# taz.de -- Die Berliner taz-Druckerei schließt: Letzte Runden | |
> Aus der Zeitungskrise ist eine Druckereikrise geworden. Henke, die | |
> taz-Druckerei in Hohenschönhausen, macht Ende des Jahres dicht. Ein | |
> Abschiedsbesuch. | |
Bild: Sie kommen noch aus Hohenschönhausen: taz-Ausgaben, gedruckt bei Henke. | |
Die Geoman ist ein Ungetüm aus Stahl. 17 Meter hoch und 36 Meter lang ist | |
der Torso, der aussieht wie ein Schiff. Auf vier Etagen, die einzeln | |
begehbar sind, befinden sich fünf Achtertürme, acht Rollenträger und drei | |
Falzwerke. „Ich kenne jede Schraube“, sagt der Drucker Jürgen Rademacher. | |
Der 55-Jährige hat die Offsetdruckmaschine in der Halle von | |
Henke-Pressedruck einst mit in Betrieb gesetzt. Jetzt turnt der Mann mit | |
dem Kugelbauch und den Schraubenschlüsseln in den Außentaschen seiner | |
blauen Latzhose die steilen Treppen hinauf und hängt Druckplatten in die | |
Walzen. | |
Es ist 19 Uhr, Zeit für den Andruck der taz. Ein Geruch von Papier und | |
Farbe erfüllt die Luft. Rademacher sprintet die Treppen runter, läuft zum | |
Leitstand mit den Monitoren und drückt auf einen Knopf. Die Geoman erwacht | |
zum Leben. Ratternd setzen sich straff gespannte Papierbahnen in Bewegung. | |
Erst langsam, dann immer schneller drehen sich die Walzen mit den | |
Zeitungsplatten. Bei voller Fahrt verschwimmen die Farben und Konturen auf | |
dem Papier zu einem grauen Strom. Am Ende rauschen die Bahnen durch | |
Schlitze ins Innere der Maschine. Auf der anderen Seite purzeln fertig | |
geschnittene und gefalzte tazzen heraus. | |
Die Tageszeitung taz hat bundesweit drei Druckstandorte. Die Ausgabe für | |
Berlin und die östlichen Bundesländer wird seit 1989 bei Henke gedruckt. | |
Die Firma in Hohenschönhausen befindet sich im Alleinbesitz von | |
Rolf-Friedrich Henke, einem 68-jährigen mehrfachen Millionär mit | |
linksradikaler Vergangenheit. Henke hat noch eine Druckerei in Köln und | |
einen großen landwirtschaftlichen Ökobetrieb in der Uckermark. Der Profit, | |
den seine Druckereien erwirtschaftet haben, hat ihm den Kauf der Ländereien | |
ermöglicht. | |
Bis 2005 war die Druckerei in Hohenschönhausen ein blühendes Unternehmen. | |
100 Techniker, Drucker, Formhersteller und Hilfskräfte, zählte der Betrieb | |
in Spitzenzeiten. Hier wurden Anzeigenblätter und Werbebeilagen in | |
Millionenauflagen hergestellt. Zweite Hand, Zitty, Rätselhefte, das | |
Rostocker Tageblatt, taz. Mit rund 20.000 Druckexemplaren pro Ausgabe war | |
Letztere für Henke nur ein Auftrag von vielen. | |
Das war einmal. Die Zeiten haben sich geändert. Heute gehört die taz zu | |
Henkes letzten Kunden. Und auch damit ist Schluss. Zum Jahresende macht die | |
Druckerei dicht. Die gesamte 20-köpfige Belegschaft, zu der Jürgen | |
Rademacher gehört, ist ab 1. Januar 2016 arbeitslos. Dass sie vom altlinken | |
Unternehmer Henke eine Abfindung erhalten, haben sich die Angestellten hart | |
erkämpfen müssen. | |
Das Sterben der Druckerei kommt nicht überraschend. Im Zuge von Internet | |
und Digitalisierung wollen immer weniger Menschen Medien in Printform | |
lesen. Nicht nur die taz bekommt das zu spüren. Von 1998 bis 2014 ist ihre | |
bundesweite Druckauflage von 81.000 auf 67.000 Exemplare gesunken. Bei | |
Springers Bild ist sie im selben Zeitraum von 4,7 auf 2,08 Millionen | |
abgestürzt. „Die Auflagen der Tageszeitungen werden weiter zurückgehen“, | |
prognostiziert der neue Geschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union | |
(DJU), Jörg Reichel. Und: „Henke wird nicht die letzte Druckerei sein, die | |
in den nächsten Jahren geschlossen wird.“ | |
Noch gibt es in Berlin fünf Tageszeitungsdruckereien: Da ist die der | |
Berliner Zeitung am Wasserwerk in Hohenschönhausen, wo auch der Berliner | |
Kurier gedruckt wird. Das Druckhaus Axel Springer in Spandau druckt neben | |
den eigenen Blättern Tagesspiegel, Süddeutsche und Handelsblatt. Das Neue | |
Deutschland entsteht im Druckhaus Schöneweide und die Junge Welt in der | |
Union-Druckerei. „Bei den Berliner Druckereien wird es eine weitere | |
Monopolisierung geben“, sagt Verdi-Vertreter Reichel voraus. Springer werde | |
eher zu den Gewinnern gehören und die kleinen Druckhäuser zu den | |
Verlierern. | |
Fertig geschnitten und gefalzt kommen die tazzen aus der | |
Geoman-Druckmaschine. Ein Förderband transportiert sie zur Packstation. | |
Alle paar Meter greift sich Jürgen Rademacher ein Exemplar heraus. Eine | |
Lupe ins Auge geklemmt, blättert er die Seiten durch. Seine Hände sind | |
voller Druckerschwärze. „Alles muss sauber sein“, sagt er und knüllt die | |
Zeitung, die er gerade begutachtet hat, in den Mülleimer. | |
Der 55-jährige Drucker nimmt das Leben eher von der humorvollen Seite. | |
Gelernt hat er beim Neuen Deutschland, seit 1994 arbeitet er für die Firma | |
Henke. Seinen Meister habe er nie raushängen lassen, sagt Rademacher und | |
lacht. „Also, man kann wirklich sagen, ich bin stolz, Arbeiter zu sein.“ | |
Doch er und 19 Kollegen stehen vor dem Nichts, wenn Henke-Pressedruck Ende | |
des Jahres zumacht. Die meisten sind wie er zwischen 50 und 60 Jahre alt | |
und haben wie er die Hälfte ihres Lebens bei Henke verbracht. Die Chancen, | |
anderswo im Druckgewerbe unterzukommen, tendieren gen null. „Ich glaube, | |
ich bin ein Auslaufmodell“, sagt Rademacher. | |
Die Druckerei in Hohenschönhausen ist nicht insolvent. Sie erwirtschaftet | |
aber schon lange keine Gewinne mehr. Es gibt zwei Lesarten vom Ende des | |
Betriebs. Die von Eigentümer Henke und die von Verdi und der Belegschaft. | |
Rolf-Friedrich Henke, Schirmkäppi, wehendes schlohweißes Haar, hat die | |
Ausstrahlung eines alternden Linksintellektuellen. „Die Druckerei hatte | |
wirtschaftlich keine Zukunft“, sagt er. Nicht mal geschenkt hätten seine | |
Mitarbeiter den Betrieb haben wollen. | |
Es hätte nicht so kommen müssen, sagt die Belegschaft. Henke habe andere | |
Prioritäten gesetzt. | |
1997 hat Henke von der Treuhand in Temmen in der Uckermark ein Gut gekauft | |
und eine Ökolandwirtschaft aufgezogen. Auf den Weiden stehen heute 1.500 | |
Rinder, 35 Leute arbeiten für ihn. Ohne den Gewinn aus seinen Druckereien | |
hätte er Temmen nicht ermöglichen können, gibt Henke offen zu. Temmen ist | |
sein Lebenselixier. | |
In der Druckerei verfolgte man das mit gemischten Gefühlen. Henkes gesamter | |
unternehmerischer Geist sei ab der Jahrtausendwende nach Temmen geflossen, | |
wird in der Firma erzählt. Seit er auf Bauer macht, fehle hier was. Um dem | |
Niedergang der Firma vorzubeugen, hätte man frühzeitig in neue Maschinen, | |
die auch Glanzpapier bedrucken können, investieren müssen. Aber solche | |
Vorschläge seien beim Chef nicht auf Gegenliebe gestoßen. | |
Henke indes bestreitet, sich nicht mehr ausreichend um die Druckerei | |
gekümmert zu haben. „Die Landwirtschaft hat mein Herz nur erweitert“, sagt | |
er. | |
2007 kam es in der Druckerei zu ersten Entlassungen. Diverse Druckaufträge, | |
darunter die Zitty, waren weggebrochen. 2011 folgte die zweite | |
Kündigungswelle. Diesmal mussten 35 Leute gehen. Abfindungen habe es erst | |
nach zähen Verhandlungen gegeben, wird erzählt. Die sogenannten | |
Leistungsträger blieben. Für den Fall, dass die Firma später doch zumache, | |
würden auch sie Abfindungen bekommen, soll Henke auf einer | |
Betriebsversammlung versprochen haben. | |
Doch als klar wurde, dass es zum GAU kommt, hieß es auf einmal: Abfindungen | |
gebe es nicht. Die für einen Sozialplan gesetzlich vorgeschriebene | |
Beschäftigen-Mindestzahl von 21 Leuten sei in der Firma mit 20 Angestellten | |
schließlich unterschritten. Es ist DJU-Geschäftsführer Jörg Reichel, der | |
das alles erzählt. Der Verdi-Vertreter war vom Betriebsrat Anfang 2015 um | |
Hilfe gerufen worden. Zuvor war die gesamte Belegschaft in die Gewerkschaft | |
eingetreten. | |
Vier Monate hätten die Verhandlungen gedauert, erzählt Reichel. Henke habe | |
sich absolut hartleibig gezeigt. „Erst als die Belegschaft mit Streik | |
drohte, hat er eingelenkt.“ Streik hätte bedeutet, dass die taz nicht | |
erscheint. Den Wirbel habe Henke sich wohl ersparen wollen, vermutet | |
Reichel. | |
Henke redet leise. Er sei stets anständig zu seinen Angestellten gewesen. | |
„Wir haben ein Jahr Kündigungszeit vereinbart.“ Die Leute hätten somit die | |
Möglichkeit gehabt, schon während der Arbeitszeit Alternativen aufzutun. | |
Der Streit um die Abfindung habe viel Lebenskraft gekostet, sagt er. | |
Emotional sei das für ihn eine vertrackte Situation gewesen. Dadurch, dass | |
die Gewerkschaft mitgemischt habe, habe das Ganze einen institutionellen | |
Charakter bekommen. „Das hätte man eleganter lösen können.“ | |
Mehr als 3 Millionen Euro hat Henke eigenen Angaben zufolge im Laufe der | |
Betriebszeit an Abfindungen gezahlt. Die im Juni vereinbarte Tranche für | |
die letzten 20 Angestellten – Geschäftsleitung inklusive – kostet ihn circa | |
800.000 Euro. „Das ist kein Ersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes“, | |
findet Verdi-Vertreter Reichel. Er sei stolz darauf, überhaupt Abfindungen | |
zahlen zu können, entgegnet Henke. Am Ende eines Betriebes solche Beträge | |
zur Verfügung zu haben sei keineswegs selbstverständlich. | |
In der Fabrik in Hohenschönhausen herrscht Friedhofsstille. Die | |
Druckmaschine steht den größten Teil des Tages still. Die Kisten in der | |
Büroetage sind gepackt. Von bitteren Verhandlungen mit Henke ist zu hören | |
und dass man sich an Dagobert Duck, der auf seinem Geldsack sitzt, erinnert | |
fühlte. | |
Man sei froh, dass es vorbei ist. Die Ungewissheit der letzten Jahre habe | |
an den Nerven gezerrt. In der Hoffnung, dass es wieder aufwärtsgeht, hatten | |
die Angestellten seit 2011 freiwillig unter Lohnverzicht 30 statt 35 | |
Stunden in der Woche gearbeitet. Eine neue Anstellung hat bisher keiner. | |
Auch Jürgen Rademacher nicht. Und nun? Der Drucker hat die Daumen unter die | |
Träger seiner Latzhose geklemmt und lässt sie auf die Brust schnappen. „Man | |
hat schon Pläne“, sagt er etwas verlegen. Vielleicht ein Praktikum im | |
Bogendruck? Vielleicht Hausmeister oder eine Weiterbildungsmaßnahme? Nur so | |
viel ist klar: Es soll kein Job sein, sondern eine Aufgabe, die Spaß macht. | |
Aber noch ist es ja nicht vorbei. „Gute Arbeit bis zum Schluss“, sagt | |
Rademacher. „Es wäre ein Unding, wenn wir jetzt anfangen zu schlampen.“ Bei | |
so kurzen Druckzeiten sei es schwierig, die Maschine so einzustellen, dass | |
sie gleichmäßig arbeitet. Aber Rademacher kennt seine Geoman. Er weiß, was | |
er tun muss. „Manchmal giften wir uns beide an, manchmal sind wir auch gute | |
Freunde,“ sagt Rademacher lachend. „Is wirklich so.“ | |
13 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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