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# taz.de -- Arzneimitteltests mit Demenzpatienten: Verschoben, nicht aufgehoben
> Dürfen an nicht einwilligungsfähigen Demenzpatienten Tests durchgeführt
> werden? Der Bundestag hat eine Abstimmung kurzfristig abgeblasen.
Bild: Kein Versuchskaninchen: Demenzpatientin in einer Wohnanlage
Hamburg taz | Soll der Gesetzgeber ermöglichen, dass Menschen mit Demenz
künftig in Deutschland für Arzneimitteltests zur Verfügung stehen, die
ihnen keinerlei therapeutischen Nutzen bringen können? Die Frage ist
ethisch brisant. Wie es aussieht, erhalten Politik, Verbände und engagierte
Bürger nun mehr Zeit, um sich zu informieren: über Inhalte und Ziele der
Demenzforschung und die Interessenlagen der beteiligten Wissenschaftler und
Pharmafirmen.
[1][Eigentlich sollte der Bundestag schon Freitag entscheiden], ob das
Arzneimittelgesetz (AMG) geändert werden soll. Der Entwurf der
Bundesregierung sieht vor, fremdnützige Arzneiprüfungen mit demenziell
veränderten Probanden dann zuzulassen, wenn die Betroffenen in gesunden
Zeiten eine „Patientenverfügung“ verfasst haben, die einer Teilnahme an
Studien im Fall später auftretender Demenz pauschal zustimmt.
Doch die Abstimmung im Bundestag wurde kurzfristig abgeblasen, offizielle
Begründung der parlamentarischen Geschäftsführer: Man brauche mehr
Bedenkzeit.
Wahr ist aber auch: Die Mehrheit für das rechtliche Neuland erschien den
Strategen im Bundestag offenbar nicht gesichert. Das gilt auch für drei
alternative Anträge: Zwei dieser Papiere, eingebracht von Karl Lauterbach
(SPD), Maria Michalk (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) sowie von den
Sozialdemokratinnen Hilde Mattheis und Sabine Dittmar, befürworten
ebenfalls gruppennützige Studien mit Nichteinwilligungsfähigen, sofern sie
dies vorab verfügt haben. Der dritte Antrag lehnt dies klar ab;
federführend sind hier Uwe Schummer (CDU), Ulla Schmidt (SPD), Kathrin
Vogler (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne).
Vorgesehen ist nun, nach der Sommerpause, im September erneut zu beraten;
womöglich dauert es aber auch länger und es werden erneut Fachleute
angehört. [2][Die erste Anhörung am 9. Mai], bei der übrigens keiner der
Geladenen mögliche Interessenkonflikte wie geschäftliche Kontakte zu
Pharmafirmen offenlegen musste, war durchaus kontrovers verlaufen.
## Nicht mit der Verfassung vereinbar
Der Streit der Experten geht weiter, wobei kritische Stimmen derzeit wohl
überwiegen. So veröffentlichten Mitglieder der Ethik-Kommission des Landes
Berlin am 4. Juli eine rechtliche Stellungnahme, in der sie den
Regelungsvorschlag zu Probandenverfügungen als „verfassungswidrig“
bewerten.
Auch der Pharmakologe Gerd Glaeske lehnt die geplante AMG-Reform ab. In
einem Kommentar für die Zeitschrift Dr. med. Mabuse appelliert der Bremer
Professor: „Wehret den Anfängen!“ Werde gruppennützige Forschung mit nicht
mehr einwilligungsfähigen Demenzkranken legitimiert, werde dies womöglich
den Weg bahnen, später auch gruppennützige Forschung an Menschen mit
geistiger Behinderung zu erlauben. Dieser „gesundheits- und
forschungspolitische Irrweg“ müsse verhindert werden.
Ganz anders Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums. Im
Deutschlandradio Kultur bewertete der studierte Mathematiker und
Biometriker die geplante AMG-Novelle als angemessen. Professor Antes findet
es notwendig, Zulassungsstudien für neue Wirkstoffe auch in Deutschland mit
dementen Probanden durchzuführen. Die Kritik daran sei „sehr stark
ideologiebehaftet“. Hierzulande gebe es eine „sehr engmaschige Überwachung…
der Forschung, vor allem durch Ethikkommissionen.
Es gibt nun mindestens zwei Monate Zeit, Fakten und Experten sorgfältig zu
checken.
7 Jul 2016
## LINKS
[1] /Arzneimitteltests-mit-Schutzbeduerftigen/!5315249/
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## AUTOREN
Klaus-Peter Görlitzer
## TAGS
Arzneimittelgesetz
Demenz
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Gesundheitspolitik
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