# taz.de -- taz-Druckerei Caro: Der Kampf ist aus | |
> Die revolutionären Studenten gründeten sie zur Agitation, jetzt schloss | |
> die taz-Druckerei Caro in Frankfurt. Mit ihr endet ein spannender Teil | |
> linker Geschichte. Ein Abschied. | |
Bild: Ende des Jahres ist Schluss in der Frankfurter Druckerei Caro | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Obwohl kaum ein Journalist sie jemals leibhaftig zu | |
Gesicht bekommen hat, ist Solna die vielleicht wichtigste, sicher aber | |
gewichtigste Mitarbeiterin der taz. Sie wiegt 92 Tonnen und ist 30 Meter | |
lang. Solna kommt aus Schweden, was man ihr sofort ansieht. | |
Blau trägt sie sehr gern, und wenn sie sich an die Arbeit macht, schwitzt | |
sie schnell aus allen möglichen Schlitzen. Mühelos füllt sie noch den | |
größten Raum mit ihrer charismatischen Präsenz. | |
Wenn sie läuft, vibriert das ganze Gebäude. Man kann ihr über eine kleine | |
Leiter mühelos aufs Dach steigen oder, wenn man es behutsam anstellt, ihr | |
komplexes Innenleben erkunden. Sie erduldet’s gelassen. Am frühen Abend | |
aber wird sie regelmäßig hochfahrend. | |
Dann geht zunächst ein anschwellendes, heiseres Surren durch das geräumige | |
Souterrain in Frankfurt am Main, wo sie seit Jahren arbeitet. Zischend, | |
walzend, sirrend und dröhnend spuckt sie dann bald über schwarz gummierte | |
Förderbänder die ersten Exemplare der neuen Tageszeitung aus. | |
Wer also die taz im Westen oder Süden des Landes liest, hat das in der | |
Regel der Solna Distributor D 380 zu verdanken. Die | |
Rollenoffsetdruckmaschine im Souterrain des Ökohauses in der Kasseler | |
Straße 1a, Frankfurt am Main, ist eine zuverlässige Kollegin. Nur zweimal | |
machte sie Probleme: Einmal gab die Falzmaschine ihren Geist auf, ein | |
andermal schlug der Blitz ein. | |
## Die letzte taz | |
Ihre letzten taz-Exemplare hat sie am vergangenen Sonntag produziert. Denn | |
zum Jahresende schließt die legendäre Druckerei Caro ihre Tore. Für immer. | |
Und mit der Schließung von Caro kommt, wie nebenbei, auch ein besonders | |
spannender Erzählstrang der Geschichte über die Linke in Frankfurt zu einem | |
Ende. | |
Klaus Sutor ist der Mann, der die Solna D 380 täglich eingeschaltet hat. Er | |
hat sie 2007 angeschafft, um seinen Laden noch einmal zu modernisieren und, | |
wie man so sagt, „fit“ zu machen für die Produktion der NRW-taz. Nun ist er | |
der Mann, der die Druckmaschine im Rahmen einer kleinen Feierlichkeit am | |
30. Dezember endgültig abgeschaltet hat. | |
Sutor leitet die Druckerei schon so lange, dass sich die Anfänge im | |
Bodennebel der Erinnerungen verlieren: „1968 oder 1969 oder so, genau | |
wissen wir das nicht mehr, da haben wir angefangen, in Heidelberg“, erzählt | |
er. Seine 65 Jahre sieht man ihm nicht an, vor allem deshalb, weil sein | |
Kopf so zugewuchert ist mit Haaren. | |
Er sieht aus, als wäre er einem Cartoon von Seyfried entsprungen. Grauer | |
Schopf, grauer Bart und eine halbe Roth-Händle zwischen den Lippen, so | |
sitzt er hinter seinem Schreibtisch in seinem Büro und seufzt. Durch das | |
Fenster über ihm spähen kleine Kinder hinein, andere lärmen auf dem | |
benachbarten Spielplatz. | |
## Die SDS-Druckerei | |
Studiert hat Sutor in Heidelberg, wo er auch zur Studentenbewegung stieß. | |
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) unterhielt damals eine | |
eigene Druckerei, „weil man ja nicht immer Zugriff hatte auf die Mittel des | |
Asta“, wie Sutor schmunzelnd hinzufügt. | |
Im Oktober 1970 erschien die erste Nummer des Neuen Roten Forums, der | |
Fortsetzung des verbotenen Roten Forums des SDS, mit einer bescheidenen | |
Auflage von 5.000 Exemplaren. Darin ging es um Themen wie die „Zukunft des | |
Imperialismus“, die „Expansion des Siemens-Konzerns“ oder „Das | |
internationale Kapital gegen die Befreiung von Angola, Guinea-Bissau und | |
Mozambique“. | |
Das große ideologische Vorbild war das maoistische China, verantwortlich im | |
Sinne des Presserechts war Joscha Schmierer, der später, 1973, Sekretär des | |
Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und noch später im | |
Planungsstab des Auswärtigen Amtes unter Außenminister Joschka Fischer | |
werden sollte. | |
## Dogmatiker und Spontis | |
In Frankfurt standen sich in den Siebzigerjahren die dogmatische und die | |
undogmatische Linke unversöhnlicher gegenüber als anderswo. Auf der einen | |
Seite setzten theoretisch geschulte Kommunisten auf die Befreiung einer | |
damals schon fiktiven „Arbeiterklasse“, auf der anderen die eher | |
anarchisch-kulturell interessierten Spontis auf eine ebenso imaginäre | |
„Spontaneität der Massen“. | |
Beide Seiten waren einander spinnefeind, und beide trugen ihre | |
Auseinandersetzungen gern auch handgreiflich aus. In Frankfurt, weil hier | |
das Institut für Sozialforschung und insbesondere Herbert Marcuse die | |
Außerparlamentarische Opposition (APO) entscheidend beeinflusste – und es | |
zugleich, im Gegensatz zu anderen Universitätsstädten, in unmittelbarer | |
Nachbarschaft eine „arbeitende Bevölkerung“ gab, an der die linke Agitation | |
erprobt werden konnte. | |
In jener Zeit schnürten hier viele ihre Turnschuhe für den langen Marsch | |
durch die Institutionen, an dessen Ende manche landeten bei der FAZ, andere | |
bei der taz, wieder andere in Agenturen, bei den Grünen und endlich in | |
Ministerien. | |
## Sutor kommt | |
Sutor stieß erst 1972 zur Druckerei: „Ausgebildete Drucker gab es damals | |
gar nicht, das waren alles Leute, die sich die nötigen Fähigkeiten im | |
Selbststudium beigebracht haben. Die Leidenschaft ist damals ja gewesen, | |
gedrucktes Papier auf die Straße zu bringen“, sagt er und schmunzelt | |
wieder, wie er oft und leicht resigniert in sich hineinschmunzelt, als | |
spräche er über längst verziehene Streiche. | |
Dabei entsprach die Motivation der ersten Drucker durchaus Marx’ Forderung, | |
die klassenlose Gesellschaft bestehe aus „Individuen, die vereint sind auf | |
der Grundlage der gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der | |
Produktionsmittel“. | |
1973 ging die Studentendruckerei „als Mitgift“ auf den frisch gegründeten | |
KBW über, druckte Flugblätter, Broschüren, das Parteiorgan Kommunistische | |
Volkszeitung – und nahm früh auch Fremdaufträge an: „Friedensinitiativen | |
haben wir gemacht, viele Komitees wie etwa das Chile-Komitee, es gab ja | |
immer etwas zu tun.“ | |
## Keine kommerzielles Ineresse | |
Die Motivation war ganz klar eine politische, agitatorische. Im Gegensatz | |
zur bürgerlichen Presse mit ihrem kommerziell-affirmativen Auftrag ging es | |
den linken Druckern immer um politische Aufklärung. „Materialien“, wie | |
Sutor sagt. | |
Zuvor hatte das Geld in einem System, das Außenstehenden und manchen | |
Ehemaligen durchaus wie eine Sekte vorkommen konnte, keine Rolle gespielt. | |
Der Autor Gerd Koenen, früher selbst Mitglied, nennt die Genossen heute die | |
„Scientologen der Weltrevolution“. Jedes KBW-Mitglied führte einen großen | |
Teil seines Einkommens ab, dazu Lebensversicherungen, Grundbesitz oder | |
Erbschaften – um die „Brücken zur Bourgeoisie“ abzubrechen. | |
Das Geld wanderte nach der klammheimlichen Auflösung des KBW im Jahre 1985 | |
an den Verein Assoziation, der wiederum die Aufsicht über die Kühl KG | |
führte, als deren Tochterunternehmen die Caro Druck GmbH seither fungierte. | |
Aus Kommunisten wurden so Kommanditisten, die ein nicht unbeträchtliches | |
Vermögen zu verwalten hatten. „In dem Maße, wie der KBW sich spaltete und | |
dann auflöste, mussten auch wir anfangen wirtschaftlich zu arbeiten“, sagt | |
Sutor. | |
Bereits 1978 war auf dem „Tunix-Kongress“, einer von der Sponti-Szene | |
organisierten Zusammenkunft der Gesamtlinken (mit Ausnahme der Dogmatiker | |
vom KBW, versteht sich), die damals noch als „linksradikal“ apostrophierten | |
Tageszeitung gegründet worden – die taz. | |
## Die erste taz | |
„Dass die bei uns drucken würden“, sagt Sutor, „das habe ich kommen sehe… | |
Tatsächlich war die ursprüngliche taz-Druckerei in Bad Vilbel heillos | |
überfordert, und nach erfolgreichen Verhandlungen erschien am 19. April | |
1982 die erste taz bei Caro. | |
Seitdem galt, was Sutor auf eine schöne Formel bringt: „Wenn es der taz gut | |
geht, geht es uns gut, und wenn es der taz schlecht geht, geht es uns | |
schlecht.“ Und so sollte es 30 Jahre mehr oder weniger gut gehen. | |
Bei der taz freilich war es damals umstritten, die Dienste einer | |
„KBW-Druckerei“ in Anspruch zu nehmen. Viele fürchteten, nun von den Kadern | |
der K-Gruppen infiltriert zu werden – ein Nachhall der Frankfurter | |
Straßenkämpfe und eine Befürchtung, die sich nicht bewahrheiten sollte. | |
Schließlich druckte Caro damals schon den Pflasterstrand, das Organ der | |
Sponti-Bewegung. Unter der Überschrift „eins, zwei drei, eine neue | |
Druckerei“ ließ die taz am 16. April ihre Leserschaft wissen: „Pünktlich | |
zum dreijährigen Jubiläum wird die linksradikale Tageszeitung taz ihre | |
Teilauflage für den süd- und westdeutschen Raum (…) in einer Druckerei in | |
Frankfurt drucken.“ Dies solle einen „pünktlicheren und kostengünstigeren | |
Betrieb ermöglichen“. | |
## Ein Subunternehmen des KBW | |
Und: „Gerüchte, dass es sich bei dieser Druckerei um ein Subunternehmen des | |
Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) handelt, werden hiermit | |
ausdrücklich nicht dementiert“. | |
Die Kühl KG, nicht faul, zog unterdessen die Kapitalisten von der | |
Commerzbank über den Tisch. Im Tausch gegen eines ihrer begehrten | |
Grundstücke im Zentrum, das der KBW für nur 3,2 Millionen Mark erworben | |
hatte, baute die Bank den „Kommunisten“ für geschätzte 30 Millionen direkt | |
am Westbahnhof das Ökohaus „Arche“, bei dem jeder nur denkbare ökologisch… | |
ökonomische und baubiologische Aspekt berücksichtigt wurde. 1992 zogen | |
Ärzte, Verlage, Bürogemeinschaften, Therapieeinrichtungen, Restaurants – | |
und Caro ein. | |
An diesem sonnigen Montag im November 2012 führt Karl Sutor hinab in den | |
geräumigen Keller, vorbei an gestapelten Paletten und weißen Monstern, die | |
wie gigantische Klorollen aussehen. Tonnenweise französisches | |
Recyclingpapier, bestimmt für den Druck der taz. | |
## Die Druckereien sterben | |
Zweieinhalb Stunden braucht Caro für die Komplettabwicklung einer Ausgabe. | |
In Gießen, wo die taz ab 2013 gedruckt werden wird, brauchen sie dafür nur | |
45 Minuten. 31 Mitarbeiter hat Caro noch, ein paar davon lehnen rauchend an | |
der Maschine und unterhalten sich in gedämpftem Ton. | |
Das Zeitungssterben, es ist auch ein Druckereiensterben. Die Kleinen gehen | |
ein, die Großen werden größer. Das Wagnis neuer Investitionen, die jetzt | |
nötig wären, mag hier niemand mehr eingehen. „Es lohnt sich nicht mehr“, | |
sagt Sutor und blättert mit den prüfenden Händen eines professionellen | |
Druckers durch die aktuelle taz. „Farbe“, sagt er fast verächtlich und | |
schüttelt den Kopf: „Braucht kein Mensch“. | |
Auch Gerd Heinemann, Geschäftsführer der Kühl KG, gestattet sich keine | |
Sentimentalitäten. Aus der schwarzen Null wurde eine rote Null, nun | |
schreibe Caro seit Längerem rote Zahlen. | |
## In eine Stiftung überführen | |
Auf die Frage, was das Ende von Caro für die Firma insgesamt bedeutet, sagt | |
Heinemann in erfreulicher Offenheit: „Verluste. Wir schrieben rote Zahlen | |
und hatten Verluste. Jetzt werden wir noch mehr Verluste haben, um die 2 | |
Millionen Euro, weil wir Bürgschaften einlösen müssen. Die Kühl KG wird in | |
ihrer Substanz aber auf jeden Fall erhalten bleiben“, werde aber mit allen | |
angeschlossenen Vereinen „in eine Stiftung überführt“. | |
Für Sutor selbst ist der Kampf vorbei. Ein Jahr, schätzt er, wird er noch | |
mit der Abwicklung von Caro beschäftigt sein. Danach will er sich vermehrt | |
seinem Garten widmen, sagt er. | |
Und die Solna D 380? Steht bereits zum Verkauf und wird womöglich anderswo | |
ihre stoische Arbeit wieder aufnehmen. Wahrscheinlich dort, wo in dieser | |
Zeit die größte Nachfrage nach Rollenoffsetdruckmaschinen besteht: in | |
China. | |
31 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
Arno Frank | |
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