, die vermutlich | |
in der DOSB-Studie auftauchen werden. Die wird betreut von Jutta Braun und | |
Berno Bahro. Die Historikerin am Potsdamer Leibniz-Zentrum für | |
Zeithistorische Forschung und der Historiker von der Universität Potsdam | |
haben beide [3][eine ausgewiesen große Expertise in sportgeschichtlichen | |
Recherchen]. | |
Möglich, dass sie einiges bislang Unbekanntes zu Rau finden. Aber an | |
substanziellen Erkenntnissen mangelt es im Grunde nicht. Nele Fahnenbruck | |
legte 2013 unter dem Titel „… reitet für Deutschland“ ihre Dissertation … | |
Pferdesport und Politik im Nationalsozialismus vor. Sie zeigt, wie gerade | |
Begriffe wie „Reinrassigkeit“ und „Reinheit des Blutes“ von Pferden auf | |
Menschen übertragen wurden. | |
## NS-Rassenideologie | |
Gustav Rau war hier führend. Er formulierte etwa, nur bei „unvermischten | |
Bauerngeschlechtern“ herrsche ein „Sinn für die Reinheit des Blutes in der | |
Pferdezucht“. Fahnenbruck weist zudem nach, dass Rau nicht nur die | |
NS-Rassenideologie propagierte. „Er war auch von Anfang dabei, als es darum | |
ging, das ‚Führerprinzip‘ im Pferdesport durchzusetzen – und damit den | |
systematischen Ausschluss jüdischer Pferdesportler.“ | |
Pünktlich im Jahr 1933 war Gustav Rau Ministerialdirektor im | |
Landwirtschaftsministerium geworden, im Juli 1933 ernannte ihn Hermann | |
Göring persönlich zum Oberlandstallmeister. 1936 war Rau für die | |
Olympischen Reiterspiele in Berlin verantwortlich. Im besetzten Polen, das | |
die Nazis zum Generalgouvernement erklärten, war er ab 1939 „Beauftragter | |
für Pferdezucht und Gestütswesen“. Nicht zuletzt baute er dort zusammen mit | |
[4][Hermann Fegelein, Hitlers Schwager], und Heinrich Himmler im KZ | |
Auschwitz eine Pferdezucht auf. Die Historikerin Fahnenbruck ist überzeugt: | |
„Selbstverständlich reichen die bisherigen Erkenntnisse aus, um eine Ehrung | |
einzustellen.“ | |
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung gehört jedoch zu den Sportverbänden, | |
die sich ihrer Rolle, die sie im NS-Regime eingenommen haben, nicht stellen | |
wollen. Auf taz-Frage heißt es dazu: „Unser Verband befindet sich gerade in | |
einer Phase der Umstrukturierung, daher gibt es aktuell keine solchen | |
Überlegungen. Nach den Neuwahlen im Mai wird sich das Präsidium mit der | |
Frage einer tiefer gehenden Aufarbeitung befassen.“ | |
Die Historikerin Jutta Braun ist da zumindest nicht pessimistisch: „Ich | |
habe den Eindruck, dass seit einiger Zeit gesamtgesellschaftlich eine neue | |
Welle der NS-Aufarbeitung stattfindet.“ Sie verweist auf etliche | |
Bundesministerien und Kultureinrichtungen. Ebenfalls haben einige | |
Fußballklubs ihre NS-Geschichte untersuchen lassen. „Es ist natürlich | |
denkbar, dass sich vielleicht dann auch verschiedene Fachverbände der | |
Thematik widmen“, sagt Jutta Braun. „Dass es also einen Dominoeffekt gibt, | |
wie in der Behördenforschung, wo das Auswärtige Amt anfing und dann alle | |
anderen Ministerien dem guten Beispiel folgten.“ | |
## Aufarbeitung für den gesamten Pferdesport | |
Ob die Deutsche Reiterliche Vereinigung sich dem auch stellen wird, ist | |
keinesfalls entschieden. Schließlich geht es nicht nur um Gustav Rau. Auch | |
bis heute [5][bekannte Reiternamen wie Josef Neckermann] oder Fritz | |
Thiedemann sind eng mit dem nationalsozialistischen Regime verknüpft. | |
Die Forscherin Nele Fahnenbruck sagt: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn die | |
NS-Geschichte des Verbandes lückenlos, unabhängig und wissenschaftlich | |
aufgearbeitet würde.“ Sie sieht jedoch Gründe, warum sich die Reiter hier | |
so schwertun. „Der Pferdesport insgesamt stand den nationalsozialistischen | |
Organisationen oft schon vor 1933 nahe.“ | |
Eine Aufarbeitung müsse den gesamten Pferdesport im Blick haben. | |
Fahnenbrucks Fazit sieht so aus: „Mit der Umbenennung von Straßen und | |
Medaillen ist es nicht getan.“ | |
1 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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