# taz.de -- Gleichstellungsbeauftragte über Sexarbeit: „Schutz sieht anders … | |
> Prostituierte sollen mit einem neuen Gesetz mehr selbstbestimmen können. | |
> Die Gleichstellungsbeauftragte in Kiel befürchtet, dass das Gegenteil | |
> geschieht. | |
Bild: Schutz oder Kontrolle? Im Hamburger Stadtteil St. Georg patroullieren „… | |
taz: Frau Rausch, wieso kritisieren Sie den Entwurf des neuen | |
Prostituiertenschutzgesetzes? | |
Helga Rausch: Weil es nicht das erfüllt, was es verspricht. In dem Gesetz | |
heißt es, dass es das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in der Prostitution | |
stärken will. In Wahrheit werden die Frauen durch das Gesetz bevormundet. | |
Inwiefern? | |
Die Anmeldepflicht ist ein gutes Beispiel dafür. Stellen Sie sich Folgendes | |
vor: Sie haben alle Unterlagen für die Gewerbeanmeldung ordnungsgemäß | |
ausgefüllt und dann wird Ihnen die Anmeldung versagt, weil die Behörde | |
Ihnen nicht glaubt, dass Sie wirklich freiwillig arbeiten wollen und sich | |
schützen können. Wie will die zuständige Person darüber nach einem Treffen | |
entscheiden können? Schutz sieht für mich anders aus. Für mich ist das | |
Kontrolle von volljährigen und mündigen Menschen. | |
Was ändert sich für SexarbeiterInnen und BordellbetreiberInnen? | |
Die SexarbeiterInnen sollen mit dem neuen Gesetz dazu verpflichtet werden, | |
sich jedes Jahr untersuchen zu lassen, sich anzumelden und diese Anmeldung | |
alle zwei Jahre zu wiederholen. Bei den BordellbetreiberInnen wird | |
ebenfalls eine Erlaubnis für das Betreiben eines Prostitutionsgewerbes | |
verlangt, aber diese Erlaubnis wird ohne Befristung erteilt. Ich finde es | |
merkwürdig, dass diejenigen, die eigentlich geschützt werden sollen, | |
deutlich stärker kontrolliert werden, als die BordellbetreiberInnen. | |
Was ist an Anmeldepflicht und verpflichtender Gesundheitsuntersuchung denn | |
problematisch? | |
Für mich ist nicht klar, warum bei der Gesundheitsuntersuchung mit Zwang, | |
Kontrolle und Regulierung gearbeitet wird, anstatt auf Empowerment und die | |
Stärkung der SexarbeiterInnen zu setzen. Und ich kann mir nicht vorstellen, | |
dass die Anmeldepflicht aus datenschutzrechtlicher Perspektive in Ordnung | |
ist. In den Niederlanden wurde aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken so | |
ein Vorhaben gekippt. | |
Was kommt auf die Bundesländer und die Kommunen zu, sollte das Gesetz in | |
der jetzigen Form beschlossen werden? | |
Dem Gesetzentwurf ist zu entnehmen, dass allein für die Umsetzung der | |
Anmeldepflicht und die verpflichtende Gesundheitsversorgung Kosten von | |
mehreren Millionen Euro entstehen würden. Abgesehen von der Frage, ob Bund | |
oder Länder die Kosten übernehmen, wäre das Geld an anderer Stelle ohnehin | |
besser angelegt. | |
Wo denn? | |
Das Geld sollte investiert werden, um Frauen zu unterstützen und zu | |
informieren. Wir sollten mit Instrumenten arbeiten, die die | |
Selbstständigkeit der Prostituierten fördern, wie Aufklärung und | |
Rechtsberatung. Dafür bräuchten wir finanzielle Mittel für aufsuchende | |
Arbeit und vertrauensbildende Maßnahmen. Auch die Finanzierung der schon | |
bestehenden Facheinrichtungen und Frauenhäuser könnte ausgebaut werden. | |
Sie sagen, der Gesetzentwurf geht an der Lebenswirklichkeit der | |
Prostituierten vorbei. An was denken Sie da konkret? | |
Die Frauen müssen beispielsweise bei der Anmeldung angeben, in welchen | |
Orten sie in den kommenden zwei Jahren tätig sein werden. Das ist völlig | |
unrealistisch, weil sie häufig zwischen mehreren Städten wechseln. Viele | |
SexarbeiterInnen haben außerdem nur sehr geringe Deutschkenntnisse und ohne | |
DolmetscherInnen ist eine Anmeldung in Behördendeutsch nicht so einfach zu | |
bewerkstelligen. Es kostet entweder viel Geld oder Sie brauchen eine Person | |
in Ihrem Umfeld, die von Ihrer Tätigkeit weiß und Sie begleitet. Das wird | |
für viele ein Problem sein. | |
Mit welchen Folgen? | |
Ich denke, es wird dazu führen, dass die Frauen die Anmeldung umgehen und | |
ohne Schutz und rechtliche Absicherung arbeiten. Den Prostituierten wird | |
man dann vorwerfen, dass sie sich nicht angemeldet haben und mit Bußgeldern | |
bestrafen. | |
Das Gesetz wird häufig damit begründet, dass Zwangsprostitution und | |
Menschenhandel bekämpft und die Prostituierten geschützt werden sollen. | |
Kann das Gesetz das leisten? | |
Ich arbeite mit der Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein | |
Contra zusammen und dort geht man davon aus, dass die MenschenhändlerInnen | |
die Frauen sehr gut auf das Anmeldeverfahren vorbereiten werden. Sie werden | |
sie briefen und zur Anmeldung begleiten und die Frauen trauen sich dann | |
nicht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. | |
Können da die BehördenmitarbeiterInnen nicht eingreifen? | |
Den MitarbeiterInnen in den Behörden wird es gar nicht möglich sein, im | |
Anmeldeverfahren festzustellen, ob die Frauen von Dritten zur Prostitution | |
gezwungen werden oder ob sie selbstbestimmt und einfach nur unglücklich mit | |
ihrer Situation sind. Besser wäre, wenn die ExpertInnen ihre Arbeit gegen | |
Menschenhandel und Zwangsprostitution ausweiten. Das werden wir mit diesem | |
Gesetz nicht leisten können. | |
Es gibt auch die Forderung, ein Gesetz nach schwedischem Modell | |
einzuführen, bei dem nicht die SexarbeiterInnen, sondern die Freier | |
bestraft werden. Im Hamburger Stadtteil St. Georg gibt es so eine Regelung | |
bereits. Was halten Sie davon? | |
Davon halte ich nicht viel. Ich habe die Sorge, dass bei dem Modell noch | |
mehr Frauen im Untergrund verschwinden und es noch weniger Schutz für die | |
Prostituierten gibt. In Schweden findet Prostitution nur in einem anderen | |
Rahmen statt – sie kann nicht verhindert werden. Sexarbeit wird es | |
wahrscheinlich immer geben, deswegen finde ich es wichtig, den Schutz der | |
Menschen, die dort arbeiten, zu stärken. | |
17 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Larissa Robitzsch | |
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