| # taz.de -- Arzneimitteltests mit Schutzbedürftigen: Vorab eine Blanko-Verfüg… | |
| > Gesundheitsminister Gröhe (CDU) will, dass auch nicht einwilligungsfähige | |
| > Demente als Versuchskaninchen für Pharmaversuche dienen können. | |
| Bild: BewohnerInnen einer Wohngemeinschaft für Demenz-Kranke | |
| Hamburg taz | Der Grundsatz gilt für jede Forschung mit Menschen: Wer an | |
| einer klinischen Studie teilnimmt, muss wissen können, worauf er sich | |
| einlässt. Zwingend ist eine verständliche Aufklärung über Forschungszwecke | |
| und mögliche gesundheitliche Risiken. Nur so ist – zumindest theoretisch – | |
| erreichbar, was Juristen [1][„informierte Einwilligung“] nennen. | |
| In der Praxis gibt es bereits Studienbereiche, die von dieser Regel bewusst | |
| abweichen. Das, gemessen an der Anzahl der Probanden, größte Beispiel ist | |
| der Biomaterialbanken- und Big-Data-Forschungsverbund namens [2][Nationale | |
| Kohorte (Nako)], gefördert mit über 200 Millionen Euro aus Steuergeldern. | |
| Wer bei der Nako mitmacht, stellt Körperflüssigkeiten und Gesundheitsdaten | |
| für molekulargenetische Analysen und mögliche Forschungsprojekte zur | |
| Verfügung – ohne deren Inhalt und Verantwortliche zum Zeitpunkt der | |
| Einwilligung kennen zu können. | |
| Im sensiblen Gebiet der Arzneimittelprüfungen steht nun die nächste | |
| rechtliche Aufweichung an. Betroffen wären Menschen, die als besonders | |
| schutzbedürftig gelten – weil sie so schwer erkrankt sind, dass sie nicht | |
| mehr in der Lage sind, die gebotene Aufklärung zu verstehen und | |
| einzuwilligen. | |
| Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen künftig zum Beispiel | |
| demenziell veränderte Menschen an der Erprobung neuer pharmazeutischer | |
| Wirkstoffe teilnehmen, die ihnen gesundheitlich nichts nützen können. Über | |
| eine entsprechende Reform des Arzneimittelgesetzes (AMG) soll der Bundestag | |
| am 8. Juli entscheiden – trotz Protesten. | |
| ## Ohne Nutzen für den Probanden | |
| Die ersten, die Alarm schlugen, waren Repräsentanten der evangelischen und | |
| katholischen Kirche. Ihre Stellungnahme warnt davor, „dass der Mensch zum | |
| Nutzen anderer instrumentalisiert wird“. Empört hatte die Kirchenleute ein | |
| kurzer Passus im 60 Seiten dicken AMG-Reformentwurf. Demnach sollen | |
| erwachsene Menschen, „die nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und | |
| Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen“, trotzdem dabei mitwirken | |
| dürfen – auch wenn von vornherein klar ist, dass es keine gesundheitliche | |
| Besserung für den Probanden geben wird. | |
| Vorausgesetzt wird gemäß Gesetzentwurf hingegen, dass die Studie das | |
| Potenzial hat, derjenigen Gruppe von Patienten zu nutzen, zu der nicht | |
| einwilligungsfähige Versuchspersonen gehören – und außerdem, dass | |
| Mitwirkende früher, als sie dies gesundheitlich noch konnten, mit einer | |
| „Patientenverfügung“ pauschal erklärt haben, dass sie sich bei Demenz oder | |
| neurodegenerativen Erkrankungen als Testperson zur Verfügung stellen wollen | |
| – für Arzneistudien, deren Rahmenbedingungen ihnen noch völlig unbekannt | |
| sind. | |
| ## Es gibt keinen Grund zur Eile | |
| Die AMG-Novelle soll offiziell deutsches Recht an die EU-Verordnung | |
| 536/2014 anpassen. Die nationalen Gesetzgeber haben allerdings | |
| Gestaltungsspielräume, und es gibt keinen Anlass zur Eile: Das neue | |
| EU-Recht gilt frühestens ab Oktober 2018. | |
| Gegen die Regierungspläne opponieren erkennbar auch Unionsabgeordnete, | |
| allen voran der Ex-Behindertenbeauftragte Hubert Hüppe (CDU). Gemeinsam mit | |
| Abgeordneten aus anderen Fraktionen, etwa Ulla Schmidt (SPD), Kathrin | |
| Vogler (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne) sammelt CDU-Politiker Uwe | |
| Schummer im Parlament Unterschriften für einen Änderungsantrag, der im | |
| Wesentlichen dafür eintritt, die geltende Rechtslage zu bewahren. | |
| SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat derweil einen | |
| „Kompromissvorschlag“ angekündigt, der „die Möglichkeit der Verwirklich… | |
| eines selbstbestimmten altruistischen Wunsches, Menschen mit der gleichen | |
| Erkrankung zu helfen“, schaffen soll. Der Vorschlag sehe vor, dass Menschen | |
| mit Demenz, die an gruppennützigen Arzneistudien teilnehmen sollen, diese | |
| Absicht noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte in einer | |
| Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung aufgeschrieben haben müssen. | |
| ## Neues Konzept: Probanden-Verfügung | |
| Tritt später tatsächlich Demenz auf, müsste der rechtliche Vertreter vor | |
| konkreten Forschungsvorhaben jeweils entscheiden, ob sein Schutzbefohlener | |
| hier wohl gern mitmachen würde oder nicht. Und der Parlamentarische | |
| Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, hat eine | |
| weitere Variante in Aussicht gestellt: die „sogenannte | |
| Probanden-Verfügung“, verfasst irgendwann, nach vorheriger Aufklärung durch | |
| einen Arzt. | |
| Logik, Ergebnis und Zweck der Pläne von Lauterbach und Grosse-Brömer | |
| unterscheiden sich im Kern kaum vom Entwurf der Regierung, die ja eine | |
| „Patientenverfügung“ als Instrument blanko erteilter Einwilligungen | |
| bevorzugt. | |
| Abseits rechtlicher und taktischer Feinheiten haben die Abgeordneten bis | |
| zum 8. Juli kaum noch Zeit, angemessen der inhaltlichen Frage nachzugehen, | |
| ob und welcher Bedarf für gruppennützige Arzneistudien besteht. Der Vorstoß | |
| von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), unterstützt vor allem von | |
| Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU), ist nämlich auch in der | |
| medizinischen Fachwelt umstritten. | |
| Deutlich wurde das bei der Sachverständigen-Anhörung zur geplanten | |
| AMG-Reform. Als Hauptbefürworter gruppennütziger Arzneiprüfungen trat am 9. | |
| Mai im Gesundheitsausschuss Wolfgang Maier auf. Der Bonner | |
| Psychiatrieprofessor ist ein vielbeschäftigter Fachmann. So hat er auch die | |
| Entwicklung der im Januar 2016 vorgestellten „Leitlinie Demenzen“ | |
| koordiniert und für deren Methodenteil ein paar Hinweise zu möglichen | |
| Interessenkonflikten abgegeben. Laut Selbstdarstellung hat Maier auch mit | |
| den Firmen Schwabe Pharma, Lilly, Lundbeck und Pharma-consult kooperiert | |
| und von diesen Geld erhalten – wohl für Leistungen wie Vorträge und | |
| Beratungstätigkeiten; Details und die gezahlten Geldbeträge legte er aber | |
| nicht offen. | |
| Vor dem Gesundheitsausschuss beklagte Maier „fehlende Therapiemöglichkeiten | |
| bei fortgeschrittener Demenz“ und erklärte in seiner schriftlichen | |
| Stellungnahme, wovon er Besserung erwartet: „Derzeit sind für die | |
| Alzheimer-Krankheit kausal ansetzende Wirkstoffe in Entwicklung, die in | |
| sehr frühen initialen Stadien der Demenzentwicklung krankheitsmodifizierend | |
| wirken (sog. ‚aktive Impfung‘) und so das Fortschreiten der Krankheit | |
| langfristig verzögern oder gar aufhalten können“, schrieb Maier. „Für den | |
| Erfolg solcher Wirkstoffe bestehen gute Chancen, wie Sekundäranalysen zu | |
| klinischen Studien zeigen.“ | |
| ## Gruppennützige klinische Studien | |
| Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, werde sich laut Maier „die Frage | |
| ergeben, ob diese Wirkstoffe auch in fortgeschrittenen Stadien der Demenz | |
| einen bremsenden oder symptomreduzierenden Effekt haben“. Um dies zu | |
| überprüfen, seien „gruppennützige klinische Studien (randomisiert und | |
| kontrolliert) notwendig“. | |
| Anders argumentierte der Vorsitzende der Ethikkommission des Landes Berlin, | |
| Professor Martin Hildebrandt. Für ihn ist es „nicht nachvollziehbar, warum | |
| der Gesetzgeber einer Absenkung des Schutzniveaus für nicht | |
| einwilligungsfähige Personen zustimmen sollte“. Hildebrandt erklärte dazu: | |
| „Ein zwingendes medizinisch-wissenschaftliches Bedürfnis für | |
| placebokontrollierte klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen | |
| Personen besteht aus meiner Sicht nicht.“ Die Behandlung von Patienten etwa | |
| mit Demenz vom Typ Alzheimer könne mit längst zugelassenen Arzneimitteln | |
| erfolgen. Entsprechendes gelte auch für die Behandlung eines Schlaganfalls, | |
| einer Sepsis oder eines Schocks. | |
| Im Ergebnis ähnlich hat sich der Vertreter der Bundesärztekammer, Professor | |
| Hans-Werner Bothe, positioniert: „Aus Sicht der Bundesärztekammer“, so der | |
| Neurochirurg, „besteht zurzeit kein Grund, gruppennützige, fremdnützige | |
| Forschung zusätzlich zu fördern.“ | |
| 1 Jul 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.medizin.uni-kiel.de/de/fakultaet/ethik-kommission/amg | |
| [2] /!5029326/ | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Peter Görlitzer | |
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