# taz.de -- Unterkünfte in Potsdam: Flüchtlinge sollen in den Kreml ziehen | |
> Potsdams alter Landtag hat eine wechselvolle Geschichte. Nun sollen dort | |
> Hunderte Flüchtlinge unterkommen - obwohl die Stadt eigentlich keine | |
> Großunterkünfte wollte. | |
Bild: Die Zeichen der alten Zeit sind noch erkennbar: der einstige Landtag in P… | |
Es sieht aus wie eine Zwingburg, die über der Stadt thront. Vom Platz vor | |
dem Potsdamer Hauptbahnhof aus kann man das Gebäude gleich sehen, wenn man | |
dort ankommt. In etwa zehn Gehminuten erreicht man es, bergauf auf den | |
Brauhausberg. Hinein kommt man nicht. Ein Bauzaun versperrt den Weg. Es ist | |
still. Doch schon bald könnte in das Haus, das bis vor zwei Jahren der | |
Landtag Brandenburgs war, neues Leben einziehen. Bis zu 470 Flüchtlinge | |
könnten hier untergebracht werden. | |
Der Bau aus roten Ziegeln hat einen Turm in der Mitte. In Potsdam ist das | |
Gebäude als „Kreml“ bekannt – das hat mit seiner Wuchtigkeit zu tun, aber | |
auch mit einem Teil seiner Geschichte: In der DDR saß dort die | |
Bezirkszentrale der SED. | |
Die alte Parteiresidenz soll der Potsdamer Stadtverwaltung nun bei der | |
Unterbringung von Flüchtlingen aus der Klemme helfen. Bis vor kurzem war | |
sie nur als Reserve eingeplant. Doch seit die Landesregierung am Mittwoch | |
ihre neue Hochrechnung der Flüchtlingszahlen an die Brandenburger Kommunen | |
durchgab, geht es in der Stadtverwaltung hektisch zu. Oberbürgermeister | |
Jann Jakobs (SPD) sprach angesichts der neuen Prognose von „nicht | |
absehbaren Herausforderungen“. | |
Statt wie bisher angepeilt 1.600 will das Land im Jahr 2015 insgesamt gut | |
2.200 geflüchtete Menschen aus den Erstaufnahmezentren nach Potsdam | |
schicken. Und erst rund 1.000 sind in den ersten zehn Monaten gekommen. Es | |
kommen also noch etwa 1.200 innerhalb von zwei Monaten, rechnet man im | |
Rathaus. | |
„Die Plätze reichen nicht aus“, räumt auch Stadtsprecher Jan Brunzlow ein. | |
Zwar sollen in den nächsten Wochen zwei weitere Gemeinschaftsunterkünfte | |
und acht Leichtbauhallen mit insgesamt 600 Plätzen eröffnen, und die Suche | |
nach weiteren Standorten läuft. Doch ohne eine weitere große Unterkunft | |
wird die Stadt ihren Verpflichtungen wohl nicht nachkommen können. | |
Nur: Einfach einquartieren kann die Stadt zunächst niemanden in den | |
früheren Landtagsbüros. Abgesehen von der abblätternden Farbe und der 80 | |
Jahre alten Heizungsanlage fehlen vor allem ausreichend sanitäre Anlagen | |
für Hunderte Bewohner. Noch ist unklar, ob sie überhaupt schnell im Gebäude | |
installiert werden können oder ob auf dem Hof Container für Duschen und | |
Toiletten aufgestellt werden müssen. | |
Und dann gibt es da noch ein Problem: Die Stadt muss das Gebäude von einem | |
Berliner Investorenkonsortium mieten. Denn erst im Sommer hatte das | |
brandenburgische Finanzministerium die komplette Liegenschaft für 8,65 | |
Millionen Euro an die Sanus AG und die Eureka Immobilien Management GmbH | |
verkauft. | |
Das 25.000 Quadratmeter große Grundstück in bester Lage soll zum Wohn- und | |
Gewerbestandort umgebaut werden – Wohnungen, ein Gästehaus und Büros sollen | |
es werden. Die Flüchtlingsunterkunft der Stadt wird sozusagen als | |
Zwischenmieter einziehen, bis die Investoren mit ihrer Planung fertig sind. | |
Wie viel das die Stadt kosten wird, ist noch nicht klar. Mindestens 100.000 | |
Euro im Monat könnten es sein. Eine genaue Summe nennt das Rathaus auf | |
Nachfrage nicht. Die Verhandlungen laufen noch. Bisher hatte es die | |
Stadtverwaltung damit nicht allzu eilig. Man wollte nicht zu früh mieten | |
und dann möglicherweise viel Geld für eine leere Unterkunft ausgeben. Nun | |
soll es plötzlich schnell gehen. Üblicherweise senkt ein derartiger | |
Handlungsdruck nicht gerade den Preis. | |
Die Idee, Flüchtlinge in den Kreml einziehen zu lassen, ist nicht neu. Das | |
Landessozialministerium hatte das bereits im Jahr 2013 geprüft – und | |
verworfen. Begründung damals: Die Kosten für sanitäre Anlagen und die | |
Sanierung seien zu hoch. Außerdem fehle eine zweite Zufahrt für die | |
Feuerwehr. | |
## Bislang keine Proteste | |
Einen faden Beigeschmack hat der Deal außerdem, weil die Stadt damit | |
erstmals von ihrem Grundsatz abweicht, keine Großunterkünfte mit mehr als | |
200 Bewohnern zu schaffen. Bisher gibt es in Potsdam zehn | |
Flüchtlingsunterkünfte mit zwischen 30 und 190 Plätzen. Die Standorte sind | |
über das gesamte Stadtgebiet verteilt: in der Innenstadt, im ländlichen | |
Groß Glienicke, demnächst soll es auch ein Wohnheim in der noblen Berliner | |
Vorstadt und eine Leichtbauhalle im Plattenbaugebiet Drewitz geben. | |
Außerdem unterhält die Stadt drei sogenannte Wohnungsverbünde, für die | |
mehrere Wohnungen in Mehrfamilienhäusern des kommunalen | |
Wohnungsunternehmens Pro Potsdam angemietet wurden. | |
Von der dezentralen Unterbringung verspricht sich die Stadtverwaltung eine | |
einfachere Integration. Bisher scheint sie damit gut zu fahren. | |
Fremdenfeindliche Proteste wie in anderen Brandenburger Städten gab es | |
nicht. Zwar wurden im Umfeld einer geplanten Unterkunft Flyer der NPD und | |
der rechtsradikalen Splitterpartei III. Weg in Briefkästen geworfen – und | |
auf den jüngsten Bürgerversammlungen äußerten Besucher fremdenfeindliche | |
Vorurteile. Viel Zuspruch fanden die Rechtsextremisten bisher nicht. | |
Stattdessen meldeten sich im September von einem auf den anderen Tag | |
Hunderte Helfer, als die Landesregierung kurzfristig eine Außenstelle ihrer | |
zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 1.000 Menschen eröffnete. | |
Die Anmietung des alten Landtags sei kein Strategiewechsel, so | |
Stadtsprecher Brunzlow. Man setze weiter auf kleinere Unterkünfte – | |
eigentlich. Außerdem solle die Kapazität möglichst nicht voll ausgenutzt | |
werden. Maximal 350 Menschen sollen in dem Gebäude wohnen, sagt er. | |
Die Geschichte des Gebäude begann lange vor seiner Zeit als Landtag oder | |
SED-Zentrale. Errichtet wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts auf Anweisung | |
Kaiser Wilhelm II. als „Reichskriegsschule“. Damals wurden dort Kriege | |
geplant, bald könnten nun Kriegsflüchtlinge einziehen. | |
12 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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