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# taz.de -- Ermittlungen gegen Ärzte in Bayern: Dauerfixierung ist rechtmäßig
> Die Staatsanwaltschaft Landshut stellt ein Verfahren gegen drei Ärzte
> ein. Sie hatten einen Psychiatrie-Patienten 60 Tage lang ans Bett
> gefesselt.
Bild: 60 Tage fixiert. Das Bild zeigt ein Gemälde eines Psychiatrie-Patienten …
LANDSHUT taz | Die 60-tägige Dauerfixierung eines Psychiatrie-Patienten in
der Forensik des Isar-Amper-Klinikums in Taufkirchen (Niederbayern) bleibt
ohne strafrechtliche Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft Landshut hat das
Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 104/Js 17028/14) gegen die drei
verantwortlichen Ärzte eingestellt. Ein strafrechtlich relevanter Vorwurf
könne ihnen nicht gemacht werden, heißt es in der Einstellungsverfügung.
Der Fall, der durch den Unterstützerkreis von Deutschlands bekanntestem
Psychiatrie-Patienen, Gustl Mollath, bekannt geworden war, hatte für
erhebliches Aufsehen gesorgt und eine Debatte über die Notwendigkeit und
Zulässigkeit von Fixierungen in der Psychiatrie ausgelöst. Nicht nur in
sozialen Medien herrschte pures Entsetzen über den zweimonatigen Gewaltakt
gegenüber dem Psychiatrie-Patienten, auch eine ganze Reihe von Mitgliedern
des bayerischen Landtags mahnten eine umfassende und schnelle Aufklärung
der Vorkommnisse in der Klinik an.
In Gang gesetzt wurden die Ermittlungen der Landshuter Staatsanwaltschaft
durch den Internet-Aktivisten und „Plagiatsjäger“ Martin Heidingsfelder,
der im Mollath-Unterstützerkreis eine zentrale Rolle spielt und die
verantwortlichen Ärzte vor fast zwei Jahren wegen Freiheitsberaubung
anzeigte.
Die Strafanzeige, die er zusammen mit Gustl Mollath bei der
Staatsanwaltschaft einreichte, untermauerte er mit einer Vielzahl von
Klinik-Dokumenten, Telefonmitschnitten und Zeugenaussagen, die wenig
Zweifel am brachialen Umgang von Ärzten und Pflegern mit dem Patienten
ließen. Zu einem anderen Ergebnis kam jetzt auch die Staatsanwaltschaft
nicht: „Die durchgeführten Ermittlungen haben die Angaben der
Anzeigeerstatter hinsichtlich einer über 60 Tage andauernden Fixierung des
untergebrachten Martin R. vom 4. 10. 2011 bis 2. 12. 2011 im KBO-Klinikum
Taufkirchen/Vils bestätigt.“
## Fesselung war extremste Maßnahme
Den Akten, die den Behörden vorliegen, lässt sich entnehmen, dass die
zweimonatige, ununterbrochene Fixierung des Patienten ans Bett nur die
extremste Maßnahme in einer ganzen Serie von Fesselungen war.
Heidingsfelder, der von „Menschenverachtung“ und „Folter“ spricht:
„Zwischen Oktober 2011 und März 2012 wurde dieser Patient fünfmal fixiert.
Bereits wenige Tage nach der 60-Tage-Fixierung wurde er erneut ans Bett
geschnallt. “
Martin R. ist ein ausgesprochen schwieriger Patient, aber das sind alle,
die vom Gericht in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik
eingewiesen werden. Er sitzt nach einem Mord seit 1994 in der Psychiatrie,
zuerst in Kaufbeuren im Allgäu, später in der zentralen Einrichtung für
psychisch kranke und schwere Straftäter im Bezirkskrankenhaus Straubing.
Dort sind Männer untergebracht, in Taufkirchen, im gleichen Bezirk, die
Frauen. Martin R. landete dort, weil er transsexuell ist und sich als Frau
betrachtet.
## Verlegung wird geprüft
Ob diese Verlegung von Straubing nach Taufkirchen überhaupt den rechtlichen
Rahmenbedingungen entsprach, wird von der Landshuter Staatsanwaltschaft in
einem eigenen Verfahren geprüft, wie der Einstellungsverfügung ebenfalls zu
entnehmen ist. Inzwischen ist Martin R. wieder in Straubing gelandet.
Professor Matthias Dose ist der Chefarzt der Taufkirchener Forensik und
einer der drei Ärzte, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt hat. Seine
Argumentationslinie, mit der er nun auch offensichtlich bei der
Staatsanwaltschaft seine Rechtfertigung betrieb, hatte er während der
laufenden Ermittlungen im TV-Format verbreitet. Seine zentrale Aussage
dokumentiert ein einziger Satz: „Mir blieb gar keine andere Wahl.“
## Gefahr und Gewalttätigkeit
Das extreme Mittel einsetzen zu müssen, einen Patienten so ans Bett zu
fixieren, dass er völlig bewegungslos ist, und das ununterbrochen zwei
Monate lang, rechtfertigt der Chefarzt mit der hohen Gefahr und der
Gewalttätigkeit, die von diesem Patienten ausgehe. Wiederholt habe er ihn,
Ärzte und Pflegepersonal mit Mord bedroht und sei tätlich geworden.
Bei der Staatsanwaltschaft stießen die Einlassungen des Arztes auf volles
Verständnis. In der Einstellungsverfügung ist von „nachvollziehbarer
ärztlicher Gefahrprognose“ die Rede, von „aggressiven Durchbrüchen und
Drohungen“, vom „Beurteilungsspielraum“ und „allgemeinen Vorschriften�…
Ende steht für die Staatsanwaltschaft fest: „Rechtlich stellt der
festgestellte Sachverhalt keine rechtswidrige Freiheitsberaubung dar und
begründet auch nicht die Strafbarkeit der Beschuldigten aus anderen
Gesichtspunkten.“
Der Mollath-Unterstützerkreis hat bereits signalisiert, gegen die
Entscheidung der Landshuter Staatsanwaltschaft juristisch mit allen Mitteln
vorzugehen.
17 Aug 2015
## AUTOREN
Helmut Reister
## TAGS
Psychiatrie
Gesundheit
Justiz
Psychiatrie
Heiko Maas
Entschädigung
Gustl Mollath
Gustl Mollath
Gustl Mollath
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