# taz.de -- Politikerin über Mordparagraph: „‚Lebenslang‘ nicht infrage … | |
> Die CDU-Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker lehnt die geplante | |
> Reform des Mordparagrafen ab. Dafür gebe es weder Anlass noch Bedürfnis. | |
Bild: „Es geht nicht um Wahlkampf“, sagt Elisabeth Winkelmeier-Becker. | |
taz: Frau Winkelmeier-Becker, Justizminister Heiko Maas (SPD) will den | |
Mordparagrafen im Strafgesetzbuch überarbeiten. Hält die Union diese Norm | |
ebenfalls für reformbedürftig? | |
Elisabeth Winkelmeier-Becker: Ich sehe bei den Tötungsdelikten weder einen | |
Anlass noch ein Bedürfnis für eine Reform. Entsprechend sieht der | |
Koalitionsvertrag das Thema nicht vor. Das Justizministerium sollte | |
zunächst die wichtigen Themen abarbeiten, die im Koalitionsvertrag stehen: | |
Menschenhandel und Zwangsprostitution, Stalking, Vermögensabschöpfung, | |
Schutz von Polizeibeamten oder die Reform des Strafverfahrensrechts. | |
Finden Sie es richtig, dass das Strafgesetzbuch bei jeder „heimtückischen“ | |
Tötung lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht – selbst beim Mord an einem | |
Haustyrannen? | |
Die Gerichte haben zu sämtlichen Rechtsproblemen – gerade zu den einzelnen | |
Mordmerkmalen – klare, gute Lösungen entwickelt. Wenn das konkrete | |
Täterverschulden ausnahmsweise sehr gering ist, kann von lebenslanger | |
Freiheitsstrafe abgesehen werden. So ist anerkannt, dass die Heimtücke | |
einer schwachen, misshandelten Frau, die ihr Martyrium beendet, indem sie | |
ihren gewalttätigen Ehemann im Schlaf tötet, anders behandelt werden muss, | |
als wenn zum Beispiel dieser Haustyrann seine Ehefrau heimtückisch tötet. | |
Wäre es nicht sinnvoll, diese Lösung auch im Gesetz zu verankern? | |
Nach meiner Auffassung besteht keine Notwendigkeit, Ausnahmen von der | |
lebenslangen Freiheitsstrafe für einen Mord – und damit ein Abweichen | |
zugunsten des Täters – im Strafgesetzbuch zu formulieren. Es wäre wegen des | |
Umfangs auch kaum möglich, alle Bewertungskriterien im Gesetz zu verankern, | |
die für die gerichtliche Beurteilung eines solchen Tatgeschehens wichtig | |
sind. | |
Ist es nicht aus Prinzip sinnvoll, wenn die Rechtslage im Gesetz nachlesbar | |
ist? | |
Jahrzehntelang haben Richter, Staatsanwälte, Strafverteidiger und die | |
Menschen in unserem Land keine Probleme im Umgang mit diesen Regelungen im | |
Strafgesetzbuch gehabt. Bei einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung | |
bestünde die Gefahr, dass die Ausnahme in der Praxis zur Regel wird. | |
Außerdem wäre zu befürchten, dass nicht nur das Strafniveau bei den | |
Tötungsdelikten, sondern auch bei allen übrigen Straftaten sinken würde. | |
Kann es sein, dass die Union vor der nächsten Bundestagswahl unbedingt den | |
Eindruck vermeiden will, sie erlaube mildere Strafen bei Mord? | |
Es geht nicht um Wahlkampf. Es ist eine Grundsatzfrage: Wir dürfen die | |
lebenslange Freiheitsstrafe bei den Tötungsverbrechen nicht infrage | |
stellen, sie ist für unser Strafrechtsgefüge unverzichtbar. Sie hat Symbol- | |
und Signalfunktion und entspricht zudem dem Gerechtigkeitsempfinden der | |
übergroßen Mehrheit der Menschen in unserem Land. Diese Sanktion zum Schutz | |
des Lebens darf daher nicht aufgeweicht werden. Dies sind wir sowohl den | |
Opfern als auch deren Angehörigen schuldig. Der Verzicht auf die | |
lebenslange Freiheitsstrafe bei außergewöhnlichen Umständen, die zu einem | |
Mord führten, muss die Ausnahme bleiben. | |
Unterstützt die Union zumindest eine Änderung der Formulierung „Mörder ist, | |
wer … „, die von der NS-Tätertypenlehre geprägt ist? | |
Auch eine bloß redaktionelle Änderung ist im Koalitionsvertrag nicht | |
vereinbart und hat zudem keine Priorität. Unsere Strafjustiz wendet den | |
Mordtatbestand seit Jahrzehnten an, hat ihn an gesellschaftliche | |
Entwicklungen angepasst und ausgeformt. | |
Unterstützt die Union die Ergänzung der Mordmerkmale um Tötungen aus | |
„rassistischen“ oder „religiösen“ Gründen? | |
Die Tötung eines Menschen aus rassistischen oder religiösen Gründen stellt | |
unzweifelhaft immer einen niedrigen Beweggrund dar. Dieses Mordmerkmal ist | |
aber bereits geltendes Recht. Ich halte nichts davon, jeden denkbaren | |
niedrigen Beweggrund, unter den beispielsweise auch der sogenannte | |
Ehrenmord fällt, als zusätzliches Mordmerkmal in das Gesetz aufzunehmen. | |
29 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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