| # taz.de -- Debatte VW-Skandal und Klimaschutz: Bis Hamburg im Meer versinkt | |
| > Jetzt ist der Moment, um den Lobby-Saustall auszumisten. Aber der | |
| > VW-Skandal zeigt: Ein grünerer Kapitalismus ist ein leeres Versprechen. | |
| Bild: Richtig kaputt. So müsste es dem ganzen Konzern jetzt eigentlich gehen | |
| Man müsste VW jetzt richtig ficken. Ein Exempel statuieren. Allerdings | |
| scheint niemand dazu bereit. Bilanzen fälschen ist zwar eine Straftat. | |
| Umweltbilanzen fälschen aber ein Kavaliersdelikt. Das ändert auch nicht die | |
| Tatsache, dass der Konzern Milliardenverluste schreibt, weil er Autos | |
| zurückruft. Wer ein Haus niederbrennt, entgeht seiner Strafe auch nicht | |
| dadurch, dass er beim Wiederaufbau hilft. | |
| Was der VW-Skandal im Kern zeigt, ist, dass ein grünerer Kapitalismus | |
| momentan nur ein leeres Versprechen ist. Weder die Reaktion der Verbraucher | |
| noch die der Medien noch die der Politik deutet auch nur im Ansatz darauf | |
| hin. | |
| Stellen Sie sich vor, jemand vergiftet einen Brunnen, in der Folge sterben | |
| 100 Menschen. Die Presse schreibt anschließend von einem „Skandal um | |
| manipulierte Zyankaliwerte bei den Wasserbetrieben“, statt von einem | |
| Anschlag auf Leib und Leben. Würde komisch klingen. | |
| VW vergiftete unsere Luft, jahrelang, wissentlich. Mit einem Gas, das | |
| nachweislich Menschen tötet, nur eben langsam, diffus, schleichend, der | |
| Quelle kaum mehr zuzuordnen. Das könnte jederzeit beendet werden, die | |
| Technik liegt serienreif in der Schublade. Es passiert aber nichts, bis die | |
| Sache auffliegt. Wir lesen dazu derzeit die Standardphrase: „Der Skandal um | |
| die manipulierten Abgaswerte bei VW.“ Wie wäre es mit dieser Version: VW | |
| hat Menschenleben auf dem Gewissen. | |
| ## Kollateralschäden der Mobilität | |
| Die Einwände liegen auf der Hand, man könnte jetzt Ulrich Beck zitieren. | |
| Die Industriegesellschaft produziert eben Nutzen und Risiken. Autofahren | |
| tötet Menschen, aber das Risiko ist allgemein anerkannt, weil keiner auf | |
| den Nutzen verzichten will. Volkswagen hat manipuliert, andere ganz legal | |
| falsche Emissionen gemessen. Vorzeitige Todesfälle durch Stickoxide sind | |
| eben die Kollateralschäden der Mobilität. | |
| Wählen Sie selbst, welche Version Ihnen griffiger erscheint. Die | |
| öffentliche Debatte um Dieselgate kippt eindeutig in die zweite Richtung. | |
| Lieblingsthemen sind Arbeitsplätze, die auf dem Spiel stehen, oder die | |
| „Marke Deutschland“, die gefährdet sei. Erinnert sich eigentlich noch | |
| jemand an VW-Betriebsräte auf Lustreisen (2005), Siemens- und | |
| Daimler-Bestechungsskandale (2008, 2010), Deutsche Bank – Korruption | |
| (1870–heute)? | |
| Das Bild der heiligen Wirtschaft deutscher Nation ist ein Witz und der | |
| VW-Skandal nur ein weiterer Beweis dafür. Kaum jemand macht sich Gedanken, | |
| wie innovationsfeindlich eine Gesellschaft wird, in der Großkonzerne der | |
| Politik die Regeln diktieren – und vor allem: wie sehr das einen | |
| ökologischen Wandel der Wirtschaft torpediert. | |
| Dröseln wir das mal auf und fangen an einem ganz anderen Ort: Paris. Dort | |
| findet im Dezember der wichtigste UN-Klimagipfel seit Jahren statt. Allein | |
| 80 Staats- und Regierungschefs reisen zum großen Weltrettungsevent an, von | |
| Obama über Merkel bis Xi. Die Vereinten Nationen wollen ein globales | |
| Klimaschutzabkommen verabschieden. Die Menschheit, eine große Familie, wird | |
| in einem Moment kollektiver Erleuchtung endlich tun, was zu tun ist. We are | |
| the world. | |
| ## Auch Manager haben ein Gewissen | |
| Nein, natürlich nicht. Schon jetzt stehen die Konturen des Abkommens und es | |
| ist ziemlich klar, was es nicht wird. Es wird für keinen Staat der Welt | |
| verpflichtend sein. Es wird keinerlei Sanktionen geben für die, die ihren | |
| Ausstoß an Klimagasen nicht wie versprochen senken. Selbst wenn sich alle | |
| dran halten, werden die Ziele nicht ausreichen, um das Überleben der | |
| Zivilisation, wie wir sie kennen, zu sichern. | |
| Kein Grund zur Sorge. Bis Hamburg im Meer versinkt, sind wir alle eines | |
| natürlichen Todes gestorben. Aber im Ernst jetzt: Die Annahme, dass auf | |
| einem Klimagipfel ein Öko-Weltstaat ausgerufen wird, der binnen kürzester | |
| Zeit das Ruder rumreißt, ist ziemlich utopisch. In Paris geht es darum, ein | |
| Schild in den Boden zu rammen, das in die richtige Richtung zeigt. Ein so | |
| tiefgreifender Wandel, wie er nötig wäre, um eine Klimakatastrophe | |
| aufzuhalten, müsste aber viel tiefer ansetzen. | |
| Es fängt an bei uns allen, weil wir anders, weniger, ökologischer | |
| konsumieren müssen. Ein neues Denken, das die Wirtschaft dankbar aufnimmt. | |
| Manager haben schließlich auch ein Gewissen. Dann reguliert die Politik | |
| entsprechend, um uns vor Greenwashing zu schützen. Durch Steuern und | |
| Angaben auf Naturverbrauch wird Ökologie zum Wettbewerbsvorteil. Eine | |
| Kausalität gibt es in der Entwicklung nicht, das befruchtet sich alles | |
| gegenseitig. So könnte ein Weg aussehen. | |
| Zugegeben, auch das klingt nach einer utopischen Art von grünem | |
| Kapitalismus. Der VW-Skandal zeigt ziemlich eindrücklich, wie viel dafür | |
| noch fehlt. Das fängt bei den Käufern an. Die Absätze bei VW brechen | |
| mitnichten ein. Den Kunden ist ein wenig Ökoschnullimanipulation offenbar | |
| egal. Umweltbewusstsein sieht anders aus. In Brüssel lässt sich die | |
| Bundesregierung wiederum weiter die Agenda von der Autoindustrie diktieren, | |
| setzt sich nach Kräften für weichere Abgasnormen ein, statt das politische | |
| Momentum des VW-Skandals zu nutzen und den Lobbysaustall auszumisten. Zudem | |
| ist eine Art Ökostrafrecht nicht einmal im Ansatz zu sehen. | |
| ## Harte Strafen für Umweltsünder | |
| Nein, so funktioniert grüner Kapitalismus nicht. Das wäre ein System, in | |
| dem ein unabhängiger, harter Staat die Normen setzt und danach die | |
| erbarmungslosen Kräfte des Marktes wildern lässt. Nur dass diese anonymen | |
| Mächte nicht mehr den belohnen, der Umwelt- und Sozialstandards möglichst | |
| elegant mit Füßen tritt, sondern denjenigen, der sie einhält. Ob diese Art | |
| von Öko-Kapitalismus funktioniert und in Zeiten des Freihandels die nötigen | |
| Regeln global durchgesetzt werden könnten – das alles steht auf einem | |
| anderen Blatt. | |
| Der VW-Skandal zeigt nur, wie weit der Weg dahin wäre. Natürlich kann es | |
| sein, dass Zivilklagen in den USA den Konzern zu Milliardenzahlungen | |
| zwingen, weil er die Luft verpestet hat. Nur hätte das keinerlei | |
| Signalwirkung. Die Konkurrenz würde sich einfach genüsslich zurücklehnen | |
| und sich denken: Selbst schuld, wenn ihr so blöd seid und euch erwischen | |
| lasst. Solange die Regierungen nach unserer Pfeife tanzen, manipulieren wir | |
| weiter – ganz legal. | |
| 1 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
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