| # taz.de -- Schwedens Prostitutionsbeauftragter: „Es gibt keine gute Prostitu… | |
| > Gehört Sexarbeit „entkriminalisiert“, wie Amnesty International fordert? | |
| > Oder sollte sie nach Schwedens Modell verboten werden? Das fordert Patrik | |
| > Cederlöf. | |
| Bild: Ob sie das freiwillig macht? | |
| taz: Herr Cederlöf, Ihr Ziel war es, die Prostitution zu verringern. | |
| Funktioniert das? | |
| Patrik Cederlöf: Ja. Die Straßenprostitution ist um die Hälfte | |
| zurückgegangen. | |
| Aber im Internet sieht Stockholm immer noch aus wie ein | |
| Prostitutionsparadies: jede Menge Anzeigen für käuflichen Sex. | |
| Ja, das Angebot ist ja nicht strafbar. In der Tat haben sich die Anzeigen | |
| vervielfacht: 2008 waren es etwa 800, heute sind es etwa 6.500. Aber unsere | |
| letzten Umfragen zeigten, dass heute noch 0,8 Prozent der schwedischen | |
| Männer Sex kaufen, die Hälfte davon im Ausland. Zuvor war es ungefähr ein | |
| Prozent, die Zahl hat sich also verringert trotz wachsenden Angebots. | |
| Ich denke, es hat funktioniert. Die Gesellschaft hat das Signal gegeben: | |
| Wir wollen keinen käuflichen Sex. Und das wurde verstanden. Wir haben die | |
| geringste Zahl an Sexkäufern überhaupt in ganz Europa. Ich wundere mich | |
| darüber, dass Deutschland das so undeutsch handhabt: keine Regulierung. | |
| Amnesty International hat sich soeben dafür ausgesprochen, Prostitution zu | |
| „entkriminalisieren“. Hat Sie das getroffen? | |
| Diese Position ist zum Glück nicht unumstritten. Die Amnestysektionen in | |
| Schweden und auch in anderen Ländern unterstützen diese Resolution nicht. | |
| Und wir haben ja auch nicht das Angebot, sondern nur die Nachfrage nach | |
| käuflichem Sex kriminalisiert. Die Frauen bleiben straffrei. | |
| Sie wollen die Prostituierten straffrei lassen und nur die Sexkäufer | |
| belangen. Aber nicht nur Amnesty kritisiert, dass die Gesetzgebung den | |
| Prostituierten die Arbeit schwermacht. Man darf keine Wohnung für Sexarbeit | |
| vermieten und keine guten Arbeitsbedingungen schaffen, das wäre Förderung | |
| der Prostitution und strafbar. Ist das nicht ein Widerspruch? | |
| Keineswegs. Jemandem eine Wohnung für die Prostitution vermieten, das wäre | |
| Zuhälterei. Wir akzeptieren die Prostitution nicht. Wir denken, dass man | |
| einen anderen Weg finden sollte, Geld zu verdienen. Es ist eine Minderheit | |
| der Prostituierten, die meint, Prostitution sei einfach ein Job und der | |
| würde ihnen schwergemacht. Die Mehrheit der Prostituierten hier und auch in | |
| Deutschland, das sind arme Frauen, die aus wirtschaftlich schwachen | |
| EU-Ländern kommen. Deren Stimmen werden einfach nicht hörbar. | |
| Sie finden anscheinend keinen anderen Weg, sich und ihre Familie zu | |
| ernähren. | |
| Aber ich akzeptiere nicht, dass sie ihre Körper verkaufen. Die Menschen in | |
| der Europäischen Union sollten Zugang zu Bildung haben und zu einem | |
| ordentlichen Job. Und Prostitution ist kein ordentlicher Job. | |
| Aber vielleicht der Job, der übrig bleibt, wenn man etwa nicht lesen und | |
| schreiben kann. Was sollen diese Frauen tun? | |
| Unsere sozialen Dienste haben Abteilungen für Prostituierte, | |
| SozialarbeiterInnen sind dabei, wenn die Polizei loszieht. Die meisten | |
| Frauen, die wir treffen, wollen ohnehin nach Hause zurück. Und wir haben | |
| eine Rückkehrprogramm für Prostituierte, denen eine Starthilfe in ihrem | |
| Heimatland gegeben wird. | |
| Aber viele kommen doch einfach nur für kurze Zeit, um hier Geld zu | |
| verdienen, mit dem sie zu Hause eine Weile leben können, oder? | |
| Ja, das stimmt, viele reisen als Touristen ein und gehen dann wieder | |
| zurück. Das ist ihre Entscheidung. | |
| Es sind nur wenige Sexkäufer überführt worden, anscheinend muss man als | |
| Sexkäufer vor diesem Gesetz nicht allzu viel Angst haben. | |
| Die Zahl der Sexkäufer hat sich aber verringert. Natürlich ist die | |
| Verfolgung dieser Taten eine Frage der Ressourcen: wie viele | |
| PolizeibeamtInnen man dafür abstellt. Aber Sie werden nicht erwarten, dass | |
| die Zahl auf null sinkt. Es wird auch gemordet, vergewaltigt und gestohlen, | |
| obwohl das verboten ist. Deshalb braucht man ja ein Gesetz. | |
| Wenn man die Prostitution erschwert, dann leiden darunter die | |
| Prostituierten. Sie verschwinden in die Illegalität, heißt es. | |
| Das stimmt nicht. Sie müssen natürlich für die Sexkäufer auffindbar | |
| bleiben. Und wenn die Sexkäufer sie finden, finden wir sie auch. | |
| Wie begegnen Sie den Frauen, die freiwillig und gern Sexarbeiterinnen sind? | |
| Denen haben Sie nun den Beruf verhagelt. | |
| Wenn sie verschiedene Optionen haben und die Prostitution wählen: ihre | |
| Sache. Aber die meisten Frauen können nicht wählen zwischen Prostitution | |
| und einer Universitätskarriere. Ich glaube nicht an die Happy-Hooker-Story. | |
| Die meisten Frauen in der Prostitution haben keine Optionen. Und in einer | |
| Demokratie sollte man sich vielleicht um die Mehrheit Gedanken machen. | |
| Aber Prostitution ist für arme Frauen eine Möglichkeit, Geld zu verdienen | |
| und zu Hause den Kindern die Schule zu bezahlen. | |
| Dann sollen sie das tun. Es ist nicht illegal. Aber ich akzeptiere diese | |
| Tätigkeit nicht. Die EU muss in der Lage sein, ihre Bevölkerung so | |
| auszubilden, dass Prostitution nicht der einzige Weg ist, sich zu ernähren. | |
| Das kann man anstreben, ohne Prostitution zu verbieten. | |
| Es gibt viele andere Phänomene, die sehr real sind, die wir aber nicht | |
| wollen. Wir wollen auch nicht, dass andere Menschen hier ausgebeutet | |
| werden, obwohl sie damit ihre Kinder ernähren. | |
| Nein, das wollen wir nicht. Deshalb versucht man, aus diesen | |
| Arbeitsverhältnissen gute Arbeit zu machen. Man verbietet die Arbeit aber | |
| nicht. | |
| Aus Prostitution kann man keine „gute Arbeit“ machen. Und ich habe viele | |
| Prostituierte getroffen, die die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren | |
| wollen, aber sie schaffen es meistens nicht. Die Prostitution ist eine | |
| Sackgasse für sie. | |
| Das wollen die Sexarbeitsorganisationen ja gerade verhindern, in dem sie | |
| die Rechte der Prostituierten stärken. | |
| Aber es gibt keine „gute Prostitution“. Und Sie müssen zugeben, dass diese | |
| Sexworker-Vereinigungen bisher in keinem einzigen Land bessere | |
| Arbeitsverhältnisse erkämpfen konnten. Sie sind eine Fiktion. Manche werden | |
| auch von Bordellbesitzern geführt – die eine völlig andere Agenda haben. | |
| Glauben Sie, die Legalisierung der Prostitution in Deutschland und den | |
| Niederlanden wurde von Bordellbesitzern erwirkt? | |
| In den Niederlanden stand wohl eher die Tourismusindustrie dahinter, | |
| Amsterdams Rotlichtbezirk ist eine Touristenattraktion. Ich glaube, Sie | |
| lügen sich da etwas zurecht: Ich habe viele Leute in Deutschland gefragt, | |
| ob sie Sex kaufen. Ich habe niemanden gefunden. Ich habe die Prostituierten | |
| gefragt, ob ihre Verwandten Sex kaufen: Niemals! Die Paare würden sich | |
| trennen, wenn der Mann zu einer Prostituierten ginge. Ihre Gesellschaft | |
| will etwas anderes als Ihr Gesetz: Sie akzeptiert Prostitution nicht. | |
| Haben Sie über die Gründe nachgedacht, warum Männer Sex kaufen? Wie | |
| argumentieren Sie, um sie davon abzubringen? | |
| Dass Männer Sex von Frauen kaufen, ist das Resultat von Ungleichheit. Wir | |
| glauben nicht an diese Einwände, dass Männer ohne Sex nicht leben können | |
| oder zwangsläufig Frauen vergewaltigen. Sex ist kein individuelles | |
| Menschenrecht. Er setzt zwei Menschen voraus, die sich gleichermaßen frei | |
| entscheiden können. | |
| Und wenn sie sich frei zu einem Austausch von Sex und Geld entscheiden? | |
| Das tun sie aber nicht. Die Frau braucht Geld zum Leben, das ist nicht | |
| freiwillig. Ich kenne diese Männer, die meinen, sie seien halbe | |
| Sozialarbeiter: Ich tue der armen Frau etwas Gutes, wenn ich Sex von ihr | |
| kaufe. Ich sage: Das ist falsch. Wenn du ihr helfen willst, dann gibt ihr | |
| einfach Geld und verlange keinen Sex von ihr. Ich denke, Ihr Problem in den | |
| Niederlanden und Deutschland ist, dass es bei Ihnen immer die Konservativen | |
| mit ihren moralischen Vorstellungen sind, die sich gegen Prostitution | |
| aussprechen. Das will dann niemand unterstützen, der sich für | |
| fortschrittlich hält. Hier bei uns sind es auch die Linken und die | |
| Feministinnen. Es geht nicht um Moral in Schweden. | |
| Die Freier, die ich gesprochen haben, sagten: Ohne Sex bin ich unglücklich. | |
| Sie wollen keine Macht ausüben, sie wollen eher eine Art Erbarmen. | |
| Das ist für mich kein Argument. | |
| Auch nicht, wenn alte Leute oder Behinderte Sexualassistenz haben wollen? | |
| Exakt. Sie haben nur dann ein Recht auf Sex, wenn sie jemanden finden, der | |
| Sex mit ihnen haben will. Und gerade Behinderte, die haben auch so viel | |
| Sex. Sie finden ihre Wege. | |
| Sie argumentieren auf der Basis, dass die meisten Prostituierten keine sein | |
| wollen. | |
| Nun, am Anfang sagen sie vielleicht, dass dies ein guter Job für sie ist. | |
| Aber wenn man ein bisschen an der Oberfläche kratzt, merkt man: sie hatten | |
| keine Optionen. Sie wussten nicht mehr, wovon sie in Rumänien leben können. | |
| Welche Option können Sie der Prostituierten eröffnen? | |
| Nun, die meisten kommen aus EU-Ländern, sie könnten hier Schwedisch lernen | |
| und eine Ausbildung machen. Aber man muss sagen: Die meisten Frauen wollen | |
| Geld verdienen und dann wieder zurückfahren. Das ist ihre eigene Wahl, denn | |
| sie haben sich ja hier nicht strafbar gemacht. Das ist das Gute an unserem | |
| Gesetz. Und es ist unsere wichtigste Botschaft: Die Prostituierte kann sich | |
| hier an alle Stellen wenden. Und unsere Erfahrung zeigt, dass sie das auch | |
| tun. Wir lassen die Prostituierten nicht mit ihren Problemen allein. | |
| 27 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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