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# taz.de -- Debatte Rechtsextreme Gewalt: Wut sucht sich leichte Opfer
> Gewalt gegen Flüchtlinge hat nur oberflächlich mit Flüchtlingen zu tun:
> Gastbeitrag des Leiters der JVA Zeithain in Sachsen.
Bild: Kein Kessel Buntes: Die Polizei isoliert in Heidenau „angeschlagenes Se…
Gewalt gegen Flüchtlinge und Ausländer ist zu verachten und mit allen
rechtsstaatlichen Mitteln zu unterbinden. Das wird aber nicht genug sein.
Nicht genug, um unseren Umgang mit Flüchtlingen wirklich menschenwürdig zu
gestalten, und nicht genug, um die Destruktivität und Gewaltbereitschaft
vieler Menschen, die sich in Heidenau und anderswo zeigt, nachhaltig zu
reduzieren.
Insbesondere zwei Erkenntnisse aus der Forschung mit Gewalttätern sollte
die seriöse Politik jenseits der Rechten, zuvorderst die Linke,
berücksichtigen, wenn sie mehr tun will, als nur „gegen rechts“ zu sein.
Gewalttäter suchen meist nicht ihre Gegner, sondern Opfer. Eine latente
Gewaltbereitschaft ist meist Folge langwieriger komplexer Prozesse. Oft
stecken eine zumindest subjektiv so empfundene Missachtung, Ausgrenzung und
soziale Benachteiligung dahinter.
Sie hat aber nie eine eindeutig zu identifizierende monokausale Ursache.
Wenn es so wäre, müsste ja auch mit dem Wegfallen der Ursache die
Gewaltbereitschaft an sich verschwinden. Es wird wohl niemand ernsthaft
behaupten wollen, dass der rechte Mob keine Bedrohung mehr darstellen
würde, wenn es keine Ausländer mehr in Deutschland gäbe.
Die meisten rechten Hetzer und Gewalttäter leben vielmehr ihre Aggressionen
auf Kosten von Menschen aus, die nicht ursächlich für diese Aggressionen
sind. Sie tun das dort, wo es für sie am „billigsten“ ist. Wut und
Aggressionen entladen sich generell vor allem da, wo das geringste Risiko
gegeben ist. Jeder kann das gut an sich selbst beobachten. Seinem Chef
gegenüber zum Beispiel beißt man sich viel länger auf die Zunge als einem
Kollegen gegenüber. Flüchtlinge werden also vor allem deshalb ausgewählt,
weil sie vergleichsweise einfache und schutzlose Opfer sind.
Und: Profitieren auch andere als die Rechten selbst, unbewusst und
ungewollt von diesem „Opfer“? Für Parteien außerhalb der
Regierungsverantwortung ist es vergleichsweise leicht, politisch gegen
Rechtsradikale zu punkten. Es ist leicht, Gegendemonstrationen zu
veranstalten. Es ist leicht, das Verhalten der Rechten als unmenschlich zu
entlarven. Sich gegen rechts zu positionieren und sich damit auch politisch
zu profilieren kostet allerdings genauso wenig Gedanken oder Mut (von
Ausnahmen abgesehen), wie gegen Flüchtlinge zu sein.
Auch für Regierungsparteien kann es oft ausreichen, Flüchtlinge vor allzu
großer Gewalt zu schützen, um gegenüber der Bevölkerung den Eindruck zu
vermitteln, die Problematik engagiert und menschenwürdig anzugehen. Die
Aggressionen und der Hass vieler gewaltbereiter Rechter sind zudem real, so
absurd auch deren Begründung erscheint. Der Ärger für die Politik wäre
erheblich größer, würde sich diese Aggression gegen potenzielle WählerInnen
– und nicht Flüchtlinge – richten.
Es ist, gerade für die linke Politik, ganz entscheidend, sich bewusst zu
machen, dass Gewalt gegen Flüchtlinge nur an der Oberfläche mit
Flüchtlingen zu tun hat. Nur dann wird der Blick frei auf die Frage,
inwieweit unsere gesellschaftlichen Verhältnisse Gewalt hervorrufen oder
begünstigen.
## Mangelndes Selbstwertgefühl
Warum sind viele Menschen, auch wenn es ihnen materiell an kaum etwas
fehlt, so frustriert? Gibt es ausreichend positive
Identifikationsmöglichkeiten gerade für junge Menschen? Kümmern wir uns
ausreichend um die, die mit unserer Leistungsgesellschaft nicht mithalten
können, oder drängen wir sie immer weiter an den Rand? Geben wir auch
schwierigen Menschen ausreichend Möglichkeiten, sich sozial zu integrieren?
Mit diesen Fragen sollte sich die Linke beschäftigen, auch und gerade dort,
wo es am schwersten fällt: Im Umgang mit den Rechten. Menschen ändern ihr
Verhalten am ehesten, wenn es ihnen subjektiv nützt. Gewalttäter ändern
ihre Einstellung zur Gewalt vor allem dann, wenn sie ihr Leben bei einem
Verzicht auf Gewalt als lebenswerter empfinden. Das wiederum setzt ein
gesundes Selbstwertgefühl und andere positive Ressourcen voraus, die oft
erst auf- und ausgebaut werden müssen.
Sowenig man es glauben mag, wenn man grölende Nazihorden vor brennenden
Flüchtlingsheimen sieht: Ausübung von Gewalt erfolgt fast nie aus einer
subjektiven Position der Stärke oder Macht heraus. Es stecken meist ein
angeschlagenes Selbstwertgefühl und eine subjektiv empfundene Unfähigkeit
dahinter, die Lebensenergie in konstruktive Bahnen zu lenken. Es wäre also
noch viel stärker als bisher danach zu fragen, wie die sozialen Strukturen
verbessert werden könnten, damit möglichst wenig Aggressionen entstehen.
Und auch für die Nichtrechten darf der Gedanke der Orientierung
menschlichen Verhaltens am eigenen Nutzen, so beschämend er auch sein mag,
nicht ganz verdrängt werden. Es gibt Menschen, die selbstloser als andere
sind, aber als Gesellschaft werden wir einen wirklich menschenwürdigen
Umgang mit Flüchtlingen und Ausländern nicht erreichen, wenn wir nur auf
Nächstenliebe abstellen.
## Auf Stimmungsmache verzichten
Letztlich sind es immer die Bedürfnisse, die uns Menschen zusammenführen.
Es muss also noch viel stärker Teil des öffentlichen Diskurses werden,
welchen Vorteil es für uns hätte, auf Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu
verzichten und mit ihnen besser umzugehen.
Nicht nur die Flüchtlinge kommen zu uns, weil sie uns brauchen, sondern
auch wir können sie brauchen, etwa als Menschen, die unseren Horizont
erweitern, als Arbeitskräfte oder als Teil der Vernetzung in einer sich
globalisierenden Welt. Wir reduzieren auch die Terrorgefahr bei uns, wenn
wir nicht die Wut der Welt schüren, weil wir trotz unseres Reichtums
Flüchtlinge schlecht behandeln. Das alles muss stärker als bislang
herausgearbeitet und kommuniziert werden, statt der Versuchung zu
verfallen, allzu leicht oberflächlichen Profit aus einer Kritik an den
Rechten und dem Ruf nach Strafe zu schlagen.
Das wäre dann nicht nur zum Vorteil der Flüchtlinge, sondern zum Vorteil
für uns alle.
4 Sep 2015
## AUTOREN
Thomas Galli
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