# taz.de -- Demenzforschung: Die Pille gegen das Vergessen | |
> Viele werden mal betroffen sein von der Volkskrankheit Demenz. Man kann | |
> testen lassen, wie wahrscheinlich das ist. Nur: Wer will das wissen? | |
Bild: Chaos im Kopf. | |
Man verliert die Kontrolle über sein Leben. Das bewusste Denken fällt immer | |
schwerer. Während die Angehörigen nach Symptomen suchen und nach Momenten, | |
in denen sie helfend einspringen können, verschwindet man. Das ist die | |
größte Angst: Langsam bewegt man sich in Richtung Nichts. | |
So hat Richard Taylor in einem [1][Interview] seine Krankheit beschrieben. | |
Alzheimer. Taylor war Psychologieprofessor und Aktivist. Er setzte sich | |
dafür ein, dass Demenzkranke selbstbestimmter leben können. | |
Demographen glauben, dass im Jahr 2030 jeder dritte Mann und jede zweite | |
Frau jenseits der 60 dement sein wird. Die häufigste Form der Demenz ist | |
Alzheimer. Eiweiße lagern sich im Gehirn ab. Die Nervenzellen gehen kaputt | |
und die Signalübertragung zwischen den Zellen ist gestört. Man verliert | |
Orientierung, Sprache, Denkvermögen und die Kontrolle über den eigenen | |
Körper. | |
Wenn es einmal losgegangen ist, gibt es kein Zurück. Bislang kann eine | |
Therapie die Symptome schwächen, den Krankheitsverlauf verzögern. Die Pille | |
gegen das Vergessen gibt es nicht. | |
Im Interview in der [2][taz.am wochenende] vom 22./23. August sagt der | |
Neurologe und Psychiater Karl Broich, dass er die Demenzforschung aus ihrer | |
Sackgasse führen will. Broich leitet die deutsche Zulassungsbehörde für | |
Arzneimittel. Er kritisiert, dass die Medizin bislang erst dann therapiert, | |
wenn alle Symptome der Krankheit bereits aufgetreten sind. „Wir werden | |
künftig mit Medikamenten in früheren Stadien als bisher ansetzen und | |
Kombinationstherapien entwickeln, die je nach Stadium der Krankheit | |
modifiziert werden müssen.“ So sollen Demenzen zehn bis fünfzehn Jahre vor | |
Ihrem Vollbild erkannt werden. Broich verspricht: „Ich bin jetzt 55 Jahre | |
alt. Und ich sage, dass wir, bevor ich pensioniert werde, ein erstes | |
vielversprechendes Medikament gegen Alzheimer zugelassen haben werden in | |
Deutschland.“ | |
## Hoffnung auf ein Medikament | |
Für Norbert Heumann ist das zu spät. Er ist 66 und hat seit zwei Jahren | |
Alzheimer. Unsere Autorin Heike Haarhoff hat ihn für ihre Reportage | |
„Kribbeln im Kopf“ begleitet. Heumann hofft auf ein Medikament, das noch | |
nicht zugelassen ist. Als einer von wenigen hundert darf er an einer | |
Alzheimer-Studie teilnehmen. Aber vielleicht ist das, was er da einnimmt | |
und in das er seine Hoffnung setzt, doch nur ein Placebo? | |
Die wenigsten Demenzen sind erblich. Mit einem Bluttest lässt sich zwar | |
eine gewisse Disposition für Alzheimer herausfinden. Aber aus der | |
Wahrscheinlichkeitsprognose folgt nicht viel. Ob jemand tatsächlich dement | |
wird und wenn ja, wann, darüber kann der Test nichts aussagen. | |
Deshalb hält Broich nichts davon, große Teile der Bevölkerung auf ihr | |
Demenzrisiko hin zu überprüfen. Er selbst will es auch nicht tun: „Was | |
sollte ich mit dieser Information anfangen? Ich wüsste doch nur, ob ich | |
eine höhere oder niedrigere Wahrscheinlichkeit hätte zu erkranken – mehr | |
nicht.“ Dieses Wissen würde ihn beeinflussen, ohne ihm zu helfen. „Ich | |
möchte mein Leben leben, ohne die Erkrankung im Hinterkopf zu haben.“ | |
Würden Sie sich testen lassen? Wollen Sie wissen, wie hoch Ihr Risiko für | |
eine Krankheit ist, für die es noch immer keine Heilung gibt? Und was | |
würden Sie mit dem Wissen anfangen? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Das große Interview mit Karl Broich und die Reportage von Heike Haarhoff | |
lesen Sie in der [3][taz.am wochenende vom 22./23. August]. Broich spricht | |
außerdem darüber, wie die Pharmaindustrie funktioniert und warnt davor, | |
dass ein Schwarzmarkt für Medikamente in Europa entstehen könnte. | |
28 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.fr-online.de/panorama/interview-mit-alzheimer-patient--ich-bin-h… | |
[2] /!p4662/ | |
[3] /!p4662/ | |
## AUTOREN | |
Viktoria Morasch | |
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