# taz.de -- Unterkünfte für Flüchtlinge: Erst einmal ohne Balkon und Aufzug | |
> Es mangelt an Unterkünften für Flüchtlinge, aber auch an Sozialwohnungen | |
> für Geringverdiener. Architekten tüfteln an variablen Lösungen. | |
Bild: Leben in der Turnhalle kann nur eine vorübergehende Notlösung sein | |
BERLIN taz | Das Thema ist heikel: In Deutschland fehlen Tausende | |
geförderte Sozialwohnungen mit bezahlbarer Miete, für Geringverdiener, | |
Kleinrentnerinnen, Hartz-IV-Empfänger und anerkannte Flüchtlinge. | |
Gleichzeitig mangelt es an Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber, die | |
noch im Verfahren stecken. | |
„Es besteht die große Gefahr, dass man hilfsbedürftige Gruppen | |
gegeneinander ausspielt“, sagt Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen im | |
Berliner Abgeordnetenhaus. Kapek sieht ein neues Bauvorhaben in Berlin sehr | |
kritisch. | |
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt plant 15.000 | |
öffentlich geförderte Wohneinheiten in „modularer Bauweise“. Dabei soll es | |
sich in erster Linie um Unterkünfte für rund 30.000 Flüchtlinge handeln, | |
die man in normale Familienwohnungen umgestalten könne, erklärt Martin | |
Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in | |
Berlin. | |
In Gruppenunterkünften wohnen die Flüchtlinge während des Asylverfahrens zu | |
zweit im Doppelzimmer und teilen sich mit anderen Küche und Bad. Der Bau | |
der Wohneinheiten soll etwa 1.000 Euro pro Quadratmeter kosten, sich aber | |
auch nach den Angeboten richten. Die öffentliche Ausschreibung wendet sich | |
an Systembauer, die Bauten mit Stahlskeletten und Holzwänden anbieten, | |
sowie an Unternehmen, die mit Betonelementen arbeiten. | |
Kapek befürchtet, dass mit den neuen „Leichtbau-Wohnungen“ die | |
„Armenghettos“ von morgen entstehen könnten. Doch Entwickler von | |
Modulbauten wollen sich vom Image des Billigplatten- oder Containerbaus | |
absetzen. Architekten der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen | |
(Arge) tüfteln schon länger an variablen Lösungen, die Arbeitsgemeinschaft | |
ist eine Art Ikea für den sozialen Wohnungsbau in Schleswig-Holstein. | |
## Der Clou des Kieler Modells | |
Das „Kieler Modell“ sieht Häuser vor, in denen 24 Flüchtlinge auf einer | |
Etage zu zweit in zwölf Quadratmeter großen Zimmern wohnen, mit | |
Gemeinschaftsküchen und -bädern. Die Ausstattung ist einfach, die Räume | |
sind niedrig, Balkons und Aufzüge gibt es nicht. Die Baukosten liegen bei | |
1.300 Euro pro Quadratmeter. | |
Der Clou des Modells: Die Wände können in kurzer Zeit so umgebaut werden, | |
dass auf der Etage dann Wohnungen für Singles oder drei- und vierköpfige | |
Familien entstehen, die dem Standard des sozialen Wohnungsbaus entsprechen. | |
Dabei hat jeder Bewohner einen Raum, für Alleinstehende gilt eine | |
Wohnfläche von 45 Quadratmetern, für weitere Mieter kommen 12 Quadratmeter | |
pro Person hinzu. | |
Die Variabilität der Modulbauten mildert potenzielle Verteilungsdebatten. | |
Denn niemand will eine mögliche Wohnkonkurrenz zwischen Flüchtlingen und | |
Geringverdienern befeuern. Auch das Bundesbauministerium will kein | |
Sonderprogramm ausschließlich für Flüchtlinge, hat dem Bedarf aber durch | |
neue Gesetze und Förderungen schon Rechnung getragen. | |
Mit der Novelle des Asylrechts sind die Standards für die Nutzung | |
erneuerbarer Energien für Gemeinschaftsunterkünfte teilweise ausgesetzt, | |
das Bauplanungsrecht für diese Unterkünfte wurde gelockert. Zudem hat das | |
Ministerium die Mittel für den sozialen Wohnungsbau in den Ländern um 500 | |
Millionen Euro auf rund 1 Milliarde Euro im Jahr erhöht. | |
## Schäuble gegen steuerliche Förderung | |
Bundesbauministerium Barbara Hendricks (SPD) befürwortet zudem eine | |
„befristete und regionalisierte degressive Abschreibung“ auf den | |
Wohnungsneubau, auch eine erhöhte Abschreibung von „neu errichteten | |
Wohnungen mit Sozialbindung“ wäre „denkbar“, heißt es in einer Erkläru… | |
des Ministeriums. Von neuen steuerlichen Förderungen des Sozialbaus will | |
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nichts wissen. | |
Man sehe neue „steuerliche Anreizinstrumente für den Wohnungsbau sehr | |
kritisch“, heißt es im Ministerium. Der Finanzminister befürchtet hohe | |
Steuerausfälle, wenn neue Erleichterungen kommen. Offen wollen die | |
Ministerien den Konflikt nicht austragen – keiner möchte eine Diskussion, | |
in der die milliardenteure Flüchtlingshilfe gegen mehr steuerliche | |
Förderungen für den sozialen Wohnungsbau ausgespielt werden könnte. | |
Die Wohnungsknappheit gilt vor allem für Ballungszentren. In Städten mit | |
hoher Abwanderung wie Goslar oder Hildesheim existiere genug Wohnraum, | |
berichtet Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates in Niedersachsen. | |
Mancher Hausbesitzer bevorzuge sogar anerkannte Flüchtlinge als Bewohner. | |
14 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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