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# taz.de -- Arzneimittelstudien mit Dementen: Es geht nicht nur um Blutproben
> Der Bundestag soll nächste Woche entscheiden, ob Arzneimittel auch an
> nicht einwilligungsfähigen Patienten getestet werden dürfen.
Bild: Noch sind die Risiken nicht geklärt, die von einigen in der Magnetresona…
Hamburg taz | Es ist eine forschungspolitische Richtungsentscheidung, die
der Bundestag am 9. November treffen soll – zur Disposition des
Gesetzgebers stehen zwei rechtliche und ethische Prinzipien: zum einen die
Bedingung, dass bei klinischen Studien als Proband nur mitmachen kann, wer
zuvor informiert eingewilligt hat; zum anderen der Grundsatz, dass
Menschen, die gesundheitlich oder geistig nicht in der Lage sind, die
gebotene Aufklärung über Forschungsziele, medizinische Eingriffe und
mögliche Risiken zu verstehen, vor fremdnützigen Untersuchungen bewahrt
werden.
Die international anerkannten Schutzprinzipien könnten hierzulande in
diversen Forschungsfeldern unter Druck geraten, wenn das Parlament nächsten
Mittwoch das Arzneimittelgesetz (AMG) tatsächlich so ändert, wie dies
Strategen in den Bundesministerien für Gesundheit und Forschung seit Jahren
planen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, künftig auch
Arzneiprüfungen mit nichteinwilligungsfähigen Probanden zu erlauben, die
den Teilnehmern keinen therapeutischen Nutzen bringen können –
vorausgesetzt, die Betroffenen haben in gesunden Zeiten eine
„Patientenverfügung“ verfasst, mit der sie ihre generelle Bereitschaft
erklären, bei noch unbekannten Studienprojekten mitzumachen, sollten sie
irgendwann zum Beispiel an Demenz erkranken.
Außerdem wird verlangt: Die Erprobung des Arzneimittels muss das Potenzial
haben, derjenigen Patientengruppe zu nutzen, zu der die
nichteinwilligungsfähigen Versuchspersonen gehören.
Das Vorhaben hat Proteste in der Zivilgesellschaft provoziert, insbesondere
von Sozial- und Behindertenverbänden; die christlichen Kirchen warnten
davor, „dass der Mensch zum Nutzen anderer instrumentalisiert wird“.
Bundesärztekammer und der Verband Forschender Arzneimittelhersteller
äußerten sich zurückhaltender, offiziell sehen sie keinen Bedarf für eine
Gesetzesänderung.
## Kurzfristig abgesagt
Widerspruch äußerten öffentlich auch einige Abgeordnete aus allen
Fraktionen. Schließlich wurde die eigentlich für Anfang Juli angesetzte
Abstimmung im Bundestag kurzfristig abgesagt – offizielle Begründung der
parlamentarischen Geschäftsführer: Man brauche nun doch mehr Bedenkzeit.
Seitdem sind vier Monate vergangen; ob und mit welchen Mehrheiten sich die
Willensbildung ohne den üblichen Fraktionszwang entwickelt hat, ist
ungewiss. Auf der Tagesordnung am 9. November stehen neben dem
Regierungsentwurf jedenfalls jene drei Änderungsanträge, die bereits im
Juli vorgelegen hatten: Zwei dieser Papiere, initiiert von Karl Lauterbach
(SPD), Maria Michalk (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) sowie von den
Sozialdemokratinnen Hilde Mattheis und Sabine Dittmar, befürworten
ebenfalls gruppennützige Studien mit Nichteinwilligungsfähigen, sofern sie
dies vorab verfügt haben.
Dabei betonen Lauterbach und Kollegen, dass es vor dem Abfassen einer
Vorabverfügung eine ärztliche Aufklärung geben muss, Mattheis und Dittmar
sind gegen eine solche Pflicht. Anders der dritte Antrag: Er lehnt
fremdnützige Forschung kategorisch ab und zielt darauf, die geltende
Rechtslage beizubehalten; federführend sind hier Uwe Schummer (CDU), Ulla
Schmidt (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne).
## Alzheimer-Gesellschaft ist dagegen
Nachgedacht hat offenbar die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft (DAlzG), die
sich Anfang Juli noch nicht klar positioniert hatte. Die DAlzG, die laut
Selbstdarstellung „die Interessen von Demenzkranken und ihren Familien“
vertritt, plädiert in ihrer Stellungnahme vom 19. Oktober dafür, das AMG
nicht zu ändern. Aus Sicht der Organisation, zu deren satzungsgemäßen
Aufgaben auch die Unterstützung wissenschaftlicher Forschung gehört, „fehlt
ein konkreter Forschungsbedarf, für den der Schutz von Menschen mit Demenz
nun aufgehoben werden soll“. Aktuelle Projekte setzten an „immer früheren
Krankheitsstadien“ an, wenn Menschen mit Demenz-Diagnose rechtlich noch
einwilligungsfähig seien.
„Uns ist in der Vergangenheit kein Vorhaben bekannt geworden, das an dem
Verbot der gruppennützigen Forschung gescheitert ist“, schreibt die DAlzG.
Ähnlich argumentiert Professor Johannes Pantel, Leiter des Arbeitsbereiches
Altersmedizin an der Universität Frankfurt am Main. Medikamente zur
Behandlung der Alzheimer-Demenz gebe es bereits seit rund 20 Jahren.
Wesentliche Fortschritte erwartet Pantel von Studien zu solchen
Therapieansätzen, die in einem möglichst frühem Stadium von Demenz
eingesetzt werden könnten – mit dem Ziel, „das Gehirn vor dem schädlichen
Einfluss des chronischen Krankheitsprozesses zu schützen beziehungsweise
diesen zu unterbinden“.
Gleiches gelte auch für einen Teil diagnostischer Studien, bei denen
„radioaktive Tracer oder Kontrastmittel“ in den Körper der Probanden
eingebracht wird. „Denn je früher eine Demenz diagnostiziert wird, desto
besser können krankheitsmodifizierende Therapieansätze wirken.“ Pantel
äußerte sich in einer Stellungnahme für eine [1][Sachverständigenanhörung,
die am 19. Oktober im Bundestag stattfand]. Anwesend waren rund 20
Abgeordnete und neun Experten, das Protokoll mit Fragen und Antworten ist
aber noch immer nicht veröffentlicht.
## Drei Vorstandsmitglieder
Zu Wort kamen selbstverständlich auch Unterstützer der AMG-Reform wie der
Mediziner Joerg Hasford und die Medizinrechtler Jochen Taupitz und
Sebastian Graf von Kielmansegg, alle drei sind Vorstandsmitglieder des
Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Komissionen. Professor Hasford betont in
seinem Papier, dass es bei gruppennütziger Forschung zunehmend um die
„Identifizierung und Validierung sogenannter Biomarker“ gehe. „Von
besonderer Bedeutung“, so Hasford, „sind heute prognostische Biomarker, die
die Vorhersage des weiteren Krankheitsverlaufs und/oder des therapeutisch
intendierten Ansprechens eines Arzneimittels ermöglichen sollen.“
Graf von Kielmansegg, Rechtsprofessor in Kiel, stellt schriftlich fest,
dass gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen mit der
Garantie der Menschenwürde vereinbar sei. Sie sei dann zulässig, erklärt
der Mannheimer Juraprofessor Taupitz, wenn sie „lediglich mit einem
minimalen Risiko oder einer minimalen Belastung für den Betroffenen
verbunden ist“.
Was aber sind die konkreten Belastungen und Risiken, auf die sich
nichteinwilligungsfähige Versuchspersonen einlassen sollen? Dies ist,
wenige Tage vor der Abstimmung im Bundestag, nicht klar definiert.
## Angeblich „minimal eingreifend und risikoarm“
Glaubt man Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), so sollen
Arzneistudien mit Demenzkranken „minimal eingreifend und risikoarm sein“;
in einem Interview mit dem Tagesspiegel nannte Gröhe als Beispiele
„zusätzliche Blutentnahmen oder Speichelproben“.
Einige Risiken benennt der Sachverständige Pantel. In seiner Stellungnahme
schreibt er: „Viele zum Teil schwerwiegende Nebenwirkungen von innovativen
Arzneimitteln zeigen sich erst im fortgeschrittenen Stadium der klinischen
Entwicklung.“ Beispiele hierfür seien „Hirnentzündungen, Hirnblutungen und
Hirnödeme bei einem Teil der immunologisch basierten Arzneimittel gegen
Alzheimer-Demenz“.
Zwischen dem Zeitpunkt, in dem eine Person eine Vorabverfügung verfasst hat
und dem Zeitpunkt, in dem sie als nichteinwilligungsfähiger Proband in
einer Studie mitwirkt, bestehe also „eine erhebliche, schwer kalkulierbare
Wissens- bzw. Informationslücke“, gibt Professor Pantel zu bedenken.
6 Nov 2016
## LINKS
[1] http://www.bundestag.de/ausschuesse18/a14/anhoerungen/grnuefo-inhalt/474722
## AUTOREN
Klaus-Peter Görlitzer
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