| # taz.de -- Syriza-Politiker über Europas Linke: „Der einzige Kommunist im D… | |
| > Giorgos Chondros vom Syriza-Zentralkomitee über Podemos, neoliberale | |
| > Chancen und die Lehren aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres. | |
| Bild: Wahlkampf für Syriza: Alexis Tsipras (l.) und Pablo Iglesias im Januar i… | |
| taz: Herr Chondros, Wie bewerten Sie das Abschneiden von Podemos? Wird der | |
| Wahlausgang in Spanien Auswirkungen auf Griechenland haben? | |
| Giorgos Chondros: Der 20. Dezember ist ein historischer Tag nicht nur für | |
| Spanien, sondern für ganz Europa. Die neoliberalen Kräfte haben eine | |
| eindeutige Niederlage erlitten und somit auch die Austeritätspolitik. | |
| Deshalb ist das Ergebnis der Wahl sehr wichtig für Griechenland. Das gute | |
| Ergebnis von Podemos, mit der wir uns sehr verbunden fühlen, macht Mut. Die | |
| Hoffnung auf eine Alternative, deren Ausgangspunkt der Sieg von Syriza | |
| Anfang 2015 war, breitet sich langsam auf den gesamten Süden Europas aus. | |
| Der Traum von einem Europa der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie und | |
| der offenen Grenzen lebt weiter. | |
| „Die Hoffnung kommt“, lautete die Parole, mit der Ihre Partei die Wahl im | |
| Januar gewonnen hat. Was ist von der Hoffnung am Ende des Jahres in | |
| Griechenland noch geblieben? | |
| Es ist noch Hoffnung da. Aber nicht mehr die Euphorie und der Pathos, den | |
| wir alle hatten, nicht nur in Griechenland. Wir waren überzeugt, dass sich | |
| um Syriza eine starke europäische Linke aufbauen würde, die mehr bewegt als | |
| sie bisher bewegen konnte. Danach sieht es momentan leider nicht aus. | |
| Für die deutsche Linke scheint Syriza jedenfalls keine Hoffnungsträgerin | |
| mehr zu sein. | |
| Da machen es sich manche recht einfach. Für die wurden wir über Nacht zur | |
| „Verräterpartei“, weil wir den Kampf nicht gewonnen haben, zu dem sie | |
| selbst nicht willens oder in der Lage waren. Tatsache ist doch: Es wird für | |
| ganz Europa schwierig, wenn sich die Verhältnisse vor allem in Deutschland | |
| nicht ändern. Schäuble ist immer noch Finanzminister in Deutschland, nicht | |
| in Griechenland. Also, werdet ihr euren Schäuble los, dann sagt uns, was | |
| wir wie hätten besser machen können. | |
| Ist es nicht sehr bitter, dass die Regierung von Alexis Tsipras jetzt genau | |
| die Sozialkahlschlags- und Privatisierungspolitik umsetzen muss, die Syriza | |
| immer bekämpft hat? | |
| Natürlich ist die Enttäuschung groß. Wir haben eine schwere Niederlage | |
| erlitten. Tsipras ist auf dem EU-Gipfel Mitte Juli in Brüssel mit einer | |
| Situation konfrontiert worden, in der er nur noch die Wahl zwischen zwei | |
| fatalen Alternativen hatte. Mit der erpressten Unterzeichnung der | |
| Vereinbarung hat er eine unmittelbare Katastrophe vermieden. Ein | |
| ungeordneter und unorganisierter Grexit hätte ohne Zweifel noch weitaus | |
| dramatischere Folgen für die griechische Bevölkerung gehabt. So gibt es | |
| wenigstens noch kleine Spielräume. | |
| Das ist nicht viel. | |
| Das stimmt. Trotzdem spielt es eine Rolle, wer dieses schlechte Abkommen | |
| umsetzt, und vor allem: wie. Deswegen war es wichtig, dass Syriza die Wahl | |
| im September erneut gewonnen hat. Es geht darum, wie Lasten von unten nach | |
| oben umverteilt werden, dass vorrangig die Reichen für die Krise bezahlen. | |
| Das ist nicht einfach, weil die Eliten in Griechenland und auch in | |
| Deutschland das verhindern wollen. Immerhin hat es Syriza geschafft, dass | |
| bei diesem Abkommen die Rede von einem großen Schuldenschnitt ist. Die | |
| Diskussion darüber wird nach der ersten Überprüfung beginnen. | |
| Hätte nicht nach dem linken Reinheitsgebot Syriza die Regierung verlassen | |
| und in die Opposition gehen müssen? | |
| Das würde einerseits einen wichtigen Faktor ignorieren, warum die | |
| griechische Bevölkerung mehrheitlich wieder Syriza gewählt hat: Sie will | |
| wirklich Schluss machen mit dem alten Parteisystem und einen Schlussstrich | |
| unter das korrupte Regime von Nea Dimokratia und Pasok ziehen. Andererseits | |
| geht es um eine linke Grundfrage: Wenn man nicht ganz konkret versucht, | |
| jetzt und heute die Lebensbedingungen der Massen zu verbessern, wozu gibt | |
| es dann die Linke? Zu Hause sitzen und warten, dass die Revolution vom | |
| Himmel fällt, ist keine linke Politik. | |
| Die Zustimmung von Tsipras zum dritten Memorandum hat Ihre Partei fast | |
| zerrissen, viele Mitglieder haben Syriza tief frustriert verlassen. | |
| Ist das nicht nachvollziehbar? Nach der erpressten Zustimmung zum dritten | |
| Memorandum hatte auch ich zunächst das Gefühl totaler Ausweglosigkeit. Wir | |
| hatten etliche Sitzungen am Tag: Wie machen wir weiter? Machen wir | |
| überhaupt weiter? Wir begannen ein Treffen mit fünf Leuten, zum Schluss | |
| waren es noch zwei. Bei der nächsten Sitzung kamen fünfzehn, dann gingen | |
| zehn wieder raus. | |
| Wie groß ist der Verlust? | |
| Insgesamt sind etwa 50 Prozent des Zentralkomitees, ungefähr 35 Prozent der | |
| mittleren Kader und 15 Prozent der Mitglieder gegangen. Die meisten haben | |
| den sogenannten Anachoritismós gewählt, den Rückzug ins Private. Nur ein | |
| kleiner Teil hat sich der Abspaltung Laiki Enotita angeschlossen, die es | |
| bei der Wahl im September noch nicht einmal ins Parlament geschafft hat. | |
| Beruhigt Sie das? | |
| Überhaupt nicht. Unter denen, die sich zurückgezogen haben, sind viele | |
| Freunde von mir. Das tut schon sehr weh. Aber gerade basierend auf den | |
| Erfahrungen der zurückliegenden Monate müssen wir wieder aufstehen und | |
| weitermachen. Hauptmerkmal eines Linken ist nicht, wie er fällt, sondern | |
| wie er aufsteht. | |
| Wie hat sich Syriza verändert? | |
| Das lässt sich noch nicht eindeutig sagen. Es gibt auch Genossinnen und | |
| Genossen, die völlig happy sind, wie das alles gelaufen ist. Die sagen: | |
| Hauptsache, wir sind weiter an der Regierung, und die Bevölkerung ist nach | |
| wie vor mit Syriza. Ich sehe das anders. Wir haben eine schwierige Zeit | |
| sowohl hinter als auch vor uns. Alte Gewissheiten tragen nicht mehr. Wir | |
| müssen vieles überdenken. Die Partei, die Regierung und auch die sozialen | |
| Bewegungen müssen jetzt ausarbeiten, wie wir uns aus dieser Situation | |
| herauswinden können. Der Ausgang ist völlig ungewiss. | |
| Sie haben auf dem taz-lab im April gesagt, die zeitgenössische Klassenfrage | |
| sei, ob die Austeritätspolitik weiter betrieben oder auf Sozialstaat, mehr | |
| Frieden und mehr Demokratie gesetzt werde. Diese Frage ist inzwischen | |
| beantwortet, oder? | |
| Nein, die Frage ist weiter offen. Auch wenn wir eine Schlacht verloren | |
| haben – und damit meine ich die gesamte linke Bewegung in Europa. Keine | |
| Frage: Syriza hat sehr viele Fehler gemacht, nicht zuletzt aufgrund unserer | |
| Unerfahrenheit. Nur: Auch wenn wir alles richtig gemacht hätten, wäre das | |
| Resultat aufgrund der Kräfteverhältnisse dasselbe gewesen. Eine linke | |
| Regierung stand gegen achtzehn neoliberale Regierungen. Und es fehlte an | |
| einer europäischen Bewegung, die uns machtvoll hätte Beistand leisten | |
| können. | |
| Was hat Syriza falsch gemacht? | |
| Wir haben vor der Wahl im Januar versäumt, uns gründlich auf eine Übernahme | |
| der Regierung vorzubereiten. Als wir dann an der Regierung waren, haben wir | |
| geglaubt, unser Voluntarismus allein würde reichen, die Austeritätspolitik | |
| beenden zu können. Wir hatten die Illusion, dass die anderen europäischen | |
| Regierungen vernünftig handeln, und nicht rein ideologisch. Es gab auch | |
| Fehleinschätzungen, was die Solidarität der europäischen Sozialdemokratie | |
| angeht. Vor allem hätten wir viel früher erkennen müssen, dass ein Grexit | |
| für einen Teil der Eliten und für einen Teil des Kapitals das Ziel war und | |
| nicht die Bedrohung. | |
| Was ist die Lehre daraus? Geht linke Politik nur gegen die EU, wie jetzt | |
| auch viele in der deutschen Linkspartei meinen? | |
| Das ist zu kurz gesprungen. Der Rahmen, in dem wir uns bewegen und | |
| gesellschaftliche Veränderungen formen möchten, ist der europäische Raum. | |
| Ja, Europa muss sich verändern. Aber wir kämpfen nicht gegen die EU | |
| generell, sondern gegen die neoliberale EU. Die Rückkehr zum Nationalstaat | |
| ist keine Option und Nationalismus kein linkes Projekt. Es sind die | |
| Neoliberalen und Rechten, die gerade dabei sind, die europäische Idee zu | |
| zerstören: mit ihrer autokratischen Politik gegenüber Griechenland, mit | |
| ihrer nationalegoistischen Abschottung gegenüber Flüchtlingen. Dagegen | |
| müssen Linke ankämpfen. In einigen europäischen Ländern wie Spanien, | |
| Portugal oder Irland sind Kräfte im Kommen, die ähnliche Programme haben | |
| wie Syriza. Darin liegt eine Chance. Ein neoliberales Europa hat hingegen | |
| keine Perspektive. | |
| Und was ist mit der Linkspartei? | |
| Deren Programm ist zwar ähnlich, aber sie funktioniert anders. Sie ist | |
| weniger bewegungsorientiert. Vor allem muss sie sich entscheiden, ob sie | |
| Oppositionspartei bleiben oder vielleicht gerade noch Juniorpartner in | |
| einer Regierungskoalition werden will. Um die Verhältnisse in Deutschland | |
| und Europa zum Tanzen zu bringen, reicht das nicht: Die Linke muss sich | |
| entscheiden, auch in Deutschland die Macht anzustreben. Sie muss die | |
| Machtfrage stellen, so utopisch das klingen mag. Die Linkspartei liegt in | |
| den Umfragen zwischen acht und zehn Prozent und verhält sich auch so. Wenn | |
| sich das nicht ändert, dann wird sie auch weiterhin nicht viel bewirken | |
| können. | |
| Wie sieht Ihre persönliche Perspektive aus? | |
| Ich bin ein Bewegungsmensch. So bin ich auch zu Syriza gekommen. Ich bin | |
| mir sicher, die sozialen Kämpfe gehen weiter. Und ich werde weiter dabei | |
| sein. Wissen Sie, ich stamme aus Mesochora in Zentralgriechenland. Ich war | |
| lange der einzige Kommunist in unserem Dorf. Trotzdem haben mich die | |
| Menschen dort in den Gemeinderat und zu ihrem Bürgermeister gewählt. Der | |
| Grund war, dass ich jahrzehntelang gegen einen riesigen Staudamm gekämpft | |
| habe. Seit mehr als fünfzehn Jahren ist dieser Staudamm, dem Mesochora zum | |
| Opfer fallen soll, bereits fertig. Er kann nicht in Betrieb genommen | |
| werden, weil die Proteste zu groß sind. Nun kursiert ein böser Witz in | |
| Griechenland: Chondros wird den Staudamm eröffnen. Aber seien Sie sicher: | |
| Das werde ich nicht tun. | |
| 21 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
| Anja Krüger | |
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