# taz.de -- Pestizide in der Landwirtschaft: Vom Winde verweht | |
> Laut einer Studie können sich zwei Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln | |
> weiter verbreiten als gedacht. Bioland fordert nun ein Verbot. | |
Bild: Demonstration gegen ein Monsanto-Pestizid im Juni in München | |
BERLIN taz | Pendimethalin und Prosulfocarb. Biolandwirt Stefan Palme | |
dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als er das Ergebnis bekam, dass seine | |
Fenchelernte mit diesen beiden Pestizidwirkstoffen belastet sei. | |
In der konventionellen Landwirtschaft werden Mittel mit diesen Substanzen | |
zwar regelmäßig eingesetzt – aber Palmers Hof Gut Wilmersdorf, gelegen im | |
Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin in Brandenburg, ist laut dem | |
Ökoanbauverband Bioland umgeben von anderen Bio-Bauernhöfen. Wie also | |
konnten die Pestizide an seinen Fenchel geraten? | |
Die Lösung des Rätsel findet sich im Ergebnis einer Studie, die infolge der | |
Belastungen auf Gut Wilmersdorf vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und | |
Verbraucherschutz (LUGV) in Auftrag gegeben wurde. Die Untersuchung ergab, | |
dass die Pestizidwirkstoffe Pendimethalin und Prosulfocarb durch Wind und | |
Wärme weiterverbreitet werden können als bisher angenommen – auch über | |
Kilometer hinweg. | |
Deswegen fordert Bioland nun ein Verbot der beiden Wirkstoffe. Bei beiden | |
läuft laut dem Ökoanbauverein bald die EU-Genehmigung aus: Für | |
Pendimethalin im Juli 2016, dort findet gerade ein Erneuerungsverfahren | |
statt; für Prosulfocarb im Oktober 2018. | |
Zurück zum Beispiel des Öko-Landwirts Palme – den bringen die Pestizide in | |
eine Bredouille: Der Fenchel sollte nach Angaben von Bioland eigentlich für | |
die Herstellung von Babynahrung verkauft werden. Dort sind die Bestimmungen | |
für Pflanzenschutzmittel besonders streng: Laut der Verordnung über | |
diätische Lebensmittel dürfen Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in | |
Babynahrung den Grenzwert von 0,01 Milligramm pro Kilo nicht überschreiten. | |
Da kein Verursacher festgestellt wurde, könne auch kein Schadensersatz | |
eingeklagt werden, gibt Bioland an. | |
## Problem für Hersteller von Babynahrung | |
Damit ist die Pestizid-Belastung per sogenanntem Ferntransport ein | |
ernstzunehmendes Problem für Bauern. Ihre Ernte kann so stark belastet | |
werden, dass sie zur Herstellung für Babynahrung und medizinische Tees | |
nicht mehr genutzt werden können. | |
„Leichtflüchtige Pestizide, die Bio-Ware über Ferntransport belasten, | |
müssen umgehend verboten werden. Die Kriterien für die Zulassung müssen | |
verschärft werden“, fordert deshalb Jan Plagge, Präsident von Bioland. Dass | |
einige Pestizide leicht verdampfen und weit verfrachtet werden, werde bei | |
der Zulassung der Stoffe nicht ausreichend beachtet, kritisiert er. Laut | |
dem Bioanbauverband wird nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz | |
und Lebensmittelsicherheit zwar berücksichtigt, dass die Stoffe zu diesen | |
Eigenschaften neigen, dabei gehe man aber nur von einem Verbreitungsumkreis | |
von 50 Metern aus. | |
Der Chemiekonzern BASF, der mit Stomp Aqua ein Pflanzenschutzmittel mit | |
Pendimethalin vertreibt, gibt an, schon auf das Problem reagiert zu haben: | |
„Die Studie ist uns bekannt und wir arbeiten bereits an Lösungen, um den | |
Effekt zu verhindern“, erklärt BASF-Sprecherin Barbara Nickerson. Das | |
Unternehmen habe bereits eine „Verkapselung“ des Wirkstoffs umgesetzt, die | |
vor einer Verbreitung auf unbehandelte Felder schützen soll. Bioland ist | |
das aber nicht genug: „Stomp Aqua ist zwar schon ein Schritt. Aber es ist | |
nur ein Produkt von vielen, in denen Pendimethalin noch gewöhnlich | |
verarbeitet ist. Da muss die Zulassungsbehörde eingreifen und die | |
Zulassungsbestimmungen verschärfen“, entgegnet Sprecher Wehde. | |
## „Genauere Kontrollen und Sanktionen notwendig“ | |
Während Bioland das Verbot von Pendimethalin und Prosulfocarb fordert, hat | |
die EU in der Vergangenheit anders reagiert: Bei einigen Gemüsekulturen, | |
die nicht für Babynahrung bestimmt sind, wurden die Grenzwerte für | |
Pendimethalin gerade erheblich angehoben. Mit der EU-Verordnung 2015/1101, | |
die am 29. Juli in Kraft getreten ist, wurden beispielsweise die Grenzwerte | |
in Karotten und Meerrettich von 0,2 auf 0,7 Milligramm pro Kilo angehoben. | |
Das kritisiert auch Tomas Brückmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz: | |
„Eine Grenzwerterhöhung ist das letzte, was man tun sollte. Stattdessen | |
sind genauere Kontrollen und Sanktionen notwendig“. | |
Ein systematisches Monitoring wird auch von Bioland gefordert. Das gab es | |
bis 2003, dann wurden die Messstationen von Bund und Ländern eingestellt. | |
„Es handelt sich sehr wahrscheinlich um ein Problem, das schon seit Jahren | |
bekannt ist und von den Behörden ignoriert wird“, meint Plagge. | |
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gibt | |
sich allerdings umtriebig: Das BVL prüfe derzeit, wie Verflüchtigung und | |
Transport von meteorologischen und anwendungstechnischen Faktoren abhängen, | |
sagt BVL-Sprecher Andreas Tief. Es solle geklärt werden, ob es durch | |
Anwendungsvorschriften möglich ist, die Verflüchtigung und Verdriftung | |
soweit zu vermindern, dass auf benachbarten oder weiter entfernten Flächen | |
keine Rückstände mehr auftreten. Dazu stehe das BVL mit dem Umweltbundesamt | |
und dem Bundesinstitut für Risikobewertung in Kontakt, die am | |
Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel beteiligt sind. | |
28 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannah Kappenberger | |
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