| # taz.de -- Ende der Ebola-Epidemie in Sierra Leone: Die Vergessenen von Manoh | |
| > 49 Menschen starben in einem kleinen Dorf an Ebola. Die Überlebenden | |
| > leiden weiter – und die Gefahr einer neuen Katastrophe ist nicht gebannt. | |
| Bild: In Sierra Leones Hauptstadt Freetown feiern die Menschen das offizielle E… | |
| Makeni taz | Die Frauen und Männer müssen sich ganz schön | |
| zusammenquetschen, damit sie alle im Versammlungsraum des | |
| Loreto-Gesunheitszentrums von Makeni, einer Provinzhauptstadt in Sierra | |
| Leone, Platz finden. Die bunten Plastikstühle, die in engen Reihen | |
| aufgestellt worden sind, reichen für die vielen Besucher nicht aus. Deshalb | |
| warten die älteren Kinder draußen. Sie sitzen auf einer Holzbank und | |
| schauen neugierig durch die geöffneten Fenster. | |
| Ein paar Frauen schaukeln ihre Babys und Kleinkinder hin und her. | |
| Irgendwann fängt eines an, aus Leibeskräften zu brüllen. Der Schrei | |
| durchdringt den Raum, und die Mutter geht lieber mit dem Kleinen vor die | |
| Tür. | |
| Niemand stört sich daran, denn alle Anwesenden kennen sich von Geburt an. | |
| Häufig sind sie sogar miteinander verwandt. Manoh, ihr Heimatort, ist | |
| schließlich sehr klein. Gut 500 Einwohner zählt er bloß, die auf 14 Häuser | |
| verteilt leben. Zu erreichen ist das Dorf nur zu Fuß oder mit einem Moped, | |
| da die Straßen Trampelpfade und Pisten sind. Doch ein Moped ist ein Luxus, | |
| für das niemand im Dorf Geld hat. | |
| Die Frage, ob es zumindest eine Grundschule gibt, belächelt Foday Konteh, | |
| der Vorstand des Dorfes, fast unmerklich. Selbstverständlich nicht. Die | |
| nächste liegt im größeren Nachbarort, und der Weg dorthin dauert für die | |
| Mädchen und Jungen täglich mindestens zwei Stunden. Wegen des massiven | |
| Ebola-Ausbruchs, der Ende 2013 in der Grenzregion zwischen Guinea und | |
| Sierra Leone in Westafrika seinen Anfang nahm, war die Schule jedoch ein | |
| Jahr lang geschlossen. | |
| ## Seltene Gelegenheit | |
| Um in die Provinzhauptstadt Makeni zu kommen, sind die Dorfbewohner deshalb | |
| schon kurz vor Morgengrauen aufgebrochen. Der Fußmarsch hat mehrere Stunden | |
| gedauert. Doch er war ihnen wichtig, ist es doch eine der ganz seltenen | |
| Gelegenheiten, um über ihre Ebola-Epidemie zu sprechen. Sie traf das Dorf | |
| wie kaum ein zweites: Innerhalb kurzer Zeit starben 49 Menschen. All das | |
| möchten sie einer kleinen EU-Delegation erzählen, die sich für den | |
| Nachmittag angekündigt hat. Ein paar Bewohner haben dafür extra ihre | |
| knallgelben T-Shirts angezogen, auf denen steht: „Die Ebola-Überlebenden | |
| und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Kliniken sind unsere Helden.“ | |
| Issa Conteh mag es lieber schlichter. Sein weißes T-Shirt ist verwaschen | |
| und viel zu groß für den schmächtigen 25-Jährigen. Es zeigt die Flagge von | |
| Sierra Leone. Er hat weit hinten im Raum gesessen und dem Dorfvorstand | |
| zugehört, ein paar Freunden und Nachbarn, die alle von der Katastrophe | |
| berichtet haben. | |
| In der Pause geht er vor die Tür und schaut in die Ferne. Als er anfängt zu | |
| sprechen, ist es so leise, dass man genau hinhören muss. Vor lauter | |
| Aufregung stottert er fast ein wenig. Er fährt sich über die Fingerspitzen. | |
| „Sechs“, sagt er, „sechs Menschen habe ich verloren.“ Dann zählt er au… | |
| „Meine Mama, meinen Vater, die Großmutter, einen Onkel und meine beiden | |
| Geschwister.“ Sie alle sind an der Seuche gestorben. Issa gehört heute zu | |
| den sogenannten Ebola-Überlebenden. | |
| Seit dem Wochenende gilt Sierra Leone nach den Regeln der | |
| Weltgesundheitsorganisation als Ebola-frei. 42 Tage lang hat es keine | |
| Neuinfektion gegeben. Mehr als 8.700 Menschen erkrankten in dem Land an dem | |
| Virus. Die WHO spricht von etwa 3.600 Toten, unter ihnen auch 221 Helfer | |
| aus dem Gesundheitsbereich. | |
| ## Bei den Verwandten angesteckt | |
| Langsam entspannt sich Conteh ein wenig und beginnt über die | |
| „Killer-Krankheit“ – so bezeichnet er den Virus – zu erzählen. Er war … | |
| seiner Großmutter, half der alten Frau, versorgte sie und steckte sich so | |
| bei ihr an. Vielen Menschen in Manoh erging es ganz ähnlich. Es ist eine | |
| Selbstverständlichkeit, kranke Eltern, Großeltern oder Kinder zu pflegen, | |
| zu waschen, zu füttern und auch in den Arm zu nehmen. Doch mit seiner Hilfe | |
| für die Großmutter wurde Issa selbst immer mehr zum Pflegefall. „Ich wurde | |
| so schwach, musste mich ständig übergeben, konnte nicht mehr essen. Ständig | |
| war mir schwindelig, und ich konnte nichts mehr machen“, sagt er auf Krio, | |
| der am weitesten verbreiteten Sprache in Sierra Leone. | |
| Doch damit begann die Odyssee erst. Issa wurde in ein staatliches | |
| Krankenhaus gebracht, in dem ihm niemand helfen konnte. Drei Tage später | |
| wurde er in das nächste verlegt. Schon dort bekam er Bluttransfusionen, | |
| weil er immer schwächer wurde, aber nicht die richtige Behandlung. Denn | |
| erst das dritte Krankenhaus war eine Spezialklinik für Ebola, in dem die | |
| Mitarbeiter richtige Schutzkleidung, sogenanntes Personal Protective | |
| Equipment (PPE), trugen, Sicherheitsmaßnahmen ernst nahmen und geschult | |
| waren, wie man mit dieser hochansteckenden und oft tödlichen Krankheit | |
| umgeht. | |
| Wie viele Menschen Issa Conteh auf dem Weg dorthin selbst ansteckte, kann | |
| niemand mehr nachvollziehen. Für den jungen Mann ist das vermutlich auch | |
| besser so. Über weitere Details spricht er nicht und auch nicht darüber, | |
| was er in den Stunden zwischen Leben und Tod gedacht und empfunden hat. Er | |
| wird einsilbig, und seine Sätze klingen abgehackt. | |
| Das schwache Gesundheitssystem ist mit dafür verantwortlich, dass Sierra | |
| Leone, ein Land mit rund sechs Millionen Einwohnern, so massiv von der | |
| Epidemie getroffen wurde. Dabei ist es längst nicht die erste | |
| Infektionskrankheit. 2012 kamen knapp 300 Menschen bei einem | |
| Cholera-Ausbruch ums Leben. Rund 23.000 waren infiziert. | |
| ## Hilfe ist notwendig | |
| Nach der weitaus katastrophaleren Ebola-Krise fordert Gisela Schneider, die | |
| das Deutsche Institut für ärztliche Mission (Difäm) in Tübingen leitet, und | |
| für die Hilfsorganisation Brot für die Welt medizinische Hilfsprojekte in | |
| Sierra Leone betreut, nun, endlich Gegenmaßnahmen einzuleiten. „Wir haben | |
| es immer noch mit einem extrem schwachen Gesundheitssystem zu tun. Wenn | |
| sich das nicht ändert, kommt die nächste Katastrophe“, befürchtet die | |
| Ärztin. | |
| Wichtig sei es deshalb, in Aus- und Weiterbildung zu investieren, aber auch | |
| in grundlegende Infrastruktur. „Wir müssen dafür sorgen, dass es in | |
| Krankenhäusern fließendes Wasser gibt und Abfall sicher verbrannt werden | |
| kann. Diese Maßnahmen müssen in den nächsten Jahren stetig voran getrieben | |
| werden.“ | |
| Doch das Interesse dafür ist auf internationaler Ebene längst wieder | |
| abgeklungen, und über Ebola spricht kaum noch jemand. Dabei ist es für die | |
| Bewohner von Manoh das beherrschende Thema. Nicht die Krankheit als solche, | |
| sondern wie sie mit den Folgen umgehen. | |
| Während des Wartens auf die EU-Parlamentarier erzählen sie von ihren | |
| Familien. Keine ist mehr ganz. Foday Konteh, das Oberhaupt des Dorfes, hat | |
| beide Ehefrauen verloren. Alleine muss er sich nun um neun Kinder kümmern. | |
| Manchmal wirkt er so, als ob er all das noch gar nicht richtig realisiert, | |
| geschweige denn verarbeitet hat. Andere Bewohner erzählen von der langen | |
| Quarantäne, unter der der Ort stand. Und davon, wie viele Waisenkinder sie | |
| aufgenommen haben. Eine 25-Jährige ist mit einem Mal Mutter von zwölf | |
| Kindern. Der älteste Junge ist gerade einmal zwölf Jahre alt. In Zukunft | |
| muss sie nicht nur alle versorgen, sondern auch das Schulgeld aufbringen. | |
| Issa Conteh sitzt draußen auf der Holzbank und sagt nichts. In seinen Kopf | |
| haben sich zwei Wörter eingebrannt: Issa Ebola. „So haben sie mich | |
| geschimpft, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.“ Neben dem | |
| Familienhaus in Manoh hatte er ein kleines Zimmer in Makeni, um zur Schule | |
| gehen und ein wenig Geld verdienen zu können. Als bestätigt wurde, dass | |
| auch er Ebola hat, wurde das ganze Haus in der Provinzhauptstadt unter | |
| Quarantäne gestellt – und Issa anschließend vor die Tür gesetzt. Man war | |
| wütend auf ihn, und niemand wollte noch etwas mit ihm zu tun haben. | |
| ## Hoffnungsschimmer | |
| Immerhin hat er eine neue Bleibe gefunden und auch ein wenig Geld bekommen. | |
| Das möglich gemacht hat das Gesundheitszentrum Loreto. So gut es geht | |
| kümmern sich die Mitarbeiter um die Überlebenden und ganz besonders um die | |
| Bewohner von Manoh, die sonst wohl gar keine Lobby hätten. Philomena | |
| Joseph, Ordensschwester und Leiterin, hat ihnen kostenfreie Behandlungen | |
| zugesichert. | |
| Issa hat außerdem einen Minikredit in Höhe von 200 US-Dollar erhalten und | |
| will nun weiter in Makeni zur Schule gehen. Nachmittags wird er als | |
| Verkäufer jobben, um künftig Unterkunft, Lebensmittel und den Unterricht | |
| selbst bezahlen zu können. Der Minikredit muss so lange es geht reichen, | |
| denn mehr wird er nicht bekommen. | |
| Den übrigen Bewohnern in Manoh geht es ähnlich. Die meisten haben vor der | |
| Seuche Landwirtschaft betrieben und damit gerade so überlebt. „Doch durch | |
| die lange Quarantäne durften wir im vergangenen Jahr nicht auf unsere | |
| Felder. Wir waren immer nur zu Hause“, sagt Abubakar Kamara. Es ist das | |
| erste, was der 35-Jährige erzählt. Es muss ihm ganz besonders zugesetzt | |
| haben. Die Folgen spüren alle: Eine Ernte ist ausgefallen. Viele der | |
| Überlebenden sind noch heute zu schwach, um ihre Felder zu bestellen. | |
| Kurz bevor die EU-Delegation eintrifft, hat Issa Conteh einen Wunsch. Er | |
| möchte seinem Präsidenten, Ernest Bai Koroma, etwas sagen: „Ich wünsche | |
| mir, dass er für uns ein Programm entwickelt und uns – den Überlebenden von | |
| Ebola – hilft“, sagt Issa, stockt ein wenig und fügt dann hinzu: „sonst | |
| sind wir die Vergessenen in der Zukunft.“ | |
| 8 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
| ## TAGS | |
| Ebola | |
| Ebola | |
| Sierra Leone | |
| Ebola | |
| Ebola | |
| Diskriminierung | |
| Guinea | |
| Entwicklungshilfe | |
| Ebola-Tagebuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ebola-Virus in Sierra Leone: Regierung bestätigt neuen Todesfall | |
| Gerade erst wurde Westafrika als „ebolafrei“ eingestuft. Nun bestätigt das | |
| sierra-leonische Gesundheitsministerium, dass der Tod eines Jungen mit dem | |
| Virus zusammenhängt. | |
| Ebola-Epidemie offiziell beendet: „Die Arbeit ist noch nicht getan“ | |
| Nach Sierra Leone und Guinea erklärt die WHO nun auch Liberia für | |
| ebola-frei. Jetzt beginnt eine Zeit der Überwachung – und des Aufbaus. | |
| Menschenrechte in Sierra Leone: Schwangere aus Schulen verbannt | |
| 10.000 Mädchen dürfen laut Amnesty in Sierra Leone das Schuljahr nicht | |
| beenden, weil sie schwanger sind. Die Schülerinnen müssen demütigende | |
| Kontrollen ertragen. | |
| Wahl in Guinea: Ein Präsident, seiner Zeit voraus | |
| Guineas Präsident Condé hofft auf seine Wiederwahl am Sonntag. Seit 2010 | |
| kämpft er mit den Spätfolgen der Diktatur von vorher. | |
| Entwicklungshilfe durch Privatwirtschaft: Wie die Welt besser werden soll | |
| Gutmenschentum, Selbstverpflichtung, Fluchtvermeidung? Entwicklungshilfe | |
| folgt zunehmend den Regeln der Konzerne. | |
| Ein Jahr nach Beginn des Ebola-Notstands: Die Krankheit der Überlebenden | |
| Vor einem Jahr rief die WHO den Gesundheitsnotstand aus. Und heute? In | |
| Liberia haben viele der Überlebenden Familie, Job und Besitz verloren. |