# taz.de -- Zeitungsbranche in der Digitalisierung: Unter Druck | |
> Die taz verabschiedet sich von Print – zumindest werktags. Was heißt das | |
> für Drucker, Spediteure und Zusteller? Eine Nachtreportage. | |
Bild: Nachts auf der Carrerabahn: Frisch gedruckte tazzen gehen in der Druckere… | |
Wittenburg, Berlin, Frankfurt (Oder), Groß Lindow, und allet dazwischen taz | |
| Müdigkeit? „Nee, ick bin topfit“, sagt Andrea Piechulek und wirkt | |
überzeugt dabei. Jede Nacht liefert sie Zeitungen nach Groß Lindow, im | |
Osten Brandenburgs. Ihre Tour beginnt um 1.15 Uhr. Auch die taz trägt sie | |
aus – genau genommen ist es eine einzige. Menschen wie Piechulek arbeiten, | |
wenn die meisten schlafen. Sie stellen ihren Rhythmus um, damit andere | |
morgens Zeitung lesen können. Früher arbeitete Andrea Pichulek als | |
Haushaltshilfe. „Irgendwann konnt ick keen Lappen und keen Staubsauger mehr | |
sehen“, erzählt sie. Jetzt ist sie ihre eigene Chefin. | |
Jede Nacht sitzt sie in ihrer neongelben Fleecejacke tief in ihrem Auto, | |
sodass sie gerade über das Lenkrad gucken kann. Auf dem Armaturenbrett | |
stapeln sich die Zeitungspakete. Beim Fahren zieht sie sich immer wieder | |
hoch, hüpft dabei ein wenig von ihrem Sitz. Neben der taz sind auch ein | |
paar Exemplare der Märkischen Oderzeitung (MOZ) dabei. Nach ein paar | |
Minuten Autofahrt erreicht sie den ersten Briefkasten auf ihrer Tour. | |
Die Zukunft der Zeitungsbranche ist ungewiss, die Auflagen gedruckter | |
Zeitungen sinken seit Jahrzehnten. Nach dem 17. Oktober 2025 wird [1][die | |
taz den werktäglichen Druck einstellen]. Seitenwende heißt dieses große | |
Projekt. Ab dann können Leser die taz nur noch digital abonnieren. Oder die | |
weiterhin gedruckte wochentaz lesen. | |
Seit über 45 Jahren wird die taz gedruckt. Zunächst in Berlin, und später | |
auch an anderen Orten, etwa in Wittenburg, Mecklenburg-Vorpommern. Dieser | |
Text begleitet die Menschen bei der Arbeit: von der Druckerei, im Auto mit | |
drei Spediteuren, einer Zustellerin, in zwei Verteilzentren und auf | |
mehreren Hundert Kilometern Autobahn. Das Ziel ist ein Briefkasten nahe der | |
polnischen Grenze. | |
## Wittenburg, 17.20 Uhr: Druckbeginn | |
Rund acht Stunden zuvor: Wenn die Druckmaschine loslegt, klingt es, als | |
würde eine Lokomotive durch die Halle donnern. Hier werden von Sonntag bis | |
Donnerstag 5.000 taz-Exemplare gedruckt. Gerade hieven Mitarbeiter die | |
erste Papierrolle in die Maschine. Das aufgewickelte Papier sieht aus wie | |
eine gewaltige Kassenbonrolle, 1.250 Kilogramm schwer. Die Maschine zieht | |
sie durch ihre Pressen, Trichter und Windungen. Walzen drucken Farbe auf. | |
Schicht für Schicht. Es ist 17.20 Uhr, der Andruck hat begonnen. | |
Diese Druckmaschine ist ein Ungeheuer aus Stahl und Öl und Kraft. Über drei | |
Etagen und mindestens 10 Meter Höhe. Schwarze und blaue Flächen glänzen im | |
Neonlicht, Maschinenöl und Papierduft durchdringen die Luft. In | |
gleichmäßigem Takt vibriert der Gitterboden. Ohrenbetäubend brummt und | |
zischt es. Am Ende geschieht ein Wunder: Lärm und Bewegung verwandeln sich | |
in eine fertige Zeitung. | |
Menschen wie Michael Huster machen das möglich. Wenn die tazler:innen in | |
der Redaktion den letzten Artikel abgeschickt haben, fängt sein Job an. | |
Nach und nach trudeln PDF-Dateien aus dem taz-Layout ein. „Zuletzt kommen | |
immer die Seite 1 und die Seite 21 – warum, weiß ich auch nicht“, sagt | |
Huster. Sein Job ist es, mit den Vorlagen im Computer etwas Greifbares zu | |
erschaffen. Michael Huster gibt der taz eine physische Existenz. Dafür | |
druckt er jede Seite zunächst auf Aluplatten. Später werden sie in die | |
Druckmaschine gesetzt. „Ist wie Kartoffeldruck“, sagt er. | |
Gerade überträgt er die Nahaufnahme in sein System, die Seiten vier und | |
fünf. Huster arbeitet im Halbdunkel. Das ist wichtig, um die | |
lichtempfindlichen Aluplatten zu schützen. Orange Folie filtert das | |
Sonnenlicht, ein grauer Vorhang hängt schlaff über einer Tür. Die Luft | |
riecht nach Chemie, nicht beißend, aber deutlich. | |
## Papier oder digital? Erst mal Blech | |
Plötzlich surrt und zischt es in der Maschine mit der Aufschrift „Krause“. | |
Ein kleiner Greifer entfernt ein aufliegendes Schutzpapier vom nächsten | |
Blech. Winzige Kameras justieren die Platte, ein Laser brennt digitale | |
Druckdaten millimetergenau auf die Platte. Nach einem Chemiebad spuckt | |
„Krause“ ein Stück Blech-taz aus. | |
„Ich lese die Zeitung viel“, sagt Huster. Auch wenn ihm nicht alles darin | |
gefällt. Hat er Angst um seinen Job, jetzt, wo die taz den Druck der | |
werktäglichen Ausgabe einstellt? „Bei der taz sind das 96 Platten, die uns | |
fehlen werden. Das merkt man schon“, sagt er. Insgesamt stellt die | |
Druckerei etwa 360 Platten pro Tag her. „Bis zur Rente würde ich schon noch | |
gerne bleiben“. Er ist jetzt 60. Und leise sagt er: „Es wird sich schon | |
fügen.“ | |
Die Printabonnenten der taz sind durchschnittlich ein bisschen älter als | |
Michael Huster: 65 Jahre. Für viele ist eine Zeitung nicht nur eine | |
Informationsquelle, sondern Struktur im Alltag. Doch der Druck verbraucht | |
viel Energie, ist umweltschädlich und teuer. Die [2][Aluplatten sind | |
Einmalware]. Ihre Produktion zerstört Natur. Für die Papierherstellung | |
werden Wälder gerodet. Was entsteht, wird meist nur einmal gelesen. | |
Das ist nicht nachhaltig, nicht wirtschaftlich, hat keine Zukunft. Die taz | |
wählt einen Mittelweg. Mit dem wöchentlichen Druck an einem anderen Ort | |
bleibt die wochentaz den Lesern und Leserinnen erhalten, nur der tägliche | |
Druck wird eingestellt. Doch bis es so weit ist, macht Huster seinen Job. | |
## 17.30 Uhr: die Transportkette übernimmt | |
Im Moment klemmt Michael Huster die biegsamen Platten in Halterungen an der | |
Wand. Der Drucker Christian Pagels übernimmt sie und setzt die Bleche in | |
die Druckmaschine. Jetzt geht es los. Nach dem Andruck schnappt er sich | |
eine taz und blättert sie durch. Sein Urteil: Maschinen stoppen! Auf dem | |
Logo fehlen rote Farbpigmente. Das sieht aus wie kleine gelbe | |
Blubberbläschen. Außerdem hat die Farbe im Titel der Seite 1 noch nicht das | |
gewünschte Rot. „So was passiert eigentlich fast nie“, sagt er. Nach kurzen | |
Anpassungen und Reinigung läuft die Maschine wieder. Jetzt passt alles. | |
Sind die Zeitungen fertig, fahren sie in einer Transportkette davon – das | |
kann man sich wie eine Carrerabahn vorstellen. Nur ohne Loopings. Klemmen | |
greifen jede Ausgabe im Abstand von wenigen Zentimetern und tuckeln sie in | |
drei, vier Metern Höhe durch den Raum. Es rattert, klappert und brummt. | |
Schließlich verschwinden die Zeitungen hübsch aufgereiht hinter riesigen | |
Plastikvorhängen. In einer weiteren Halle verschnüren Versandmitarbeiter | |
die Pakete, dann bringt ein Transportband die gestapelten Zeitungen nach | |
draußen. Es ist kurz vor 18 Uhr, jetzt übernimmt die Spedition. | |
Ein Mann in Arbeitsklamotten greift die Zeitungen an ihren Verschnürungen | |
und stapelt sie in seinen weißen Lieferwagen. Er kontrolliert den | |
Lieferschein, läuft ums Auto. Nach wenigen Minuten hat er die Zeitungen | |
verstaut. Dann erst stellt er sich vor: „Ich bin Marko und du bist jetzt | |
200 Kilometer mein Gefangener“, sagt er. Trotz der Warnung steigt der | |
Journalist ein, Marko fährt los. Sein Nachname? „Huhn, wie ein richtiges | |
Huhn.“ Er möchte aber beim Du bleiben. | |
## Auf der A24, 18 Uhr: in Markos Auto | |
Marko ist der Mann, der die taz von Wittenburg nach Berlin bringt. Er sagt, | |
für viele Menschen ist es selbstverständlich, in der Auslage oder im | |
Briefkasten die Zeitung zu finden. Dahinter steckt aber eine Menge Arbeit. | |
Arbeit von Menschen wie ihm. „Ich bin froh, ein Teil davon zu sein.“ Er ist | |
gerade 50 geworden, kommt aus einem kleinen Ort in Brandenburg und so | |
spricht er auch. | |
Marko arbeitet auch noch im Baumarkt. „Holzabteilung“, sagt er. Er verdient | |
genug mit diesem Job, aber Autofahren ist sein Hobby. „Beim Fahren vergisst | |
du den ganzen Tag, die ganze Woche. Ich komme dabei runter.“ Zu Hause hat | |
er vier Autos, sagt er, weil er Autos eben mag. In einem kann er sogar | |
schlafen. Manchmal stört ihn nur die Einsamkeit. „Es ist schön, wenn ich | |
mal nicht allein fahren muss.“ | |
Seit 2016 macht er die Zeitungstouren jetzt. Den Tipp hat er von seinem | |
Bruder bekommen, der ist Fernfahrer. Während er redet, verschwindet die | |
Sonne langsam hinter der Autobahn. Wie eine Deutschlandfahne, nur | |
rückwärts: Gelb, Rot, Schwarz. Marko sitzt meist im halben Schneidersitz | |
mit einem angewinkelten Bein. Manchmal lehnt er sich etwas vor und stützt | |
sich auf das Lenkrad. Auf Dauer brauche man schon Sitzfleisch für den Job, | |
sagt er. | |
Mit konstant 110 km/h fährt er ruhig und sicher bis nach Staaken bei | |
Berlin. Dort befindet sich ein Verteilzentrum der Spedition Ohl auf einem | |
Industriegelände. Keine Laternen, alles dunkel. Es ist nach 20 Uhr, als der | |
Mercedes Vito von der Hauptstraße biegt. | |
## Berlin-Staaken, 20.30 Uhr: Verteilzentrum der Spedition | |
Nach wenigen hundert Metern und zwei Kurven tut sich eine große schummrige | |
Betonwüste auf. Menschen wuseln durch die Gegend, hier und dort stehen | |
Lieferwagen. Fahrer sammeln hier Zeitungen ein, transportieren sie für die | |
Spedition in eine bestimmte Stadt: manche bis nach Zürich. Die 5.000 taz | |
von Marko haben es nicht so weit. Sie bleiben in Berlin oder landen in | |
Autos nach Dresden, Erfurt, Frankfurt (Oder). Neben der taz warten dort | |
auch Exemplare der Jungen Welt, BZ und kleinerer Lokalblätter auf ihre | |
Weiterreise. | |
Aus offenen Hallen leuchten Neonröhren, daneben stapeln sich Paletten auf | |
einer Rampe. Zwei Baucontainer dienen als Anlaufpunkt für die Mitarbeiter. | |
Ansonsten Autos oder Dunkelheit. Marko parkt seinen Wagen quer, mitten auf | |
dem Gelände, öffnet alle Türen, steigt aus. Erst mal eine rauchen. Dann | |
lädt er seine Ware aus. | |
Kurz darauf kommt der Gabelstapler mit ordentlich Tempo angefahren. Das | |
Geräusch erinnert an Autoscooter. Der Fahrer bedient die mächtigen Greifer | |
so gekonnt, dass er trotz des Tempos präzise in die Aussparungen der | |
Europalette greift. Schwungvoll wendet er und steuert auf die Halle zu. Die | |
ist so gebaut, dass Lkws direkt dort andocken und ausladen können. Lkw | |
fährt hier aber niemand. Selbst die Lieferwagen der Spedition werden kaum | |
noch voll. Noch vor ein paar Jahren ist das anders gewesen, sagt Marko. Ein | |
Kollege neben ihm nickt und macht eine Was-soll-man machen-Geste mit der | |
Hand. Die Leute lesen nur noch digital, sagt er. | |
Während die Männer ihre Zeitungspakete zugeteilt bekommen, läuft | |
Radiomusik. Die Stimmung ist geschäftig, aber ruhig. Kaum jemand redet. | |
Marko zeigt auf einen Mann mit langem weißem Bart. In einer Ecke sitzt er | |
auf seiner Palette, wartet auch. „Er muss schon weit über 80 sein. Seit ich | |
angefangen habe, ist er hier“, sagt Marko. Er raucht noch eine, drückt die | |
Kippe aus und fährt wieder los. | |
## Auf der A12, kurz vor 21 Uhr: Helmut Brandt ist müde | |
Noch einer, der immer noch arbeitet, ist Helmut Brandt. Er liefert die taz | |
und auch andere Zeitungen nach Frankfurt (Oder). Er hat einen Traum: Am | |
liebsten würde er mit seiner Frau in einer 400-Seelen-Gemeinde in | |
Schleswig-Holstein leben, in seiner Heimat. Er würde Motorrad fahren, weil | |
ihm das Freude macht. | |
In der Realität steht Brandt pünktlich um 20.45 Uhr auf dem asphaltierten | |
Betriebsgelände in Berlin-Staaken. In seinem Wagen wabert Antenne | |
Brandenburg durch Zigarettenschwaden. Der schmächtige Mann trägt eine enge, | |
weiße Fleecejacke, Jeans und Sportschuhe. Helmut Brandt wird dieses Jahr 77 | |
Jahre alt. Es ist sein zweiter Job an diesem Tag. „Autofahren ist das | |
Einzige, das ich gesundheitlich noch machen kann“, sagt er. Seine Frau | |
wartet zu Hause in Lichtenberg auf ihn. Sie ist schwer krank. Beide | |
bekommen eine niedrige Rente. Anstatt in den Sternenhimmel von | |
Schleswig-Holstein zu schauen, wird er Zeitungen nach Brandenburg fahren. | |
Der Gabelstaplerfahrer zeigt wieder sein Können. Zeitungen werden verladen, | |
Brandt nimmt Kurs auf Frankfurt (Oder). Ist er sauer auf den Staat, die | |
Politik oder sich selbst wegen seiner Situation? „Ich habe mir das selbst | |
zuzuschreiben“, sagt er und gibt Gas. Helmut Brandt hat lange nicht in die | |
Rentenversicherung eingezahlt. „Auf den Staat bin ich nur sauer, weil der | |
es immer noch nicht geschafft hat, Frauen und Männer gleich zu bezahlen. | |
Das kann doch nicht sein. Frauen leisten doch viel mehr als wir Männer.“ | |
Danach schweigt er, zündet sich eine Zigarette an. Alle paar Minuten piept | |
Google Maps irgendwelche Warnungen aus: Baustelle, Tempovorgabe, Blitzer. | |
In Frankfurt (Oder) sind kurz nach 22 Uhr bereits die Bordsteine | |
hochgeklappt. Nur der weiße Lieferwagen schlängelt sich durch die Straßen. | |
Brandt fährt auf das Betriebsgelände der MOZ und öffnet das Heck. | |
Routiniert beginnt ein Mitarbeiter direkt mit dem Ausladen. Helmut Brandt | |
wird gleich wieder in Richtung Autobahn verschwinden. Anderthalb Stunden, | |
dann ist er zu Hause. | |
## Frankfurt/Oder, 22.30 Uhr: Bei der MOZ wird gemotzt | |
Drinnen bei der Märkischen Oderzeitung hingegen steppt der Bär. Etwa zehn | |
Menschen verpacken die MOZ, verteilen sie auf verschiedene Paletten. Auch | |
die taz von Helmut Brandt wartet auf ihre Abholung. Die Stimmung ist hart, | |
aber herzlich. Anstatt diskreter Höflichkeiten gibt es permanent | |
Breitseite. Wenn jemand Neues ankommt, ist eine gängige Begrüßung: „Wat | |
willst du denn hier?“ Einer tritt an einen Gabelstapler und drückt auf die | |
Hupe, einfach aus Spaß. Der Versandleiter stürmt aus seinem Büro und | |
schreit ihn an: „Arbeitslos!“ Alle kichern. Ein Speditionsfahrer hat sich | |
ein vierrädriges Wägelchen gekrallt und versucht damit Skateboard zu | |
fahren. | |
Der Versandleiter raunzt einen Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft an, | |
offenbar fehlen Zeitungen. Nix mit zur Seite nehmen und diplomatisch unter | |
vier Augen klären. Ziemlich laut sagt er: „Wenn etwas fehlt, dann musste | |
mir das sagen.“ Der andere schaut nach unten, antwortet: „Ja“. Tippelt von | |
einem Bein aufs andere. | |
Eine Gruppe ukrainischer Frauen macht derweil Pause auf einer Palette. Es | |
ist weit nach Mitternacht. Manche gönnen sich Suppe oder Kaffee für 50 Cent | |
aus dem Automaten. Die meisten, die hier arbeiten, tun das schon sehr | |
lange, sagt einer. „Wir lieben den Job.“ Nach einer Weile kommt ein Mann | |
Anfang 50 mit seiner Ameise (eine Art mechanischer Gabelstapler) um die | |
Ecke und fragt den Journalisten: „Na, wer hat Sie denn vergessen?“ Wie sich | |
herausstellt, heißt er Mario Knappe. Er soll die taz und damit auch den | |
zugehörigen Journalisten auf den letzten Metern nach Brieskow-Finkenheerd | |
mitnehmen. Schön, dass man offensichtlich noch gefunden wurde. | |
## Brieskow-Finkenheerd, 1.15 Uhr: die Chefin von dit Janze | |
Die letzte Tour beginnt um 1 Uhr nachts und dauert nur 15 Minuten. Knappe | |
sagt, für ihn läuft das Geschäft nicht mehr so wie früher. Er ist seit 23 | |
Jahren dabei, hat seine eigene Firma aufgebaut. Auch in seinen Autos landen | |
immer weniger Zeitungen. Trotzdem sorgt er sich nicht. Wenn es keine | |
Zeitungen mehr gibt, liefert er etwas anderes aus. Jetzt lenkt er den | |
Transporter in eine Wohnstraße. Da wartet schon Andrea Piechulek, die | |
Zustellerin, auf ihn. Knappe steigt aus und verpasst ihr einen Kuss auf die | |
Wange. Piechulek gluckst zufrieden. | |
Dann beginnt sie, die Zeitungen umzuladen. Sie mag diesen Job. „Dit macht | |
Spaß. Keiner sagt mir, wie ich meine Tour machen soll. Ich könnte laufen | |
oder Rad fahren.“ Aber hier durch die Walachei? Nee, da fährt sie lieber | |
Auto. Sie kann davon auch leben, sagt sie. Jetzt sind es nur noch wenige | |
Meter zum einzigen taz-Leser im Bezirk. Um 2 Uhr nachts steckt Andrea | |
Piechulek schließlich die Zeitung in den Kasten. Der Abonnent liest die taz | |
schon seit Jahren. Aber die Rente reicht nicht. Zum Ende der Woche hat der | |
90-Jährige sein Abo gekündigt. „Das sind noch mal 300 Mark im Jahr, die | |
habe ich einfach nicht.“ | |
Die Menschen zwischen Redaktion und Briefkasten schlagen sich die Nacht um | |
die Ohren. Sie arbeiten als Rädchen im Getriebe, zuverlässig, engagiert und | |
für wenig Geld. Sie sind wichtig. Für Piechulek, Knappe, Brandt, Huhn und | |
Huster ist es wieder eine Zeitung weniger, die sie drucken, transportieren | |
oder ausliefern. Zumindest werktags. | |
2 Apr 2025 | |
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