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# taz.de -- Ein Jahr nach Beginn des Ebola-Notstands: Die Krankheit der Überle…
> Vor einem Jahr rief die WHO den Gesundheitsnotstand aus. Und heute? In
> Liberia haben viele der Überlebenden Familie, Job und Besitz verloren.
Bild: Bunt gegen Ebola: Aufklärungsbotschaft an einer Mauer in Monrovia.
MONROVIA taz | Es war um die Zeit, als die Weltgesundheitsorganisation die
Ebola-Epidemie zum internationalen Gesundheitsnotstand erklärt hatte, dass
Josephine Karwahs Onkel in seiner Kirche den Segen aussprach. Er legte
einem Mann die Hand auf den Kopf.
Später stellte sich heraus, dass der Mann an Ebola erkrankt war. Innerhalb
weniger Tage lag der Pastor selbst mit Ebola im Bett. Damals, im August
2014, war es unmöglich, in einem Krankenhaus behandelt zu werden, erzählt
Josephine Karwah, das Gesundheitswesen Liberias war überfordert. Sie und
ihre Eltern kümmerten sich zu Hause um den Kranken. Der Onkel und ihre
Eltern starben – und auch Josephine Karwah steckte sich an, die da schon
sieben Monate schwanger war.
„Ich konnte nicht mehr laufen”, erinnert sie sich. „Das Virus lähmte die
Beine. Meine Gelenke taten so weh, dass ich mich nur am Stock bewegen
konnte.”
Zwei Wochen verbrachte sie in einer Notklinik, teils im Delirium, vier Tage
sind komplett aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Dann galt sie als geheilt.
Ein Wunder. Insgesamt haben nur drei infizierte Schwangere in Liberia Ebola
überlebt. Josephine Karwah ist die einzige, deren Identität bekannt ist.
Neun ihrer Familienangehörige sind jetzt tot: ihre Eltern, der Onkel, eine
Tante, ein Neffe und vier Geschwister.
## Entlassen wegen Ebola
Josephine Karwah sitzt in einer Schule am Rande Monrovias. Die NGO
Partnership for Research on Ebola Virus in Liberia hat die Gespräche mit
den Überlebenden organisiert. „Ich habe schreckliche Dinge gesehen”, sagt
sie. „Menschen mit verfaulten Zähnen. Solche, die verrückt geworden sind.
Leute mit so starkem Schluckauf, dass sie kaum Luft bekommen haben. Manche
bluteten aus Augen, Ohren und Nase. Das Bluten fängt immer im Auge an, und
es spritzt auf denjenigen, der zufällig danebensitzt. Viele sind so
gestorben.“ Sie macht eine Pause und ergänzt: „Ich lag in einem Zimmer mit
14 anderen Patienten. Wenn alle tot waren, kamen 14 neue. Da ist jemand
gesund genug, um dir beim Essen zu helfen, und plötzlich fällt sie tot um
wie ein Huhn.”
Als sie aus dem Krankenhaus nach Hause kam, noch schwanger, stellte sie
fest, dass die Nachbarn ihre Sachen verbrannt hatten. Niemand wollte mit
ihr sprechen, niemand sie berühren, sie hatte kein Essen und kein Geld, um
sich welches zu kaufen. Sie beschloss, zurück ins Krankenhaus zu fahren.
„Aber kein Auto hat mich mitgenommen. Ich hatte eine Fehlgeburt mitten auf
der Straße. Die Leute schauten zu, auf Abstand, weil sie Angst hatten, dass
ich noch ansteckend wäre. Als sie sahen, was los war, wickelten sie mich in
ein Tuch, der Fötus kam heraus, und ich ging nach Hause, um ihn zu
begraben.”
Prince Debudaine wurde am Tag seines 34. Geburtstags als geheilt entlassen:
am 20. Oktober 2014. Als er zurückkam, gab es ihn nicht mehr. „Ich bin
dreimal bewusstlos geworden, man sagte, ich sei tot. Also rieten die Leute
meiner Verlobten, meine Sachen zu verbrennen, sogar meine Matratze.” Sein
Arbeitgeber hat ihn entlassen, die Rundfunkanstalt Liberian Broadcasting
System. Weil die Überlebenden oft Beschwerden haben, ist die Angst groß,
dass sie doch noch ansteckend sein könnten.
Der Geist von Ebola sucht ihn immer noch heim, sagt er. „Mein Herz ist
nicht in Ordnung. Und ich kann nicht lange lesen, ohne dass ich
Kopfschmerzen bekomme. Vor Ebola hatte ich das alles nicht.”
Ohne eigenen Lebensunterhalt – außer ein wenig Unterstützung von
Hilfswerken – kann Prince seine Verlobte nicht heiraten. Aber immerhin hat
er sie noch. Bis er wieder einen Job gefunden hat, engagiert er sich als
Leiter des liberianischen Ebola Survivors Network.
Henry Tony wurde nicht entlassen, aber seine Arbeitskollegen mieden ihn.
„Ich machte ganz normale Dinge wie früher, und plötzlich fanden die Leute
das alles seltsam und hielten sich von mir fern. Als ich es nicht mehr
aushalten konnte, habe ich gekündigt.”
Der Chefmechaniker ist jetzt arbeitslos. Und nicht mehr derselbe, sagt er.
„Meine Beine sind taub. Unter meinen Füßen fühlt es sich an, als laufe ich
im Matsch.” Er weiß, dass es vielen Überlebenden so geht. „Manche Männer
sind impotent geworden, manche Frauen wollen plötzlich ständig Sex. Andere
können nicht mehr richtig pissen oder haben schlechte Augen. Das mit der
Taubheit in den Beinen haben andere auch; manche mussten amputiert werden.”
Er wirkt gefasst. Erst als er von seiner Frau und von seinem Sohn erzählt,
die an Ebola gestorben sind, röten sich seine trockenen Augen. „Ich habe
meine Frau so sehr geliebt“, sagt er.
## Besitz wegen „Seuchengefahr“ zerstört
Im Oktober 2014 bat Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf die Welt um
Hilfe. Sie schrieb an verschiedene Staatschefs, auch an Angela Merkel.
Jedes Land, forderte sie, möge im Rahmen seiner Kapazitäten Liberia
beistehen.
Bis Juli 2015 hatte die Welt nach UN-Angaben 5,2 Milliarden US-Dollar
zugesagt. Aber fragt man Liberias Ebola-Überlebende, was die Regierung für
sie getan hat, seit sie vom Virus genesen sind, fällt keinem etwas ein.
„Die Regierung hat gesagt, dass alles ansteckend ist, was man hat”, sagt
Josephine Karwah. „Also haben die Seuchenbekämpfer unseren ganzen Besitz
zerstört. Sie haben uns nichts dafür gegeben, nicht einmal eine Matratze.
In einem Monat ist es ein Jahr her, dass ich Ebola besiegt habe – aber ich
habe nicht einmal ein Dach über dem Kopf.” Und der Vater ihres Kindes? Sie
schweigt.
Nachts kann Josephine Karwah in der Sanker Clinic im Bezirk Margidi
schlafen; morgens muss sie raus. Keiner ihrer Angehörigen nimmt sie auf –
sie fürchten sich. „Die internationalen Hilfswerke haben uns zwischen 80
und 150 US-Dollar Hilfe gegeben, jeweils für drei bis sechs Monate. Von der
liberianischen Regierung bekamen wir nichts.”
## Wo sind die Hilfsgelder gelandet?
Liberias Regierung hat jeder Familie, die Ebola-Opfer zu beklagen hat,
5.000 Dollar versprochen. Die meisten haben nichts bekommen. Die Behörden
verlangen Sterbeurkunden als Nachweis, erzählen die, die es versucht haben.
Damals wurden aber keine ausgestellt, es gab Wichtigeres zu tun.
„Es ist überhaupt nicht klar, wo die Ebola-Hilfsgelder gelandet sind”, sagt
Sylvester Tevez, der Vorsitzende der Aktivistengruppe Organization for
Better Liberia. Er habe die Bücher mancher Organisationen gesehen. Darin
kann man das nicht nachvollziehen, sagt er.
Liberias Antikorruptionsbehörde erklärte im April, 800.000 US-Dollar
Ebola-Hilfsgelder seien spurlos verschwunden, das meiste im
Verteidigungsministerium. Die liberianische Rechnungsprüfbehörde nahm sich
die Ausgaben des National Ebola Trust Fund (NETF) in Höhe von 13 Millionen
US-Dollar vor und erklärte, die Geschäfte des NETF seien „von finanziellen
Unregelmäßigkeiten und unzulänglicher Kontrolle gekennzeichnet”.
Der Schatten von Ebola lastet auf Liberia. Es ist still auf den Straßen.
Überall stehen Tanks mit gechlortem Wasser, wo sich die Menschen ihre Hände
waschen. Sie wirken abwesend und misstrauisch, zur Begrüßung berühren sie
sich nicht mehr. Erst vor einigen Wochen gab es wieder neue Ebola-Fälle.
8 Aug 2015
## AUTOREN
Fisayo Soyombo
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