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# taz.de -- Entwicklungshilfe durch Privatwirtschaft: Wie die Welt besser werde…
> Gutmenschentum, Selbstverpflichtung, Fluchtvermeidung? Entwicklungshilfe
> folgt zunehmend den Regeln der Konzerne.
Bild: Klotzen, nicht Kleckern: Bill Gates (l) und Warren Buffett (r) zocken um …
Berlin taz | Die Umstände waren nicht die besten. 88 Milliarden Pfund
fehlen dieses Jahr im britischen Staatshaushalt. Damit ist Großbritannien
das Land mit dem relativ zweitgrößten Defizit in der Europäischen Union.
Grund genug für Philip Davies, Abgeordneter der regierenden Tories, das
neue Entwicklungshilfe-Gesetz als „völlig absurd“ abzulehnen: Das sei,
erklärte er wütend, nichts weiter als eine „Beruhigungspille für
sandalentragende Gutmenschen mit irregeleitetem Schuldkomplex“.
Sein Protest nützte nichts: Im März 2015 stimmte das britische Oberhaus der
International Development Bill zu. Von nun an muss jede Regierung in London
0,7 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe
ausgeben. Großbritannien ist damit das erste Land in der EU, das diese
Marke erreicht. Es übernehme damit „eine führende Rolle bei der Schaffung
einer stabileren, wohlhabenderen und gesünderen Welt“, sagte die
Entwicklungsministerin Justine Greening.
0,7 Prozent Hilfe für arme Länder: Das ist kein neues Ziel. Bereits 1970
verpflichteten sich die Industriestaaten per UN-Beschluss darauf. Zu den
vielen Ländern, die dieses Versprechen noch nie erfüllt haben, gehört auch
Deutschland. Zwar gab Berlin vergangenes Jahr 12,2 Milliarden Euro.
Gemessen an der 0,7-Prozent-Zusage aber sind es gut 10 Milliarden Euro zu
wenig.
Deutschland ist der einzige EU-Staat, der 2015 mehr einnimmt, als er
ausgibt. Doch für den Kampf gegen Hunger, Armut und Krankheiten zahlt er
nur 0,41 Prozent der Wirtschaftsleistung – und liegt damit auf Platz 9 der
29 Industriestaaten. Der Bundestag hat die Entwicklungshilfe kürzlich bis
2019 um 8 Milliarden Euro erhöht, erfüllt damit die Selbstverpflichtung
aber längst noch nicht. Dabei haben sich jüngst in einer Umfrage für die
Stiftung Weltbevölkerung vier von fünf befragten Deutschen dafür
ausgesprochen, die 0,7-Prozent-Zusage zu erfüllen. Rund die Hälfte wollte
gar, dass Deutschland noch mehr zahlt.
Ben Jackson, Geschäftsführer des Verbandes der britischen Entwicklungs-NGOs
BOND, hat 25 Jahre in seiner Heimat für das 0,7-Prozent-Ziel gekämpft. In
den neunziger Jahren habe Entwicklungshilfe einen schlechten Ruf gehabt,
sagt er. „Die einen haben sie missbraucht, um britische Exporte zu fördern,
den anderen galt sie als wirkungslos.“ Dass dies heute anders sei, sei
Folge einer „jahrzehntelangen Mobilisierung“ – auch aus den Parteien.
„Teile der Konservativen wollten die Partei modernisieren und beweisen,
dass sie ‚neue‘ Konservative sind.“
Gleichzeitig aber wollten die Konservativen verhindern, dass mehr
Einwanderer in ihr Land kommen. Jackson: „Sie haben das starke Engagement
für Entwicklung als eine Art Gegengewicht eingebracht, um die härtere
Einwanderungslinie zu rechtfertigen.“ Künftig soll der Entwicklungsetat
auch für den Bau von Flüchtlingsunterkünften genutzt werden.
Zwischen 2010 und 2015 wuchs der britische Entwicklungshaushalt von 13,7
auf fast 19,4 Milliarden US-Dollar. Doch wohin das Geld fließt, ist
mitnichten ausgemacht. „Manche wollen damit den britischen Außenhandel und
die britische Privatwirtschaft stärken“, sagt der Entwicklungslobbyist
Jackson.
Zudem würden Hilfsprojekte inzwischen immer stärker nach „Wirksamkeit“
beurteilt: „Dinge, die sich einfach zählen oder messen lassen – wie viele
Schulkinder bekommen ein Essen, wie viele Zelte werden gebaut.“ Wichtige
Kampagnen, etwa für Frauenrechte oder gegen Korruption, hätten es deshalb
trotz gestiegener Etats schwer: „Die Wirkung kann enorm sein, ist aber nur
schwer messbar.“
Hinzu kommt: Der private Sektor spielt in der Entwicklungshilfe eine immer
wichtigere Rolle, nicht nur in Großbritannien. Das ist eine Tendenz, die
viele internationale Experten beunruhigt. Künftig sollen etwa
Auslandsinvestitionen privater Firmen auf die Entwicklungshilfe angerechnet
werden. „Vor allem Deutschland hat sich in den letzten Jahren dafür
eingesetzt“, berichtet Jackson.
## Hilfe fürs Image
Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international in Frankfurt, hat
dies ebenfalls festgestellt: „Das Drängen der Industrie an die
Entwicklungstöpfe ist enorm.“ Seine Organisation kritisiert seit Längerem
wachsenden Einfluss privater Akteure im Entwicklungsbereich. Konzerne wie
TUI oder Ikea starten eigene Hilfsprojekte für Flüchtlinge oder
Tsunami-Opfer als Teil ihrer „Corporate Social Responsability“ genannten
Spenderaktivitäten.
Dahinter stecke nicht so sehr das Bedürfnis zu helfen als der Wunsch, das
Image der Unternehmen zu verbessern, sagt er: „Öffentliche Institutionen
sind zur Hilfe verpflichtet, an Firmen aber kann niemand mehr einen
Rechtsanspruch richten.“
Öffentliche Entwicklungsorganisationen könnten jedoch kaum planen, „wenn
jedes Industrieunternehmen sein eigenes Ding macht“, sagt Gebauer.
Tatsächlich verspricht das Abschlussdokument der G-7-Industriestaaten,
deren Regierungschefs im vergangenen Juni im deutschen Elmau tagten, Armut
und Not „durch Mobilisierung [. . .] privater Finanzierung“ zu
unterstützen. Erst danach ist von „öffentlichen Entwicklungsleistungen“ d…
Rede.
Die Vereinten Nationen zum Beispiel finanzieren ihr Entwicklungsprogramm
UNDP heute nur noch zu 34 Prozent aus Beitragszahlungen der Länder. Den
Rest, gut 2 Milliarden Dollar, geben private Stiftungen, NGOs und
Unternehmen. Das zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Global
Policy Forums namens „Fit für wessen Zwecke?“.
## Monsanto ist jetzt grün
Bekanntestes Beispiel für private Finanzierung sind die Aktivitäten des
Software-Milliardärs Bill Gates. Dessen Stiftung unterstützt etwa Programme
für eine „grüne Revolution“ in Afrika und arbeitet dabei auch mit dem
Saatgutkonzern Monsanto zusammen. Gates finanziert mit Milliardensummen
Impfprogramme wie Gavi (früher Global Alliance for Vaccines and
Immunisation genannt) unter Beteiligung großer Pharmakonzerne.
Ärzte ohne Grenzen und Oxfam kritisieren den Einfluss der Industrie bei
Gavi. Sie fordern transparente Preiskalkulation und öffentlich finanzierte
Forschung – bislang ohne Erfolg. Gates’ Ansätze entstammten der
„technokratisch-betriebswirtschaftlichen Perspektive eines Managers“, sagt
der Medico-Mann Gebauer. Durch Akteure wie Gates breite sich dieses Denken
aus.
Das zeige sich etwa bei der staatlichen deutschen Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit (GiZ). Die wurde in der letzten
Legislaturperiode wie ein Unternehmen neu strukturiert. „Soziales Handeln
verkümmert zu Überlegungen von Investition und Ertrag“, sagt Gebauer.
## Diktatur der Milliardäre
Auf ihre eigene Souveränität pochen private Geber indes offen. In der
Selbstdarstellung der Gates-Stiftung steht: „Sobald wir uns für einen
Bedürfnisbereich entschieden haben, definieren wir unsere wichtigsten
Ziele“, heißt es. „Wir identifizieren, was wir für Menschen erreichen
wollen und wo wir die größte Wirkung erzielen.“
Dazu nimmt Gates auch politischen Einfluss. So bezahlt er Medien wie die
spanische Zeitung El País, damit sie über bestimmte Entwicklungsthemen
berichten. Gleichzeitig lobt er halbjährlich Journalistenstipendien zu
Entwicklungsthemengebieten aus, die die Stiftung vorgibt.
Die Folgen der Verlagerung von Verantwortung in private Initiativen seien
an der Weltgesundheitsorganisation WHO zu besichtigen, sagt Gebauer. Deren
Budget schrumpft seit 2010, gleichzeitig sinkt der Anteil des Etats aus
Pflichtbeiträgen der Mitgliedstaaten: 1998 waren es 49 Prozent, aktuell
sind es nur noch 23 Prozent. Den Rest geben Industrie oder reiche Länder
freiwillig.
## Das Geschäft mit den Spenden
Im laufenden Haushaltsjahr zahlen die Top 20 der privaten WHO-Spender rund
eine halbe Milliarde Dollar, unter ihnen die Pharmafirmen Merck,
GlaxoSmithKline, Hoffman LaRoche, Sanofi und Novartis. Industrie und
Industriestaaten reden beim WHO-Budget mit: „Freiwillige Beiträge und
Spenden werden immer mit Zweckbindung vergeben“, sagt Gebauer.
Und so schrumpfte etwa der WHO-Etat für „Seuchenausbrüche und Krisen“ –
meist kein Problem der Industriestaaten – seit 2010 um 51,4 Prozent.
Gleichzeitig wuchs der Ansatz für nichtübertragbare Krankheiten wie
Rückenleiden, Fettleibigkeit oder Diabetes – in Industriestaaten verbreitet
und ein gutes Geschäft für Pharmakonzerne – von 6,7 auf 20,5 Prozent des
WHO-Etats.
Die Folgen können dramatisch sein, wie die jüngste Geschichte zeigt: „Die
WHO war deshalb nicht imstande, etwa die Ebola-Krise auch nur im Ansatz
bekämpfen zu können“, sagt Gebauer. Dabei sei das Problem der
Unterfinanzierung „nicht vom Himmel gefallen“. Steuersenkungen ließen
öffentliche Haushalte verarmen und sorgten gleichzeitig für immensen
Reichtum auf Seiten der Unternehmen. So könnten diese nun nach Gutdünken
Aufgaben erfüllen, die die öffentliche Hand nicht leiste.
24 Sep 2015
## AUTOREN
Christian Jakob
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