| # taz.de -- Antisemitismus unter SyrerInnen: „Es kommen doch keine Barbaren“ | |
| > Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor kritisiert die Äußerungen Josef | |
| > Schusters. Antisemitismus komme in Syrien vor, aber Generalisierungen | |
| > schürten Vorurteile. | |
| Bild: Syrische Flüchtlinge bedanken sich bei PassantInnen in Dresden für ihre… | |
| taz: Frau Kaddor, der Präsident des Zentralrats der Juden hat davon | |
| gesprochen, Geflüchtete aus Syrien entstammten „Kulturen, in denen der Hass | |
| auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“. Halten Sie das | |
| für zutreffend? | |
| Lamya Kaddor: Zunächst tue ich mich sehr schwer mit diesem | |
| undifferenzierten und festgelegten Begriff von „Kultur“, in der | |
| Antisemitismus fest verankert sei. Welche Kultur soll das genau sein? | |
| Menschen sind keine homogene Gruppe. Es gibt viele unterschiedliche Syrer. | |
| So eine pauschale Aussage über Flüchtlinge darf man nicht treffen. Als | |
| Deutscher jüdischen Glaubens sollte Herr Schuster wissen, was es bedeutet, | |
| nur noch als Kollektiv wahrgenommen zu werden. Solche generalisierenden | |
| Äußerungen schüren Ressentiments. | |
| Würden Sie bestreiten, dass es ein Problem mit Antisemitismus in Syrien | |
| gibt? | |
| Definitiv finden sich antisemitische Stereotype bei vielen Menschen aus | |
| Syrien oder anderen Ländern. Man darf nicht vergessen, dass sich Syrien | |
| beispielsweise offiziell immer noch im Kriegszustand mit Israel befindet. | |
| Seit Jahrzehnten wird ein Feindbild von Israel und den Juden in der | |
| Öffentlichkeit geschürt. In der Berichterstattung über israelische Politik | |
| kommen natürlich auch antisemitische Ressentiments vor, neben weiteren | |
| Feindbildern wie „der Westen“ oder Amerika. | |
| Vor dem Krieg haben Sie einmal im Jahr ihre Familie in Syrien besucht. Ist | |
| Ihnen dort Antisemitismus begegnet? | |
| Juden und Israel sind kein alltägliches Thema in Gesprächen gewesen. Als | |
| Deutsch-Syrerin wurde ich allerdings manchmal auf Adolf Hitler und den | |
| Holocaust angesprochen. Dabei habe ich immer wieder erlebt, dass der | |
| Holocaust geleugnet wird. Aber ich hatte nicht die ganze Zeit den Eindruck, | |
| mich unter Judenfeinden zu befinden. Ich kenne viele Syrer, die keine | |
| Ressentiments bedienen. | |
| Wie sind Sie mit dem Leugnen der Schoah umgegangen? | |
| Ich habe gesagt, dass der Holocaust historisch sehr gut belegt ist: Es ist | |
| Wahnsinn und unverschämt, ihn zu leugnen. Mir wurde dann entgegengehalten, | |
| ich sei von der deutschen Presse manipuliert. So etwas von Menschen aus | |
| Syrien zu hören, einem Land ohne freie Medien, ist grotesk. In einer | |
| solchen Diskussion gerät man dann schnell an Grenzen, weil rationale | |
| Argumente nicht weiterhelfen. | |
| Welchen Umgang kann es dann mit Antisemitismus geben? | |
| Das Einzige, was Erfolg verspricht, sind zwischenmenschliche Begegnungen | |
| verbunden mit Aufklärung. Aber auch das gilt nur für die Gruppe der | |
| Unentschiedenen, die sich nicht vollkommen auf ein Feindbild festgelegt | |
| haben. Menschen mit festen ideologischen Vorstellungen im Kopf kann man | |
| nicht erreichen. Übrigens stimmt das nicht nur in Bezug auf Antisemitismus, | |
| sondern auch in Hinsicht auf Rassismus gegenüber Muslimen oder auch Sinti | |
| und Roma. | |
| Mit welchen Strategien müsste Antisemitismus unter Geflüchteten begegnet | |
| werden? | |
| Ein erster Schritt könnte sein, in den Integrationskursen Ideologien | |
| jedweder Natur überhaupt zu thematisieren – ohne den Menschen gleich | |
| pauschal Antisemitismus zu unterstellen. Im Zusammenhang mit deutscher | |
| Geschichte könnte gezielt über extremistische Ideologien wie | |
| Rechtsextremismus, Salafismus oder eben auch Antisemitismus gesprochen | |
| werden. | |
| Liegt Herr Schuster richtig mit seiner Befürchtung, die große Anzahl der | |
| Flüchtlinge mache die Vermittlung „unserer Werte“ und eine „erfolgreiche | |
| Integration“ schwierig? | |
| Natürlich ist eine so große Einwanderung innerhalb eines Jahres für unsere | |
| Gesellschaft eine große Herausforderung. Die Integration ist aber zu | |
| bewältigen, wenn man das klug und systematisch angeht. Manchmal frage ich | |
| mich in der Debatte über Flüchtlinge: Über wen wird da eigentlich | |
| gesprochen? Es kommen doch nicht Barbaren zu uns! Für mich gibt es keinen | |
| automatischen Konflikt zwischen Deutschen und Flüchtlingen oder Muslimen | |
| und Nichtmuslimen. Die Trennlinie verläuft zwischen denen, die Diversität | |
| und Pluralismus wollen, und denjenigen, die das ablehnen und gegen | |
| Demokratie und unseren Rechtsstaat sind. | |
| 27 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Schapira | |
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