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# taz.de -- Strafrecht wird entnazifiziert: Mord und Totschlag
> SPD-Justizminister Heiko Maas setzt eine Expertenkommission, die jetzt
> die Kriterien für Tötungsdelikte im Strafgesetzbuch neu definieren soll.
Bild: Mordprozess vor dem Kriminalgericht in Berlin.
BERLIN taz | Die Strafbarkeit von Mord und Totschlag soll neu geregelt
werden. Das kündigte Justizminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag auf einer
Tagung des Deutschen Anwaltvereins in Berlin an. „Ich halte eine Reform der
Tötungsdelikte im Strafgesetzbuch für überfällig“, sagte Maas.
Der Mordparagraf 211 sei bis heute „vom Ungeist der Nazi-Ideologie“
geprägt, so Maas. Während im Strafrecht normalerweise eine Tat bestraft
wird, steht im Mordparagraf seit 1941: „Mörder ist, wer …“ Das Gesetz ge…
also immer noch davon aus, dass es den Tätertyp des „Mörders“ gebe.
In der gerichtlichen Praxis mache vor allem das Mordmerkmal „Heimtücke“
große Probleme, sagte Maas. „Wenn ein Mann seine Frau jahrelang misshandelt
und sie dann tötet, ist das nur ein Totschlag. Wenn aber diese Frau den
körperlich stärkeren Peiniger im Schlaf erschlägt, dann gilt das als
heimtückisch und damit als Mord.“ Maas sieht darin eine „offensichtliche
Ungerechtigkeit“.
Aus diesem Grund hat der Justizminister soeben eine 15-köpfige
Expertenkommission eingesetzt, der vor allem Wissenschaftler, Richter und
Anwälte angehören. Die Kommission soll in einem Jahr einen Reformvorschlag
vorlegen.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist schon weiter. Er hat im Januar einen
Vorschlag präsentiert, der das Strafrecht radikal vereinfachen würde.
Während bisher bei Vorliegen bestimmter Mordmerkmale – etwa Grausamkeit,
Heimtücke, niedrige Beweggründe – immer lebenslange Freiheitsstrafe
verhängt werden muss, will der DAV die Unterscheidung zwischen Mord und
Totschlag ganz aufgeben. Künftig soll im Gesetz stehen: „Wer einen Menschen
tötet, wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“
## Unpassende Ergebnisse
Unterstützt wurde der Vorschlag von Thomas Fischer, dem bekanntesten
Richter am Bundesgerichtshof. Er berichtete, wie Strafrichter heute das
geltende Recht pragmatisch umgehen, weil die Mordmerkmale sonst oft zu
unpassenden Ergebnissen führen würden. „Da wird dann der Sachverhalt
abenteuerlich umgedeutet oder es wird ein Problem bei der
Steuerungsfähigkeit des Täters konstruiert, um eine Strafmilderung zu
erreichen.“
Die Anwendung des Mordparagrafen sei in der Praxis „zufällig, teilweise
sogar willkürlich“. Überwiegend wurde der minimalistische Vorschlag des
Deutschen Anwaltvereins in der Diskussion aber kritisiert, auch von
Anwälten.
„Wir sollten es nicht allein den Gerichten überlassen, wann jemand zu
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird“, sagte Cornelius Nestler im
Namen der Strafverteitigervereinigungen: „Der Gesetzgeber sollte hier
deutliche Vorgaben machen, zum Beispiel mit Regelbeispielen.“
## Nur moderater Änderungsbedarf
Christoph Frank, der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, deutete an,
dass die meisten Richter und Staatsanwälte wohl nur „moderaten
Änderungsbedarf“ am geltenden Recht sehen. Gerhard Altvater von der
Bundesanwaltschaft warnte: „Die Reform darf nicht dazu führen, dass
Mordtaten wieder verjähren und NS-Täter dann straffrei ausgehen.“
Konsensfähig sind, so das Stimmungsbild auf der DAV-Tagung, vor allem zwei
Änderungen. Zum einen soll „die braune Soße“ aus dem Strafgesetzbuch
entfernt werden, indem wie üblich der Mord als Tat und nicht der Mörder als
Täter beschrieben wird. Erforderlich wäre aber vor allem ein „minder
schwerer Fall“ des Mordes, bei dem dann nicht automatisch lebenslange Haft
verhängt werden müsste. Dies würde den Gerichten viele Verrenkungen
ersparen.
Justizminister Maas kündigte an, dass noch in dieser Wahlperiode – also bis
2017 – eine Neuregelung im Bundestag beschlossen werden soll.
29 Apr 2014
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Strafgesetz
Tötungsdelikte
Mord
Totschlag
Heiko Maas
Bremen
Strafrecht
Mord
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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