# taz.de -- Griechenland vor der Wahl: Überzeugte Linke | |
> „Es läuft so viel falsch in Griechenland“, sagt Dimitris Routos – und | |
> glaubt dennoch an den Wandel. Unterwegs mit Syriza in Thessaloniki. | |
Bild: Das Leben draußen findet nicht mehr so statt, wie früher einmal: Thessa… | |
Thessaloniki taz | Früher Abend in Thessaloniki. Vor den Fenstern des | |
schmucklosen Ladenlokals im Stadtteil Sykies sitzen vier Frauen und drei | |
Männer auf weißen Plastikstühlen. Angeregt diskutieren sie über die | |
neuesten Wahlumfragen. „Jetzt sieht es wieder ganz gut aus“, sagt | |
Eleftheria Chatzigeorgiou und nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. | |
„Die Tendenz geht nach oben.“ Im Fitnessstudio nebenan trainiert hinter | |
großrahmigen Fenstern ein Mann auf einem Laufband, auf der Empore über ihm | |
turnen mehrere Frauen. Das Treiben vor dem Büro von Syriza, dem „Bündnis | |
der radikalen Linken“, beachten sie nicht. | |
Im Stadtviertel Sykies, zehn Autominuten vom Zentrum entfernt, haben sich | |
Parteiaktivisten in Griechenlands zweitgrößter Stadt zum Straßenwahlkampf | |
verabredet. Syriza muss kämpfen, um bei der Parlamentswahl am Sonntag | |
erneut in die Regierung gewählt zu werden. Die meisten Umfragen sagen ein | |
Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Nea Dimokratia voraus. „Wir | |
warten noch ein bisschen, bevor wir losgehen“, sagt Chatzigeorgiou. „Es | |
kommen noch ein paar mehr.“ | |
Die 36-Jährige mit den blonden Haaren ist eigentlich Französischlehrerin, | |
seit zwei Jahren arbeitet sie für das Erziehungsministerium. Auf der | |
regionalen Wahlliste von Syriza steht sie auf Platz 9 und damit zu weit | |
hinten, um eine realistische Chance auf den Einzug in die Vouli, das | |
griechische Parlament, zu haben. „Aber Markos wird sicher reinkommen“, sagt | |
Chatzigeorgiou und zeigt auf den Mann, der gerade herzlich von den | |
Umstehenden begrüßt wird. Markos Barolis trägt als einziger einen Anzug. | |
Ein bisschen erinnert der graumelierte Schnauzbartträger an den | |
italienischen Film-Bürgermeister Peppone, nur mit lichterem Haar. Wie | |
Alexis Tsipras trägt der 57-Jährige selbstverständlich keine Krawatte. Mit | |
einem breiten Lächeln reicht er die Hand. | |
Als Dimitris Routos zu der Gruppe stößt, holt sofort jemand einen | |
Plastikstuhl für ihn aus dem Lokal. Der 60-Jährige setzt sich und steckt | |
sich eine Camel ohne Filter an. Routos ist ein altgedienter Genosse. | |
Bereits als Schüler schloss er sich der damals illegalen | |
eurokommunistischen KKE-Inland an, einem Vorläufer von Syriza. Das war Ende | |
der 1960er Jahre und in Griechenland herrschte die Diktatur der Obristen. | |
## Aufgeben ist keine Option | |
Routsos macht nicht den Eindruck eines Revolutionärs. Bis er vor zwei | |
Jahren in Frühpension geschickt wurde, arbeitete er 45 Jahre lang für | |
griechische und internationale Banken. Ein überzeugter Linker ist er | |
gleichwohl über all die Zeit geblieben. Mit dem Wahlsieg von Syriza im | |
Januar ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Die damalige Euphorie ist | |
längst verflogen. Die erzwungene Unterwerfung von Alexis Tsipras unter das | |
Diktat der Eurogruppe hat bei Routos Spuren hinterlassen. Aber aufgeben | |
will er nicht. „Es läuft so viel falsch in Griechenland“, sagt er. „Wir | |
müssen einfach weiter um die Chance kämpfen, das Land zu verändern.“ | |
Griechenland darf nicht wieder denen überlassen werden, die das Land in den | |
Abgrund gewirtschaftet und sich selbst die Taschen gefüllt hätten, findet | |
er. Thessalonikis früherer konservativer Bürgermeister ist vor zwei Jahren | |
wegen Korruption zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. In der | |
Stadt gibt es viele große Baustellen, auf denen nicht gearbeitet wird. Bis | |
2013 sollte eine U-Bahn mit EU-Geldern fertiggestellt werden. Die Baugruben | |
klaffen wie riesige Wunden in der Stadt. | |
Routos hat kein Verständnis für diejenigen, die Syriza nach der Ankündigung | |
der Neuwahlen verlassen und eine eigene Partei, die Laiki Enotita | |
(„Volkseinheit“), gegründet haben. „Sie begehen einen historischen Fehle… | |
sagt. Mit ihrer Abspaltung riskierten sie die linke Regierung. Dabei würde | |
ihr vermeintlicher „Plan B“, der Grexit und die Rückkehr zur Drachme, nur | |
zu einer noch größeren Verelendung führen und hätte daher zu Recht keine | |
Akzeptanz in der Bevölkerung. In den Umfragen liegt die Laiki Enotita | |
deutlich unter zehn Prozent und kann nicht einmal sicher sein, überhaupt | |
ins Parlament einzuziehen. | |
Gleichwohl bedeutet die Abspaltung der „Drachmisten“ eine Schwächung von | |
Syriza, auch und gerade in personeller Hinsicht. So hat die Partei in | |
Thessaloniki rund 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren. In Sykies waren es | |
jedoch weniger: 160 Mitglieder hatte Syriza hier vor der Spaltung, jetzt | |
sind es noch 150. „15 Leute haben uns verlassen“, sagt Eleftheria | |
Chatzigeorgiou. „Es sind aber auch fünf Neue gekommen.“ | |
## Von Laden zu Laden | |
Der breite weißgeflieste Bürgersteig vor dem Syriza-Büro hat sich gefüllt. | |
Gegen 19.30 Uhr brechen die mittlerweile mehr als 20 Männer und Frauen zu | |
ihrer Tour durch das proletarisch geprägte Viertel auf. An einem | |
Stromkasten hängen zwei Männer das erste Plakat auf. Der eine hält es fest, | |
der andere befestigt es mit einem breiten Streifen durchsichtigen | |
Klebeband. Andere stecken Flugblätter hinter Scheibenwischer der geparkten | |
Autos. | |
Ganz vorne läuft Markos Bolaris, an seiner Seite Giannis Panopoulos. Er ist | |
heute für den angehenden Abgeordneten eine Art Türöffner. Denn Panopoulos | |
war einst in Sykies Bezirksbürgermeister. „Das ist lange, lange her“, sagt | |
der ältere gesetzte Herr mit den grauweißen Haaren lachend. Damals war er | |
noch Mitglied der KKE, der kommunistischen Partei Griechenlands. In dem | |
Viertel ist er offenkundig bis heute gut angesehen. Von Laden zu Laden | |
zieht Panopoulos mit Barolis, überall wird er herzlich begrüßt. | |
Allerdings: In allzu viele Läden können die beiden und der Rest der Truppe | |
nicht gehen. „40 Prozent der Geschäfte in diesem Viertel haben in den | |
vergangenen Jahren geschlossen“, sagt Dimitris Routos. Überall sind | |
Fensterfronten vernagelt und vergittert. Die Gegend war nie so schick wie | |
Thessalonikis Innenstadt mit seinen gut besuchten Partymeilen und den | |
schönen Cafés an der Uferpromenade. Aber die gefliesten Böden und die | |
oberen Stockwerke der Häuser erinnern an den einstigen bescheidenen | |
Wohlstand. Übriggeblieben ist davon sehr wenig. | |
Routos zeigt auf die vielen leeren Verandas in den ersten Etagen der | |
Häuser. „Früher fand dort das Leben statt, alle waren draußen“, sagt er. | |
Seit der Krise zögen sich die Menschen mehr und mehr zurück. „Viele sind | |
depressiv.“ Routos ist in diesem Stadtteil geboren, er hat sein Leben hier | |
verbracht. | |
## Viele Stunden bei einem Kaffee sitzen | |
Was es hier noch recht zahlreich gibt sind, sind die Kafenio. Die äußerst | |
spartanisch eingerichteten traditionellen griechischen Kaffeehäuser sind | |
eine Männerdomäne; Frauen ist der Zutritt zwar nicht verboten, aber wenn | |
sich eine dorthin verirrt, erntet sie irritierte Blicke. Nicht nur deswegen | |
gelten sie vielen Griechen als aus der Zeit gefallen. Aber seit der Krise | |
werden die Kafenio wieder stärker frequentiert. „Viele Arbeitslose zieht es | |
dahin“, sagt er. „Sie können dort viele Stunden bei einem Kaffee für einen | |
Euro verbringen.“ | |
So sparsam muss Routos nicht sein. Als Bankangestellter hat er anständig | |
verdient. Und trotzdem hat auch ihn die Krise getroffen. „Ich bekomme 60 | |
Prozent weniger Rente als mir zugestanden hätte“, sagt Routos. Mit seinen | |
nun 1.350 Euro steht er immer noch vergleichsweise gut da. „Ich weiß, dass | |
es vielen schlechter geht.“ | |
Auch neben dem stockdunklen KKE-Büro befindet sich ein Kafenio. Eine Gruppe | |
älterer Männer sitzt an drei Tischen und spielen Karten. An der Wand hängt | |
ein großer Fernseher, eine politische Diskussion flimmert über den | |
Bildschirm. Hingeschaut wird nur selten. Auch von Routos lassen sich die | |
Männer nur kurz von ihrem Spiel ablenken. Er wechselt zwei, drei Worte, | |
legt seine Flugblätter auf die Tische und zieht weiter. Im nächsten Kafenio | |
dauert es etwas länger: Ein paar seiner alten Schulfreunde sitzen hier. | |
Dafür geht es in einem Friseursalon wieder schneller. Die Friseurin und | |
ihre Kundin würdigen Routos keines Blickes. Er legt ein Flugblatt auf einen | |
Beistelltisch und verabschiedet sich höflich. | |
Kurz vor Ende des Wahlkampfrundgangs bleibt Routos vor einem Gebäude mit | |
zwei Geschäftseinheiten stehen. Ein Laden ist geschlossen, offensichtlich | |
schon eine ganze Weile. Es war mal ein Blumengeschäft. Neben griechischen | |
Buchstaben sind an der Fassade noch Pflanzensymbole und der Schriftzug | |
„Anna“ zu erkennen. Im andern leuchtet helles Licht. Durch die großen | |
Fensterscheiben sind Aktenschränke zu sehen. Ein Mann sitzt am | |
Schreibtisch. „Diesen Laden wird es immer geben“, sagt Dimitris Routos. Es | |
ist ein Beerdigungsinstitut. | |
18 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
Pascal Beucker | |
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