Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kahlschlagsanierung in Berlin: Bis die letzten Mieter flüchten
> Die Christmann GmbH saniert Häuser in Prenzlauer Berg ohne Rücksicht auf
> die Bewohner. Es werden Räume verwüstet und lebensgefährliche Umbauten
> getätigt.
Bild: Harren aus, obwohl ihr Vermieter sie mit allen Mitteln loswerden will: Sv…
Sven Fischer befürchtet das Schlimmste: „Wir gehen davon aus, dass es ein
Mordanschlag auf unsere Familie war“, sagt einer der letzten Mieter des
Hauses Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg. Bauarbeiter hatten ohne
Ankündigung einen Kamin entfernt, dieser gehörte zur WG, in der Fischers
Lebensgefährtin und die gemeinsamen Töchter leben. Hätten die Mieter das
vor zehn Tagen nicht entdeckt, sie hätten im schlimmsten Fall eine
lebensgefährliche Vergiftung erlitten, da die Abgase der Gastherme nicht
entweichen konnten. Die bezirkliche Bauaufsicht und ein Schornsteinfeger
haben das bestätigt. Fischer will Strafanzeige erstatten.
Die WG und Fischer, der in einer Einzimmerwohnung lebt, sind die letzte
Mietparteien in dem Haus unweit des Mauerparks. Alle anderen sind
ausgezogen, seit die Immobilie 2013 von der Christmann GmbH erworben wurde,
die kurz darauf die Sanierung und üppige Mieterhöhungen für die Zeit
danach ankündigte. Die heute verbliebenen Mieter lehnten die Modernisierung
ab. Christmann verklagte sie auf Duldung, es folgten Gerichtstermine,
Kündigungen, einstweilige Verfügungen. Am vergangenen Freitag wurde Sven
Fischer bereits zum vierten Mal fristlos gekündigt – wegen seines Vorwurfs
des versuchten Mordes.
Aber die Sache mit dem Kamin war nicht der einzige Vorfall in der letzten
Zeit: In Fischers Einzimmerwohnung im vierten Stock waren zuvor Bauarbeiter
durch die Decke des Badezimmers gebrochen und hatten Rohre sowie den Boiler
entfernt. Die Christmann GmbH ließ über ihre Anwälte mitteilen, es habe
sich um einen Unfall gehandelt. Fischer kann das nicht glauben. Auch die
Bauaufsicht hat Zweifel an dieser Version und verhängte einen Baustopp für
Teile des Dachs.
## Niemandem vertrauen
Ortswechsel: Winsstraße 59. Um acht Uhr morgens klingelt an Yvonnes P.s Tür
die nächste Schikane. Möglicherweise, denn so genau kann man hier zwischen
gut und böse, harmlos und gefährlich schon lange nicht mehr unterscheiden.
„Vertrauen kann man niemandem“, sagt die 44-Jährige, die seit 1998 im Haus
wohnt. Es gehört der Christmann GmbH seit 2012.
Zwei Personen betreten P.s Wohnung, Bauleiter und Zimmermann. In anderen
Wohnungen, im Keller und im Dach wurde Hausschwamm entdeckt, sagen sie, ein
Pilz, der die Balken zerstört. Jetzt soll auch P.s Zuhause überprüft
werden. Der Zimmermann beginnt im Wohnzimmer eine Diele zu lockern.
Währenddessen zieht der Bauleiter die Wohnungstür zu: „Is mir auch zu laut
hier“, sagt er.
Kein Wunder: Vor der Tür stampft ein halbes Dutzend Arbeiter durchs
Treppenhaus. Rohre werden abgeflext, es wird gehämmert und gebohrt. Die
Winsstraße 59 ist eine einzige Baustelle. Unglaublich, dass hier Menschen
leben. Aber die würden von „Leben“ gar nicht mehr sprechen, nur noch von
„Verdrängtwerden“. Sie erfahren das Vorgehen von Christmann zunehmend als
Gewalt.
Angefangen hat es 2012 genau wie in der Kopenhagener: Christmann kauft das
vernachlässigte Gründerzeithaus und kündigt eine umfassende energetische
Sanierung sowie Mieterhöhungen an. Die 120 Quadratmeter, auf denen Yvonne
P. lebt, sollen anschließend statt wie bisher rund 600 Euro über 2.000 Euro
kosten – kalt.
Die Mieterinnen und Mieter sind schockiert. Schnell setzt sich die
Überzeugung durch: Christmann will sie einfach nur loswerden und dann teure
Eigentumswohnungen verkaufen. Der Investor verklagt die Bewohner auf
Duldung der Maßnahmen. Manche der Prozesse laufen noch heute, P.s Fall
liegt vor Gericht.
## Blickdichte Plane
Dann verhüllt Christmann das Gebäude. Mehr als ein Jahr lang leben die
Bewohner hinter einer blickdichten Plane. „Werte erschaffen. Werte
erhalten“ steht darauf. Für die Mieter der blanke Hohn. Die Plane flattert
laut und verdunkelt die Wohnungen. Am Gebäude selbst jedoch, so berichten
die Mieter, sei während dieser Zeit nichts passiert. „Reine Schikane“,
glaubt P.
Vor wenigen Monaten schließlich kündigt der Investor Schwammuntersuchungen
an. Für die Mieter ist das besonders knifflig: Kooperieren sie nicht, droht
ihnen eine fristlose Kündigung. Wird Hausschwamm in den Balken entdeckt,
gelten diese als instabil und es besteht Lebensgefahr. Im schlimmsten Fall
müssen die Mieter für einige Tage ihr Zuhause verlassen. Dort, fürchten
sie, könne Christmann dann alles machen: Wände einreißen, Grundrisse
verändern.
Die Angst kommt nicht von ungefähr. Zwei Mieter, die für zehn Tage
ausziehen mussten, stehen nun vor verwüsteten Wohnungen. Abgerissene
Armaturen, Schutt in den Räumen. Die Schwammsanierung sei dagegen gar nicht
erfolgt, sagen sie. „Es wird immer klarer, dass es der Christmann GmbH gar
nicht primär um Sanierungen für die Bestandsmieter geht“, sagt die Anwältin
Carola Handwerg, die einige Mieter im Haus vertritt.
Im Internet bietet das Immobilien-Unternehmen bereits Wohnungen in der
Winsstraße 59 zum Kauf an, 5.400 Euro pro Quadratmeter. Doch der Zeitdruck
für den Investor wird größer. „Lange Zeit war Christmann um ein sauberes
Image bemüht und agierte am Rande der Legalität“, sagt Carola Handwerg. Die
Zeichen verdichten sich, dass mit der Zurückhaltung jetzt Schluss ist.
Einer WG im Hinterhaus wurden ohne Ankündigung Gas- und Wasseranschluss
gekappt.
## „Ich möchte leben“
Nach der Untersuchung in Yvonne P.s Wohnung besteht nun ein Anfangsverdacht
auf Schwammbefall. Gut möglich, dass auch ihr Zuhause zur Baustelle wird.
Für sie bedeutet das zusätzlichen Stress. „Dieser Kampf übersteigt meine
Energie. Ich möchte nicht bloß überleben, sondern leben“, sagt sie.
Einige haben in diesem Kampf kapituliert. Von einst 50 Bewohnern in der
Winsstraße 59 ist noch gut die Hälfte da. Auch Claudia H. wird das Haus
gegen eine Abfindung bald verlassen. Drei Wochen sollte die
Schwammsanierung in ihrer Wohnung dauern. Jetzt sei sie schon seit drei
Monaten in einer Umsetzwohnung. „Christmanns Drohgebärden haben bei mir
Wirkung gezeigt. Der Mut hat mich schleichend verlassen“, erzählt sie.
Nicht nur sie selbst, auch die Gemeinschaft im Haus habe gelitten. „Jeder
hat mit seiner eigenen Situation zu kämpfen.“
Sven Fischer hofft derweil darauf, dass die Zerstörungen an Bad und Kamin
behoben werden. Der Bezirk hat nach Auskunft von Baustadtrat Jens-Holger
Kirchner (Grüne) die Christmann GmbH dazu verpflichtet, allerdings hat die
Kanzlei des Investors dagegen Widerspruch eingelegt. Auch wenn Kirchner
nicht so weit gehen will, in Bezug auf den abgedichteten Kamin von einem
„Anschlag“ zu sprechen, findet er, dass der Investor rote Linien
überschritten hat: „Mit den Eingriffen in die Privatsphäre hat das
Unternehmen den rechtsstaatlichen Rahmen verlassen.“ Er verspricht, solche
Vergehen „mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln“ zu bekämpfen – und
räumt doch ein, dass der Bezirk auf Baustellen oft nur nachträglich aktiv
werden kann. Bescheidene Aussichten für die anderen Mieter in der
Kopenhagener Straße 46.
Die taz wollte den Investor mit den Vorwürfen konfrontieren. Doch der
ignorierte die Fragen.
6 Sep 2015
## AUTOREN
Matthias Bolsinger
## TAGS
Drohungen
Sanierung
Miete
Lesestück Interview
Friedrichshain-Kreuzberg
Mietpreisbremse
Wohnungspolitik
Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Interview mit dem Autor Torsten Schulz: „Makler ist eigentlich ein Unberuf“
Torsten Schulz’ Roman „Skandinavisches Viertel“ präsentiert einen Makler,
der Wohnungen in seinem Heimatkiez Prenzlauer Berg nur an ihm sympathische
Leute verkauft.
Extrempreise für Immobilien: Abstellkammer in Bestlage
Ein Makler bietet eine 10-qm-Wohnung in Kreuzberg für fast 100.000 Euro an.
Ein Witz? Nein: Es zeigt, was auf dem Berliner Immobilienmarkt schon
möglich ist.
Soziologe Holm über Mietpreisbremse: „Verdrängung ist kein Naturgesetz“
Bald greift die erste Mietpreisbremse. Der Stadtsoziologe Andrej Holm
analysiert ihre Schwächen – und schlägt andere Maßnahmen vor.
Zukunft der Mieter in Berlin: „Verdrängung ist nicht zu stoppen“
Die grüne Baustadträtin von Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz, über das
neue Umwandlungsverbot und die Gentrifizierung rund um den
Gleisdreieckpark.
Dokumentarfilm über "Mietrebellen": „Der Markt ist eine Zumutung“
In „Mietrebellen“ zeichnen Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg
die Mieterproteste der letzten Jahre nach – und räumen mit Klischees über
Betroffene auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.