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# taz.de -- Mürvet Özturk über Asylpolitik: „Grüne Grundwerte verblassen�…
> Die Abgeordnete Mürvet Özturk ist mit der schwarz-grünen Asylpolitik in
> Hessen unzufrieden: Aus Protest trat sie nun aus der Grünen-Fraktion aus.
Bild: Feldbetten für Flüchtlinge in einer Turnhalle in Stern-Buchholz bei Sch…
taz: Frau Öztürk, warum sind Sie aus der Grünen-Fraktion im Hessischen
Landtag ausgetreten?
Mürvet Öztürk: Ich bin schon seit Längerem nicht mehr zufrieden mit der
Flüchtlingspolitik, die wir in der schwarz-grünen Koalition machen.
Warum?
Es fehlen die Konzepte für die Unterbringung und die Integration der
Flüchtlinge, also das, was den Kern grüner Politik ausmacht. Wir haben uns
zum Beispiel zu wenig um niedrigschwellige Deutschkurse in den
Erstaufnahmeeinrichtungen oder die Einbeziehung auf dem Arbeitsmarkt
gekümmert. Grundsätzlich gilt: Was der Bund nicht zeitnah liefern kann,
muss die Landesebene abfedern und eigene Projekte anstoßen. Aber da
passiert nicht genug, obwohl ich mehrfach versucht habe, Dinge anzustoßen.
Ist das ein rein hessisches Problem?
Auf Bundesebene fordern die Grünen das Richtige. Doch wichtig ist, was in
den Ländern geschieht, wo wir Regierungsverantwortung haben, und wie diese
im Bundesrat abstimmen. Ein Beispiel: Ich halte die Ausweitung der sicheren
Herkunftsstaaten, die aktuell diskutiert wird, für Unfug. Sie hat inden
90ern nicht funktioniert und wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Das
Asylrecht ist ein Menschenrecht und darf nicht weiter ausgehöhlt werden.
Die Bundesregierung will das – was wollen die Grünen?
Das hängt für einige Grüne davon ab, was verhandelt wird und was dabei
herauskommt. Daher befürchte ich, dass die zweite Verschärfung kommt. Und
ich vermute, dass dies im Bundesrat Unterstützung von Teilen der Grünen
finden wird. Dann würde ich die Partei verlassen.
Sind Sie mit Ihrer Fraktion grundsätzlich unzufrieden?
Mein Eindruck ist: Seitdem sich die Grünen in Hessen in einer Koalition mit
der CDU befinden, vertreten sie ihre Grundwerte nicht mehr so laut, wie sie
es früher getan haben. Aber mir sind diese Positionen, die mit Grundwerten
verbunden sind, wichtig. Es geht hier um Menschen, die zu uns kommen – und
um Grundrechte. Das sollten die Grünen nicht einfach aufgeben.
Haben sich die Grünen an der Macht verändert?
Eine Koalition bedeutet immer Kompromisse. Aber es muss rote Linien geben.
Meine rote Linie ist die Flüchtlings- und Integrationspolitik. Man muss
Strukturen schaffen oder vorhandene Strukturen so verändern, dass sich
Menschen hier von der ersten Stunde an orientieren, ehrenamtliche
Helferinnen und Helfer Unterstützung finden, Traumatisierte behandelt
werden können. Geflüchtete aus den Balkanstaaten haben andere Fluchtgründe
als beispielsweise Syrier, aber auch wirtschaftliche und soziale Not sind
Schutzgründe. Für diese Menschen muss man dann eben legale Statuswechsel
ihres Aufenthalts ermöglichen und Arbeitsmöglichkeiten schaffen, wenn sie
schon hier sind. Ein Einwanderungsgesetz ist gut und wichtig, doch bis es
geschrieben und beschlossen ist, können wir nicht alle Schutzsuchenden aus
dem Balkan abschieben.
Sind sie die Einzige, die so denkt?
Da kann ich nur für mich sprechen. Aber ich war mit einigen Entscheidungen
in der Koalition nicht zufrieden. Das war die Enthaltung der Grünen bei der
Einrichtung des NSU-Untersuchungsausschusses, für den wir Grünen uns vor
der Landtagswahl lange eingesetzt hatten. Das war aber auch der Umgang mit
dem Kollegen Hans-Jürgen Irmer, einem CDU-Rechtsaußen. Ausgerechnet er
bekam den Vorsitz im Unterausschuss für Heimatvertriebene, Wiedergutmachung
und Flüchtlinge.
Sie bleiben als fraktionslose Abgeordnete im Landtag. Was wollen Sie dort
tun?
Ich will für die Menschen zur Verfügung stehen und auch die Flüchtlings-
und Integrationspolitik weiter begleiten. In meiner Freizeit engagiere ich
mich stark für Geflüchtete und will die Dinge, die ich dort erlebe, in den
Landtag tragen. Aber ein wenig freier und ungefilterter als bisher. Mit den
Linken, der SPD beispielsweise, aber auch den Grünen oder der CDU, wenn sie
vernünftige Vorschläge machen.
Ist Schwarz-Grün ein Irrweg?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit Schwarz-Grün die asyl- und
flüchtlingspolitischen Fragen schwerer voranzubringen sind als mit
Rot-Grün. Dort habe ich auf kommunaler Ebene mit der Zusammenarbeit gute
Erfahrungen gemacht. Und ja, in der aktuellen Situation scheint mir eine
vernünftige Politik im Sinne der Flüchtlinge in der Koalition mit der CDU
nicht machbar.
10 Sep 2015
## AUTOREN
Alina Leimbach
## TAGS
Grüne
Hessen
Asyl
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Flucht
sichere Herkunftsländer
Winfried Kretschmann
Griechenland
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