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# taz.de -- Pro & Contra Sichere Herkunftsländer: Dein Asyl, kein Asyl
> Ist es richtig, das Kosovo, Albanien und Montenegro als sichere
> Herkunftsstaaten einzustufen? Oder ist das nichts als Symbolpolitik?
Bild: Geflüchtetes Mädchen wartet an Gleisen in der Nähe von Röszke.
Ja: Triage heißt das Verfahren in der Medizin, wenn bei einem
Katastrophenfall oder in der Notaufnahme entschieden werden muss, welchen
Patienten zuerst geholfen werden kann. Und welchen erst einmal nicht, weil
für die vielen Behandlungsbedürftigen zu wenig Ressourcen zur Verfügung
stehen. Ein Konflikt, der ethisch schwierig ist, aber unvermeidbar.
So ähnlich muss man sich die Situation in der Asylfrage vorstellen.
Priorität hat die Aufnahme von Flüchtlingen aus Staaten wie Syrien, wo
Kriegshandlungen die Menschen bedrohen. Niemand weiß, wie viele von ihnen
in den nächsten Monaten kommen werden, weil die Kämpfe auf bisher
verschonte Provinzen wie Latakia übergreifen oder weil der IS Richtung
Damaskus vorrückt.
Vielleicht kann Deutschland jährlich 500.000 von ihnen aufnehmen,
vielleicht auch mehr. Sicher ist aber: Wenn Deutschland viele politisch
Verfolgte und Kriegsflüchtlinge aufnehmen will, kann es nicht auch
unbegrenzt Menschen aufnehmen, die in wirtschaftlich schwierigen
Situationen leben. Schon die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge wird vor allem
Menschen mit geringem Einkommen belasten. Sie trifft die dadurch wachsende
Konkurrenz um Wohnungen und Billigjobs am härtesten. Wer die
Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge in Deutschland erhalten will, sollte
sie nicht überstrapazieren.
Deshalb ist es richtig, das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren
Herkunftsstaaten zu erklären. Die Einwanderung aus diesen Staaten ist vor
allem wirtschaftlich motiviert. Daher liegt, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, kein Asylgrund vor. Die Ausnahmefälle können auch nach einer
Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ Asyl in Deutschland bekommen. Für
die übrigen 99 Prozent ermöglicht die Einstufung entweder zügigere
Verfahren – oder einen Abschreckungseffekt. Die Ressourcen, die dadurch
frei werden, können für die Flüchtlinge benutzt werden, die die Hilfe am
dringendsten benötigen: die aus Syrien. (Martin Reeh)
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NEIN: Vor knapp einem Jahr wurden die ersten drei Balkanstaaten zu
sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Mittlerweile ist klar: In
der Praxis hat der Schachzug, das Grundrecht auf Asyl auszuhebeln, kaum
Auswirkungen – die Anzahl der Menschen aus diesen Ländern, die Asylanträge
stellen, ist fast gleich geblieben. Das ist auch kein Wunder, weil die
Situation in den Herkunftsländern eben keine sichere ist. Der Plan der
Bundesregierung ist vor allem Symbolpolitik. Die Botschaft: Wir setzen
Grenzen.
Schlimm ist, dass diese Symbolpolitik genau die falschen Signale sendet.
Wir lassen die rein, denen es wirklich schlecht geht, wird damit
suggeriert, die Syrer etwa – und wir lassen die draußen, die
„Asylmissbrauch“ begehen.
Das sind nach dieser Lesart etwa Roma vom Balkan, von denen viele auch aus
den drei neuen Ländern kommen. Auch dort werden sie diskriminiert, leben
häufig in Slums, haben kaum Zugriff auf medizinische Versorgung, die
Kindersterblichkeit ist höher und ihre Lebenserwartung deutlich niedriger
als im Durchschnitt.
Die Bundesregierung jedoch kennzeichnet diese Menschen mit der Regelung der
sicheren Herkunftsstaaten als „Wirtschaftsflüchtlinge“, die den Deutschen
nur auf der Tasche liegen wollen und kein Recht darauf haben, hier zu sein.
So wird eine Stigmatisierung ganzer Nationalitäten betrieben – was darin
gipfelt, dass Bayern zwei Sonderlager einrichtet, in die nur Menschen aus
dem Balkan sortiert werden. Hat irgendwer was von historischer
Verantwortung gesagt?
Gerade jetzt, wo Zehntausende in Deutschland ankommen, kann es nicht darum
gehen, Kontingente für gute und schlechte Geflüchtete zu diskutieren. Was
diskutiert werden muss, sind Fragen der Verteilung und des Zusammenlebens.
Und was konkret die Asylsuchenden vom Balkan betrifft, geht es etwa um
Einwanderungsmöglichkeiten jenseits von politischem Asyl. Die zu schaffen,
wäre der Job der Politik – und nicht, immer weiter Ressentiments zu
schüren. (Patricia Hecht)
8 Sep 2015
## AUTOREN
Martin Reeh
Patricia Hecht
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Balkan
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