# taz.de -- taz-Zusteller zum Abschied: „Ich konnte in den Spiegel gucken“ | |
> Harald Heck hat 30 Jahre lang den Vertrieb der taz in Hamburg | |
> organisiert. Ein Gespräch über Autonomie, Schlüssel und eine Ära, die zu | |
> Ende geht. | |
Bild: Ein Blick zurück: taz-Zusteller Harald Heck geht nach 30 Jahren von Bord | |
taz: Wie wird man als gebürtiger Soziologe Vertriebsmitarbeiter bei der | |
taz, Harald? | |
Harald Heck: Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und mein Geld mit | |
Erwachsenenbildung verdient und habe dann festgestellt: Das ist nicht | |
solide, weil ich damals eine sehr junge Tochter hatte und meine Frau noch | |
im Studium war. Dann gab es eine Anzeige in der taz, dass Volker Hartwig | |
jemanden suchte, der ihm hilft, den Vertrieb für die Botenzustellung | |
aufzubauen. Ich dachte: Ich schaue mir das einfach mal an. Nicht mit der | |
Perspektive, dass ich das sehr lange machen wollte, aber es interessierte | |
mich, und ich dachte, als Soziologe kann man sowieso alles machen. | |
Daraus sind dann 30 Jahre geworden. | |
Ja, darüber hab ich gestern nachgedacht: Das ist jetzt die Hälfte meines | |
Lebens, die ich damit verbracht habe. | |
Mit welchen Gefühlen siehst du zurück? | |
Es ist zwiespältig. Auf der einen Seite hat es mir eine Zeit beschert, in | |
der ich gelernt habe, sehr viel Eigenverantwortung zu übernehmen, | |
spätestens seit Volker 2000 ausgestiegen ist. Die Momente, in denen ich | |
dachte: Oh, jetzt bist du wirklich mit dem ganzen Kram alleine, du musst | |
dich um die Träger kümmern, du musst dich darum kümmern, dass du immer | |
jemanden hast, wenn du mal krank bist, wenn du eine Urlaubsvertretung | |
brauchst. Aber je mehr ich die Sache in den Griff bekam, desto mehr | |
Autonomie bescherte sie mir, so dass ich hier im Stadtteil St. Georg viel | |
machen konnte. | |
Nämlich? | |
Theatergruppe, Stadtteilzeitung, literarisches Menü – all diese Sachen | |
wären sonst nicht möglich gewesen. | |
Nach allem, was man hört, habt ihr sehr einfach angefangen. Machte das | |
Improvisieren ein Teil des Reizes aus? | |
Wir hatten damals gar keine andere Perspektive. Die Computer kamen erst | |
auf, und von Berlin aus war alles noch analog organisiert. Wir bekamen | |
einmal die Woche die Änderungsmeldungen auf perforiertem Papier, die wir | |
uns in Ordner für die Träger zurechtlochten. Wir hatten noch keine | |
digitalen Stadtpläne, das heißt, ich habe Grundkarten im Maßstab 1:5.000 | |
besorgt und dann die Touren mit Stecknadeln vorbereitet und nach | |
Stecknadeldichte die Grenzen gezogen. | |
Wo war die Stecknadeldichte besonders hoch? | |
Das Abendblatt hat damals als Monopolist in Hamburg Zeitung verteilt und | |
wollte mit der taz nichts zu tun haben, und wir standen dann vor der Frage: | |
Schaffen wir es, ganz Hamburg zu übernehmen? Es gab die guten Stadtteile | |
wie Eppendorf, die Schanze bis nach Altona und Bahrenfeld. Da war es | |
relativ dicht, und dann merken wir, es gibt Grenzen, wo sich die Touren | |
nicht mehr lohnen, weil der Bote von einer Adresse bis zur nächsten fünf | |
Minuten braucht. Ich hatte immer den Rechenschnitt: eine Minute – ein Abo. | |
Das hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert, [1][weil die | |
Abodichte zurückging]. Das heißt, du brauchst als Bote im Verhältnis mehr | |
Zeit, kriegst das gleiche Geld dafür, was es für mich absehbar unrentabel | |
macht. | |
Lohnt es sich überhaupt als Bote, für die taz zu arbeiten, die nicht | |
berühmt ist für ihre Bezahlung? | |
Ich habe immer versucht, dass ich so viel Geld für die Boten | |
einkalkulierte, dass sie adäquat entlohnt wurden. Ein Problem ist, dass in | |
Stückzahlen bezahlt wird – das heißt, jede Urlaubszeit haut ins Kontor, | |
weil dann mittlerweile 40 bis 50 Prozent der Leute ihr Abo unterbrechen. | |
Ich nehme aber an, dass die Bezahlung gut war, sonst würden die Kollegen | |
nicht 29 Jahre kontinuierlich bei mir gearbeitet haben. | |
Das heißt, ihr seid gemeinsam mit der taz in die Jahre gekommen. | |
Neulich schickte mir ein Zusteller ein Bild, auf dem ich seinen Sohn als | |
Baby auf den Armen hielt. Dieser Sohn hat kürzlich, als sein Vater in | |
Ägypten etwas mit seiner Familie klären musste, seine Tour übernommen. | |
In einem Interview hast du beschrieben, dass die Zusteller, die auch das | |
Abendblatt verteilten, oft ernüchtert waren, wie wenig Trinkgeld die | |
taz-Leserschaft gab. Ist das nicht deprimierend? | |
Das ist eine Tendenz, die sich verstetigt hat. Am Anfang war es noch so, | |
dass regelmäßig etwas an den Briefkästen hing, aber das wurde immer | |
weniger. Es gab einige, die mir ein Trinkgeld für die Boten ins Büro | |
schickten, aber das war wirklich sehr überschaubar. | |
Ist das Zustellen ein undankbares Geschäft – niemand rührt sich, wenn alles | |
klappt, aber großes Geschrei, wenn nicht? | |
Ich hatte ein paar mal Vertretungen und die haben gesagt: Ich verstehe | |
nicht, warum du das so lange machen kannst. Du bist immer darauf | |
angewiesen, dass die Leute, die du in die Nacht rausschickst, zuverlässig | |
zustellen und dass die Bedingungen so sind, dass sie das auch können. Man | |
versucht sein Bestes. Aber das, was du an Rückmeldungen bekommst, ist: Da | |
hat es nicht funktioniert, da wurde ein Schlüsselbund verloren. Wenn man | |
nicht irgendwie einen Ausgleich hat, weiß ich nicht, wie man das | |
durchsteht. | |
Was war dein Ausgleich? | |
Das Theaterspielen, die Geschichtswerkstatt und später auch das Layouten in | |
der Anzeigenabteilung, mit dem ich mir einen Nebenzweig errichtet habe. Ich | |
kam darüber auch zum Plakateentwerfen und dadurch konkretisiert sich deine | |
Arbeit ganz anders. Bei der Organisation der Zustellung kannst du deine | |
Arbeit noch so gut machen, du bist einfach darauf angewiesen, dass du gute | |
Leute hast. Ich hatte das Glück, dass ich einen festen Stamm von wirklich | |
verlässlichen Leuten hatte – an Zustellern und Druckereifahrern. Ohne die, | |
und das kann ich jetzt resümierend sagen, hätte ich das nie so lange | |
durchgestanden. Ansonsten bist du nur damit beschäftigt, neue Zusteller | |
einzuarbeiten, oder zwei, drei Monate lang fegst du die Scherben auf, um | |
einen verlorenen oder gestohlenen Schlüsselbund zu ersetzen. | |
Ist es eigentlich schwierig, von den Abonnent:innen einen Schlüssel zum | |
Haus zu bekommen? | |
Mittlerweile musst du darum ringen, weil die meisten Schließanlagen und | |
teure Schlüssel haben, und für ein Probeabo macht sich niemand die Mühe, | |
mit dem Verwalter auszuhandeln, dass er für drei Monate einen | |
Zusatzschlüssel für 40 Euro bekommt, den ich ihm ja auch nicht bezahlen | |
kann. | |
Hast du das Gefühl einer zu Ende gehenden Ära, von „Wir sind die | |
Kutschen-Betreiber, und jetzt kommt das Automobil, sprich das E-Paper“? | |
Wir haben sehr viele Abonnenten verloren, [2][die im Laufe der Zeit auf das | |
E-Paper umgestiegen sind]. Diejenigen, die wir jetzt noch als Abonnenten | |
haben, kenne ich zu 90 Prozent seit 20, 30 Jahren. Das Damoklesschwert, | |
dass die Papierzustellung eingestellt wird, hängt schon seit zehn Jahren | |
immer über mir. Von daher war klar: Ich kann das nicht bis 65 machen und | |
habe Gott sei Dank die Kurve gekriegt. | |
Und bist wieder beim Papier gelandet. | |
Ja, ich bin wieder beim Papier, aber jetzt bin ich auf der herstellenden | |
Seite mit Urlaubsanspruch und geregelten Arbeitszeiten, und das ist eine | |
andere Perspektive. | |
Eine letzte Frage habe ich noch: Wie wichtig war es für dich, dass es die | |
taz war, die du zugestellt hast? | |
Meine Arbeit sollte immer im Zusammenhang zu dem stehen, was ich selber | |
vertreten kann. Auch wenn ich nicht immer alles gut fand, was in der taz | |
stand, konnte ich morgens in den Spiegel gucken und sagen: Es ist okay, was | |
du da machst. | |
24 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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