# taz.de -- Hessische Landesregierung: Störfaktor in der Kuschelkoalition | |
> Ex-Grüne Mürvet Öztürk scheidet nach zehn Jahren aus dem Landtag Hessen | |
> aus. Sie kritisiert die Migrationspolitik ihrer alten Partei. | |
Bild: Ex-Grüne Mürvet Öztürk im Hessischen Landtag. Die Partei hat sie verl… | |
WIESBADEN taz | Wenn der Hessische Landtag zu Plenardebatten zusammentritt, | |
drückt die Abgeordnete Mürvet Öztürk freiwillig die Hinterbank, in der | |
vierten Reihe zwischen Linken und SPD. Sie hatte es bei ihren grünen | |
LandtagskollegInnen schließlich nicht mehr ausgehalten. Im Streit über die | |
Asylpolitik hatte Öztürk vor drei Jahren die grüne Landtagsfraktion, zwei | |
Jahre später auch ihre Partei verlassen. In der letzten Plenarwoche des | |
alten Landtags, im September, wird sie ein letztes Mal im Parlament reden | |
dürfen. Dann fällt für sie der Vorhang. | |
„Parteilos“ steht auf dem Türschild ihres Landtagsbüros. Vor zehn Jahren | |
war sie als erste türkeistämmige Abgeordnete über die Landesliste der | |
Grünen in den Hessischen Landtag eingezogen. Sie war auch noch dabei, als | |
vor fünf Jahren die schwarz-grüne Koalition Regierungsverantwortung | |
übernahm. Doch bald nach der Wahl habe ihr gedämmert, dass die | |
ParteistrategInnen „ihren“ Themen keine Priorität hätten einräumen wolle… | |
„Ich sollte nicht mehr unsere grüne Position aufschreiben. Das Ziel war die | |
Anschlussfähigkeit an den gewünschten Koalitionspartner CDU, der in diesem | |
Politikfeld mit unseren Positionen erwartungsgemäß große Probleme hatte“, | |
sagt Öztürk. Die Erzählung ihrer parteiinternen GegnerInnen ist eine | |
andere. Sie sei unzuverlässig und habe Arbeitsaufträge nicht zeitnah | |
abgearbeitet, hatten sie damals verbreitet, wollten allerdings nicht | |
namentlich genannt werden. | |
Die langjährige integrations- und migrationspolitische Sprecherin der | |
Landtags-Grünen wirft ihren früheren ParteifreundInnen vor, in der Asyl- | |
und Flüchtlingspolitik nicht das gehalten zu haben, was sie im Wahlkampf | |
versprochen hätten. „Sie sind dabei, wenn Menschen in unsichere Länder wie | |
Afghanistan abgeschoben werden, sie haben Kosovo, Montenegro und Albanien | |
im Jahr 2015 zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Das war nicht die | |
Politik, für die ich gewählt worden bin“, sagt sie der taz. | |
## Klartext und Attacke | |
Mürvet Öztürk tritt offensiv für ihre Positionen ein, auf Parteitagen | |
genauso wie im Landtag. Sie redet Klartext und kann Attacke. Gern | |
widerspricht sei dabei auch Fraktionsvorsitzenden oder MinisterInnen, egal | |
welcher Partei die angehören. Trotzdem bedauern Abgeordnete anderer | |
Parteien ihr Ausscheiden. Nicht so die Grünen. Die Pressesprecherin der | |
Landtagsfraktion will sich „nicht noch einmal“ zum Fall Öztürk äußern u… | |
verweist auf die schriftliche Stellungnahme der Partei aus dem Mai 2017. | |
Dort heißt es, der Landesvorstand habe ein Ordnungsverfahren wegen | |
„parteischädigenden Verhaltens“ eingeleitet, weil Öztürk „ihr | |
Landtagsmandat auch nach ihrem Austritt aus der Landtagsfraktion im | |
September 2015 nicht an die Partei zurückgegeben“ habe. | |
Das klingt so, als sei das Mandat eines Abgeordneten Eigentum einer Partei. | |
Den Parteiaustritt hatte der Landesvorstand begrüßt: „Es ist gut, dass | |
jetzt wieder eindeutig ist, wer die Interessen von Bündnis 90/Die Grünen | |
Hessen im Hessischen Landtag vertritt“, so damals die grüne Landespartei. | |
Die Pressesprecherin fügt der Erklärung eine Liste „grüner Erfolge“ in d… | |
Integrations- und Asylpolitik der hessischen Landesregierung an. | |
Öztürk, Tochter kurdisch-alevitischer Eltern, hat es weit gebracht. Nach | |
einer Lehre als Groß- und Einzelhandelskauffrau studierte sie | |
Islamwissenschaften und Geschichte. Sie arbeitete für die parteinahe | |
Heinrich-Böll-Stiftung, wurde schließlich Referentin der grünen | |
Bundestagsfraktion. Zum Jahresende werden Mürvet Öztürk und ihre | |
Mitarbeiterin ihr schönes Büro im Landtag räumen. Öztürk strahlt trotzdem | |
fröhliche Gelassenheit aus. Bis zum Jahreswechsel erhält sie noch ihre | |
Abgeordnetendiät von monatlich 7.950 Euro. Was danach kommt, ist ungewiss. | |
Der taz kann sie nicht einmal sagen, wie lange ihr Übergangsgelder | |
zustehen. Sie will sich weiter einmischen in die Diskussionen der | |
Zivilgesellschaft, sagt sie. Angebote anderer Parteien, sich ihnen | |
anzuschließen, habe sie abgelehnt. | |
Beim Abschied aus dem Landtag klingt sie gar kämpferisch. „Es ist doch | |
abenteuerlich, dass die Rechten die Agenda zur Flüchtlingspolitik | |
bestimmen“, sagt Öztürk und fügt hinzu: „Wenn wir die Grenzen dichtmache… | |
bringen wir die europäischen Nachbarn gegen uns auf, die schon heute die | |
größere Last tragen. Wir riskieren dann endgültig den Zusammenhalt in | |
Europa!“ | |
Der Bruch mit ihrer Partei ist Öztürk nicht leicht gefallen. Sie erklärt, | |
warum die Entscheidung für sie trotzdem wichtig war, obwohl sie auch | |
FreundInnen verloren habe: „Ich habe immer Verantwortung für mich und | |
andere übernommen. Schon als kleines Mädchen habe ich meiner Mutter | |
geholfen, wenn sie Büros geputzt hat. Ich habe Papierkörbe geleert und | |
Toilettenrollen ausgetauscht, ich weiß was Arbeit ist“, sagt sie. In | |
Korschenbroich ist sie geboren, in Mönchengladbach aufgewachsen. Sie sagt: | |
„In Deutschland bin ich Fan von Borussia Mönchengladbach, in Hessen von | |
Eintracht Frankfurt.“ Zu ihrem Austritt aus den Grünen sagt sie der taz | |
weiter: „Nicht ich habe mich geändert, sondern die hessischen Grünen. Ich | |
vertrete in der Asylpolitik Positionen, die auch die grüne Bundespartei | |
vertritt.“ Das möchte ihr früherer Chef und Parteichef, Cem Özdemir, so | |
nicht stehen lassen. „Ich teile die Einschätzung von Mürvet in dieser Frage | |
ausdrücklich nicht, und das weiß sie auch von mir. Dies hindert mich aber | |
nicht daran, ihr weiterhin freundschaftlich verbunden zu sein und sie für | |
die gemeinsame Zeit wertzuschätzen“, schreibt Özdemir der taz. | |
Dass es nach der Landtagswahl in Hessen für die Fortsetzung von | |
Schwarz-Grün reicht, hält Öztürk für unwahrscheinlich. In den Umfragen ist | |
die AfD zu stark. „Vielleicht gibt es am Ende eine Mehrheit für eine Ampel | |
aus SPD, Grünen und FDP“, sagt sie. Sie klingt so, als würde ihr das | |
gefallen. | |
13 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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