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# taz.de -- Das gedruckte Wort in digitalen Zeiten: Wie die Zeitung lebt
> Die Zeitung ist nicht tot, sie ist ein wundervoll lebendiges Wesen. 15
> Gedanken über Print, Journalismus und die Zukunft.
Bild: Drei-Wetter-taz: Perfekter Halt für's Haar
1. Die Zeitung ist ein wundervoll lebendiges Wesen. Was sie alles kann! Sie
lässt uns die Welt verstehen, verbindet Menschen, lotst uns durch den Wust
der Informationen, rückt Ereignisse nah an uns ran, rührt an, rührt auf,
regt auf, regt ab, macht schlau und manchmal auch dumm, sie ärgert dich und
bringt dich zum Lachen.
2. Die Demokratie braucht sie. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der
Vereinigten Staaten, [1][schrieb 1787], vor die Entscheidung gestellt, ob
es eine Regierung ohne Zeitungen geben solle oder Zeitungen ohne eine
Regierung, er würde nicht zögern: Letzteres. Als er selbst Präsident werden
wollte und sich Kritik einfing, hat er die Zeitung verflucht, ja
[2][vertrumpt], aber da hat die Zeitung gelacht, weil die Wut hoher Herren
ihre Lebendigkeit beweist.
3. Die Zeitung ist ein Druckwerk – diese Definition ist verbreitet, weil
sie schon so lange aus Papier und Farbe gemacht wird. Aber das Wort stammt
eigentlich woanders her. Um 1300 kam es auf, zīdunge, das auf den
mittelniederdeutschen und mittelniederländischen Begriff tīdinge
zurückgeht: Nachricht, also Neuigkeiten zum Danachrichten. Diese verschütt
gegangene Definition ist die bessere, weil sie in die Zukunft weist: Sie
zeigt das Herz der Zeitung, den Journalismus.
4. Aber wann ist dann ein Medium eine Zeitung? Die Forschung beschreibt die
vier wichtigsten Gliedmaßen ziemlich präzise: Sie muss aktuell sein,
regelmäßig erscheinen, thematisch vielfältig und öffentlich für alle
zugänglich sein. Fachdeutsch: Aktualität, Periodizität, Universalität,
Publizität.
5. Früher, in den 1920ern, [3][die für die Zeitung golden waren],
erschienen in Berlin Morgenausgaben, Mittagsausgaben, Abendausgaben und
Nachtausgaben. Heute kommen Tages- und Wochenzeitungen werktäglich auf den
Markt, am Donnerstag, am Samstag oder am Sonntag. Und eben nicht mehr nur
auf Papier, sondern auch hinter Glas, auf einem Tablet als ePaper oder als
Zeitungs-App auf dem Smartphone. Periodizität?
Klar, zum Beispiel erscheint die taz an sechs Abenden der Woche um kurz
nach 19 Uhr als ePaper und App. Sie liefert dann einen Blick auf den Tag
durch die taz-Brille. Ein Lesepaket für den Tag. Dagegen passt auf Websites
wie zeit.de, t‑online.de oder taz.de der Begriff Zeitung nicht, weil dort
laufend etwas Neues erscheint.
6. Die Zeitung hinter Glas musst du nicht morgens aus dem Briefkasten
holen, sie lässt sich jeden Abend in Sekunden aufs Smartphone oder Tablet
herunterladen. Sie ist schon deshalb aktueller. Du hast sie im Handy und
kannst beim Anstehen in der Kaufhalle eine packende Reportage lesen. Viele
Zeitungen bieten auf Tablet oder Smartphone mehr: bewegliche Grafiken,
Autorenbios, Videos, Audios.
7. In der Zeitung aus Papier kannst du allerdings über Titel, Untertitel
und Zwischentitel fliegen und dir einen Überblick verschaffen, manche
erfassen sogar Texte quasi im Flug, das sind die Querleser. Weil die
Papierzeitung dir nicht ins Gesicht leuchtet wie eine zu flach geratene
Stablampe, schont sie die Augen. Außerdem kannst du sie am Strand, wenn du
schwimmen gehst, unbeaufsichtigt lassen, ein iPhone eher nicht.
8. Nur rumliegen und trotzdem was arbeiten, das schafft auch bloß die
Zeitung auf Papier. Eine gute Titelseite liegt in der Küche oder im Café
und interessiert, inspiriert, amüsiert oder provoziert. Manche
Titelillustrationen machen Menschen im Vorbeigehen Mut, etwa jene zu Donald
Trump von Edel Rodriguez, den Klaus Brinkbäumer für den Spiegel entdeckte.
Die digitale Zeitung begegnet dir, wenn du im Netz herumstreifst,
Titelseiten und Zitate werden auf Twitter, Facebook und Instagram geteilt
und machen die Runde. Aber so ganz zufällig geschieht das nicht. Wo du dich
hinbewegst, das beeinflussen dort Maschinen und jene, die sie
programmieren.
9. Doch bei alledem bleibt die Zeitung die Zeitung. Zeitungsleute sind
keine Papierleute oder Handyleute. Zeitungsleute sind Nachrichtenleute,
Kommentarleute, Reportageleute. Fehden im Journalismus zwischen digitalen
Hoodie-Helden und hochmögenden Print-Päpsten schwächen beide. Für das Wesen
Zeitung sind die Eitelkeiten und Eifersüchteleien wie chronischer
Schnupfen, der mal auskuriert werden müsste.
10. Die Frage ist: Was ist der richtige Mix von Print und Digital? Jeff
Bezos, Amazon-Gründer und Verleger der Washington Post, bezweifelt, dass
die gedruckte Zeitung überhaupt dauerhaft existiert. „Wenn doch, vielleicht
als Luxusartikel, den sich bestimmte Hotels erlauben, als extravaganten
Service.“ Die Luxusthese ist gängig: Wie Vinylschallplatte, wie analoge
Armbanduhr, so was. Aber wäre die Zeitung dann noch öffentlich zugänglich?
Eines ihrer vier Gliedmaßen, die Publizität, wäre ziemlich verkümmert.
11. Papier täglich, Papier Wochenende, digital als Handy-App, Wochenende
digital, ePaper fürs Tablet, Kombi – sogar Fachjournalistinnen und
-journalisten geraten da durcheinander. Keine Angst: Die Menschen finden
die Form der Zeitung, die zu ihnen passt. Nicht nur technisch.
12. Eine Menge Leute haben Journalistinnen und Journalisten
[4][vorgeworfen, dass sie ihre Meinungen anderen aufdrücken]. Es hieß, dass
auch deshalb Zeitungen Kundschaft verloren hätten. Aber jetzt, in
polarisierten Zeiten, diskutieren die Leute mehr und merken, dass ihnen
manchmal die Argumente ausgehen. Das betrifft auch jene, die ein Unbehagen
verspüren angesichts der vielen antiliberalen Regierungen auf der Welt.
Die Diskussionen zwischen den Anhängern von Gauland, Orbán, Putin, Trump
einerseits und andererseits denen, die die Demokratie bedroht sehen, finden
ja statt: in Familien, Firmen, kleinen Ortschaften. Wer die Aufklärung
verteidigen will, den dürstet es nach Fakten oder Gedanken für die eigene
Argumentation. Diese Funktion erfüllt niemand so gut wie die Zeitung.
13. Push-Meldungen und TV-Berichte sind schnell konsumiert. Aber das Gefühl
zu erzeugen, den handelnden Personen nahe zu kommen, ein Ereignis auf allen
Ebenen zu durchdringen, das kann am besten eine Textreportage. Die immer
komplexer erscheinende Welt, die einem schon Angst machen kann, erlebt man
in einer guten Reportage ganz klar.
14. Es heißt, Informationen gebe es doch an allen Enden und Ecken. Und
umsonst. Aber viele haben festgestellt, dass die Qualität der Information
großen Wert hat, weil es so viel Desinformation gibt, und viele Menschen
schon mal damit auf die Schnauze geflogen sind. Zeitungen, die es schaffen,
richtige und präzise Informationen zu liefern, stellen einen Mehrwert dar.
15. Die Zeitung hat ihren Stolz zu recht. Sie verdient verdammt noch mal
Respekt. Man sollte ehrlich darüber sprechen, dass die Zeitung aus Papier
bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften hat, die der Zeitung hinter Glas
fehlen. Und dass es umgekehrt ganz genauso ist.
21 Sep 2018
## LINKS
[1] http://tjrs.monticello.org/letter/1289
[2] /Trump-und-die-Medien/!5374805
[3] https://studlib.de/6021/medien/entwicklung_zeitungen_jahrhundert#154
[4] /Rechter-Diskurs-in-Mainstreammedien/!5522437
## AUTOREN
Georg Löwisch
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