# taz.de -- Onlinemagazin „Nachdenkseiten“: Nachgedacht und ausgestiegen | |
> Wolfgang Lieb hört bei den „Nachdenkseiten“ auf. Sein Mitherausgeber | |
> Albrecht Müller glaubt zu gern an Verschwörungstheorien. | |
Bild: Denkt auch ohne Nachdenkseiten nach: Wolfgang Lieb. | |
Zehn Jahre lang schienen sie eine gute Doppelbesetzung: Albrecht Müller und | |
Wolfgang Lieb. 2003 gründeten die beiden von der Schröder-SPD frustrierten | |
Sozialdemokraten[1][das Onlinemagazin Nachdenkseiten] , das zu einem der | |
wichtigsten Blogs für linke Gewerkschafter oder Attac-Mitglieder wurde. | |
Müller, einstmals Planungschef im Kanzleramt unter Willy Brandt und Helmut | |
Schmidt, gab den wortgewaltigen Ankläger gegen die Agenda-Politik. Lieb, | |
Staatssekretär unter NRW-Ministerpräsident Johannes Rau, war ein eher | |
zurückhaltender Kritiker. Eine tägliche Presseschau vor allem zu sozial- | |
und wirtschaftspolitischen Themen war Kern des Projekts. | |
Jetzt ist Lieb ausgestiegen. „Seit geraumer Zeit haben sich Nachdenkseiten | |
mit einem zunehmenden Anteil von Beiträgen meines Mitherausgebers nach und | |
nach verändert und verengt: thematisch, in der Methode der Kritik und in | |
der Art der Auseinandersetzung mit Menschen anderer Meinung“, schrieb er am | |
Freitag in einer langen Erklärung auf den Nachdenkseiten. | |
Gegenüber der taz wollte Lieb sich nicht äußern, um den Streit nicht weiter | |
zu befeuern. Aber der Hintergrund ist klar: Müller hat sich seit der | |
Ukraine-Krise zweifelhaften Positionen und Personen angenähert. Etwa Ken | |
Jebsen, dem früheren RBB-Moderator, der kurz nach Antisemitismusvorwürfen | |
gefeuert worden war. Müller ließ sich von ihm für seine Webseite kenfm.de | |
interviewen. | |
Sein Gespräch mit Jebsen findet sich dort neben Interviews mit dem | |
Israelhasser Martin Lejeune und Verschwörungstheoretikern wie Udo Ulfkotte | |
(“Gekaufte Journalisten“) und Daniele Ganser. Letzterer gewann eine große | |
Fangemeinde mit seinen Zweifeln an der offiziellen Version zu den | |
Anschlägen vom 11. September. | |
## Vom Schimpfwort „Lügenpresse“ nicht weit entfernt | |
Weg vom linkssozialdemokratischen Mainstream, hin zum wahnsinnigen Rand: | |
Auch auf den Nachdenkseiten ließ sich diese Wandlung finden. Etwa, als | |
Ganser in einem Interview ohne kritische Fragen einseitig dem Westen die | |
Schuld in der Ukraine-Krise zuschob und von einem „Nato-Netzwerk in den | |
Medien“ sprach. | |
Müller glaubt ebenfalls an eine gezielte „Meinungsmache“ (so sein | |
Schlagwort) – daran, dass Blattlinien in den Redaktionen fast immer von | |
oben nach unten durchgereicht und systematische Kampagnen gefahren werden. | |
Vom Schimpfwort „Lügenpresse“ der Pegida-Demonstranten ist er nicht weit | |
entfernt. Müller scheint jedenfalls nicht anzunehmen, dass Meinungen, die | |
er nicht teilt, auf anderen Erkenntnissen oder Überzeugungen beruhen | |
können. | |
Und so nähert er sich den Verschwörungstheoretikern an: Nach dem | |
Charlie-Hebdo-Attentat verweist er auf einen Beitrag von Andreas von Bülow, | |
der an eine Geheimdienststeuerung glaubt. Bülow ist regelmäßiger Gast bei | |
den Veranstaltungen von Jürgen Elsässer, dem von ganz links nach ganz | |
rechts gewanderten Chef des Compact-Magazins. Ganser tritt im nächsten Jahr | |
bei einem von AfD-Funktionären organisierten Kongress auf. | |
## Stein des Anstoßes | |
All das scheint Lieb nun zu bunt geworden zu sein: „Ich verstehe die | |
Nachdenkseiten nicht als ein Organ der Gegenpropaganda“, schreibt er. Er | |
halte „das um sich greifende konfrontative Denken in der westlichen Politik | |
für falsch“, sei aber „davon überzeugt, dass man dieses Freund-Feind-Sche… | |
nicht mit umgekehrten einseitigen Schuldzuweisungen aufbrechen kann“. | |
Die Nachdenkseiten, jetzt ohne Lieb, reagierten mit einer eher dünnen | |
Erklärung, in der sie vor allem auf die steigenden Nutzerzahlen verweisen. | |
„Wir sind für manche Zeitgenossen ein Stein des Anstoßes. Deshalb wächst | |
auch die Feindseligkeit“, heißt es dort. Unterzeichnet ist die Erklärung | |
von Müller und Redakteur Jens Berger ([2][der auch taz-Kolumnist ist]). | |
Liebs Begründung, Müller habe die Nachdenkseiten verändert, beruhe auf | |
einem „subjektiven Eindruck“. Rubriken wie „Strategien der Meinungsmache�… | |
gehörten von Anfang an zu dem Onlinemagazin. | |
Lieb will sich jetzt erst einmal in der Flüchtlingshilfe engagieren. Und | |
danach weiter publizieren – aber nicht mehr auf den Nachdenkseiten. | |
28 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nachdenkseiten.de/ | |
[2] /Jens-Berger/!a187/ | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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