# taz.de -- Interview mit Rechtsanwalt Armin von Döllen: „Es ist eine unmens… | |
> Der Strafverteidigertag debattiert in Bremen über eine Neufassung des | |
> Mordparagrafen und die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe. | |
Bild: Dunkle Wolken drohen Justitia | |
taz: Herr von Döllen, wie kommt der Strafverteidigertag nach Bremen? | |
Armin von Döllen: Das ist ein bundesweiter Kongress, der jährlich | |
stattfindet, jedes Mal in einer anderen Stadt. In Bremen gastiert er jetzt | |
zum dritten Mal, aber so groß war er bislang noch nie: Früher gab es einen | |
Empfang im Rathaus. Das geht diesmal nicht. Wir erwarten über 700 | |
BesucherInnen. | |
Kommt denn bei so vielen JuristInnen auch eine konkrete Position heraus? | |
Vorhersagen lässt sich das nicht, aber geplant ist die Abstimmung einer | |
Bremer Erklärung mit rechtspolitischen Forderungen. | |
Erhöht sich die Brisanz dadurch, dass wir bald Bundestagswahl haben? | |
Möglich. Es gibt seit Jahren einen Trend, durch neue Gesetze und | |
Verschärfungen von Gesetzen in allen gesellschaftlichen Bereichen stärker | |
zu reglementieren, durch neue Straftatbestände oder die Ausweitung von | |
Strafrahmen. Allerdings handelt es sich dabei oft nur um Scheinregelungen, | |
die am Kern der Probleme vorbeigehen – aber als Beruhigungspillen für die | |
Bevölkerung oder bestimmte Zielgruppen dienen. | |
Zum Beispiel? | |
Eines der jüngsten Beispiele ist die Verschärfung der Strafen für | |
Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt. Damit wird auf eine | |
vermeintliche Zunahme von Angriffen gegen Polizeibeamte reagiert. | |
Laut der Mittwoch vorgestellten Bremer Polizeistatistik nehmen die doch ab? | |
Genau: Empirisch lässt sich diese Zunahme nicht belegen, im Gegenteil. Aber | |
es gibt offensichtlich das verbreitete Gefühl bei den PolizeibeamtInnen und | |
eine steigende Unzufriedenheit. Und da sagt der Gesetzgeber: Ich tue was | |
für euch. Ich erhöhe den Strafrahmen für Widerstandshandlungen auf | |
mindestens drei Monate. | |
Bloß wozu? | |
Das ist die Frage. Es wird zu keinem einzigen Vorfall weniger führen. Es | |
ist einfach eine kostenneutrale Lösung, die im Ergebnis gar nichts bringt. | |
Sie erhöht das Machtgefälle … | |
Man kann auf die Idee kommen, dass es den PolizeibeamtInnen zu einem | |
Sonderstatus verhilft. Wo gäbe es einen Grund dafür, dass die | |
gesundheitliche und körperliche Integrität von PolizeibeamtInnen besser | |
geschützt werden muss als die beispielsweise von Feuerwehrleuten oder | |
RettungssanitäterInnen? Verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand will | |
Angriffe auf Polizeibeamte rechtfertigen. Aber die sind doch bislang auch | |
schon strafbar. Ein Sonderrecht für Polizeibeamte würde die Kluft zwischen | |
ihnen und normalen Bürgern verstärken. Das können wir nicht wollen. | |
Sie diskutieren auch über die Tötungsdelikt-Normen … | |
Da gibt es zwei zentrale Forderungen: Die Novelle des Mordparagrafen, der | |
in seiner noch geltenden Kernform von Roland Freisler stammt. | |
… dem obersten NS-Richter. | |
Der Paragraf knüpft an die vermeintliche Gesinnung des Täters an, also an | |
seine mutmaßlichen Persönlichkeitsmerkale, nicht an das konkrete | |
Tatgeschehen. Das entspringt der nationalsozialistischen Tätertypenlehre. | |
Deshalb fordern schon seit vielen Jahren verschiedene Juristenverbände die | |
Beseitigung dieses Paragrafen und Schaffung eines einheitlichen | |
Tötungsdelikts. Eng damit verbunden ist die Kritik an der lebenslangen | |
Freiheitsstrafe. Die soll durch zeitliche Freiheitsstrafe ersetzt werden | |
Warum ist die lebenslängliche Strafe so problematisch? | |
Lebenslänglich wird in der Regel zwar nicht vollstreckt, aber die | |
Unsicherheit für die Betroffenen bleibt. Und es ist eine meines Erachtens | |
unmenschliche Vorstellung, jemanden für den Rest seines Lebens | |
einzusperren. Jeder sollte nach einer gewissen Zeit die Gelegenheit | |
bekommen, in die Gesellschaft zurückkehren zu können. Sie müssen dabei auch | |
bedenken: Bei den meisten Tötungsdelikten handelt es sich um sehr spezielle | |
Situationen im Leben eines Menschen. Die werden sich in dieser | |
Konstellation sehr wahrscheinlich nicht erneut ereignen. Gerade deshalb | |
muss es einen Weg zurück ins Leben geben. | |
Das mindert aber die Genugtuung für die Angehörigen. | |
Wenn Sie das als Zweck der Strafe sehen wollen, ja. Aber das ist keine | |
Auffassung, die ich teile. Natürlich müssen wir da unterscheiden: | |
Diejenigen, die direkt betroffen sind, sollen auch nie als Richter | |
auftreten. Die haben eine andere Sichtweise als die Gesellschaft. Die | |
Gesellschaft kann meines Erachtens nicht daran interessiert sein, jemanden | |
lebenslang wegzusperren. Das vorrangige Interesse der Gesellschaft kann nur | |
sein, zu erreichen, dass dieser Mensch künftig keine Straftaten mehr | |
begeht. | |
Auf der ganz anderen Deliktseite, aber ebenso fragwürdig, gibt es das | |
Ärgernis der Ersatzfreiheitsstrafen. Warum findet die Forderung ihrer | |
Beseitigung so wenig Widerhall? | |
Das ist in der Tat eine oft erhobene Forderung. Das ist ja eine Strafe, die | |
eintritt, wenn jemand eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. | |
Eine Armenstrafe. | |
Ja, das betrifft in erster Linie die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Und | |
das ist eine grundgesetzliche Ungerechtigkeit, jemanden ins Gefängnis zu | |
stecken, dafür dass er die vorgesehene Geldstrafe nicht bezahlen kann. | |
Fürs Schwarzfahren in den Knast? | |
Ja, das kommt vor: Mehrfach ohne Fahrschein erwischt, zur Geldstrafe | |
verurteilt, die man nicht bezahlen kann – ab in den Knast. Man muss sich | |
das mal vorstellen: Ein Haftplatz kostet täglich rund 100 Euro, und das | |
fürs Schwarzfahren! Das ist ein Irrsinn, den sich die Gesellschaft da | |
leistet. | |
Ist denn das verhältnismäßig? Ließe sich diese Praxis wenn schon nicht | |
politisch, wenigstens über Karlsruhe kippen? | |
Bislang hat das Bundesverfassungsgericht die Ersatzfreiheitsstrafe als | |
grundgesetzkonform angesehen. Das geht also nur über die Änderung des | |
Gesetzes, und die ist langwierig. Man ist manchmal über die | |
Beharrungskräfte überrascht. Die sind auch bei der Frage der | |
Protokollführung bei landgerichtlichen Verfahren wirksam, die seit Jahren | |
ein großes Ärgernis ist. | |
Inwiefern? | |
Bei Verfahren, die erstinstanzlich beim Landgericht anfangen – also Taten, | |
bei denen ein Strafmaß von vier Jahren und höher erwartet wird –, gibt es | |
keine inhaltliche Protokollierung der Hauptverhandlung. Was gesagt wird, | |
von ZeugInnen, wird nirgends festgehalten. Der Bundesgerichtshof muss sich | |
anschließend auf das, was im Urteil steht, verlassen – also das, was der | |
Richter verstanden hat. Es gibt keine objektive Kontrolle. | |
Und das heute? | |
Ja, das ist ein glatter Anachronismus, vor dem Hintergrund, dass heute | |
nahezu alles aufgezeichnet wird. | |
Was spricht denn dagegen? | |
Mir ist kein ernst zu nehmendes Argument dagegen bekannt – außer dem, dass | |
man es schon immer so gemacht hätte. Was allerdings auch nicht zutrifft. | |
Irgendwie scheuen die deutschen Gerichte dieses Maß an Kontrolle. Böse | |
Zungen sprechen davon, dass es darum geht, die Deutungshoheit über den | |
Sachverhalt zu behalten. | |
24 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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