Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Prostitution: Sexarbeit und Freiheit
> Ein Verbot der Prostitution dämmt den Menschenhandel nicht ein. Im
> Gegenteil. Die Kriminalisierung gefährdet Sexarbeiter*innen massiv.
Bild: Sexkauf zu kriminalisieren, bedeutet, dass Vergewaltigungen von Sexarbeit…
Mira Sigel kritisiert in ihrem Beitrag [1][„Schöne neue Sexarbeit-Welt“]
die „tiefen Gräben“ innerhalb der linken Wertegemeinschaft, weil
Uneinigkeit über den rechtlichen und vor allem moralischen Umgang mit
Sexarbeit herrscht. Dabei wäre es angemessen, diese Uneinigkeit als
notwendiges Moment in der demokratischen Auseinandersetzung über
Prostitution zu identifizieren. Doch dafür gibt es eine „Wunderpille“, und
die heißt „schwedisches Modell“. Schuld an allen Missständen ist daher das
hiesige Prostitutionsgesetz.
Obwohl Prostitution schon seit 1927 legal ist, als sie auf Druck der
Abolitionistinnen der polizeilichen Kontrolle entzogen wurde, ist sie erst
seit 2002 ein wenig anerkannter, gleichwohl von einer konsequenten
Liberalisierung und Gleichstellung keine Rede sein kann. Damals konnte der
Widerstand der CDU/CSU im Bundesrat ein umfassendes Prostitutionsgesetz
verhindern.
Doch nicht nur der CDU/CSU, sondern auch Sigel geht das kleine Gesetz schon
viel zu weit, weil es angeblich den „Menschenhandel“ blühen ließe, obwohl
dieser seinen Höhepunkt in den Jahren 1995/96 erreichte (ca. 1.500 Opfer).
Entgegen Sigels Annahme ist der Menschenhandel auch in Schweden seit dem
Sexkaufverbot (1999) laut Polizeiakten eher gestiegen und dort, wo
Prostitution komplett verboten ist, blüht er ebenso. Thailand ist dafür nur
ein Beispiel.
Der Menschenhandel ist in Deutschland seit 2002 stabil geblieben. Fakt ist
aber, dass nicht das Prostitutionsgesetz, sondern wie in allen anderen
Ländern auch das Gesetz gegen Menschenhandel – die Dürftigkeit der
Opferrechte, deren Stärkung durch die Volksparteien immer wieder verhindert
wird – und die europaweit immer restriktivere Einwanderungspolitik die
strukturellen Rahmenbedingungen für den Menschenhandel schaffen. Kein
Sexkaufverbot wird diese Probleme lösen.
Bei VerbotsanhängerInnen fehlt häufig auch der Blick auf gewalttätige
Razzien seitens der Polizei, auf racial profiling, auf korrupte Polizisten,
die vor allem in Ländern mit einem Verbot Prostituierte straflos
vergewaltigen und oft tief in den Menschenhandel verwickelt sind. Kein Wort
über die Illegalität der Prostitution in Rumänien und Bulgarien, die
Prostituierte, vor allem Roma-Frauen, für Ausbeutung und Polizeigewalt
anfällig macht.
Deutschland ist, zumindest im Vergleich, eine bessere Alternative. Auch in
Schweden hilft die Polizei emigrierten Prostituierten nicht. Diese dürfen
als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ abgeschoben werden.
## Zehnmal für den Staat ficken
Doch auch der deutsche Staat bleibt mit seiner Sperrgebietsregelung, die
Prostitution faktisch vielerorts verbietet, unsichtbar. Die Strafen für ein
Vergehen (150/200 Euro beim ersten Mal, das Doppelte beim zweiten und eine
Haftstrafe beim dritten Mal) ignoriert Sigel, obwohl die
Armutsprostituierte mindestens zehnmal für den Staat ficken muss, um die
Strafe zu bezahlen.
Deshalb fordern Sexarbeiter*innen und auch der Bundesverband für sexuelle
und erotische Dienstleistungen eine vollständige Entkriminalisierung der
Sexarbeit, eine Abschaffung des Paragrafen der „Verbotenen Prostitution“
(StGB 184e), weil sie der Staat mit dieser Regelung und den Sondersteuern
zusätzlich ausbeutet. Es ist naiv, den Staat als Retter der armen Huren
darzustellen und gleichzeitig die „ökonomische Alternativlosigkeit“, die er
mitverursacht, zu ignorieren.
Es ist ein Mythos, dass Sexarbeiter*innen Sexarbeit romantisieren. Morde
und Vergewaltigungen von Prostituierten sind weltweit verbreitete Formen
von „Gewalt gegen Sexarbeiter*innen“, unabhängig von Legalität oder
Illegalität von Prostitution, und die globale Prostituiertenbewegung ist
auch als politische Reaktion darauf entstanden. Gewalt wird aber meistens
durch Männer verübt, die nie geplant hatten, für den Sex zu bezahlen, weil
sie Prostituierte zutiefst verachten, ja hassen.
Während in Deutschland diese Gewalt zum Glück geahndet und verurteilt wird
(das zeigen auch die von Sigel zitierten Pressemitteilungen), interessiert
sich dort, wo Prostitution verboten ist, niemand für die „unmoralische“
Hure. Dort, auch in Schweden, wird Gewalt als Teil des Jobs definiert, als
„Gewalt gegen Frauen“. Wer die „sexuelle Selbstbestimmung“ der
Prostituierten prinzipiell leugnet, kann auch keine Verletzungen dieser
Selbstbestimmung denken. Sexkauf zu kriminalisieren bedeutet, dass
Vergewaltigungen von Sexarbeiter*innen unsichtbar und ungestraft bleiben.
## Wir brauchen genossenschaftlich organisierte Bordelle
Was wir brauchen, sind genossenschaftlich organisierte Bordelle und
Zusammenschlüsse von unabhängigen Prostituierten als wirkliche Alternativen
zu Großbordellen. Anstatt selbstbestimmte Sexarbeit abzulehnen, sollte man
sie für alle, auch für Migrant*innen, einfordern. Es geht darum, Freiheiten
für alle zu schaffen.
Der Begriff „Sexarbeit“ ist keine Verherrlichung des „Systems
Prostitution“, sondern ein Gegenbegriff zur Vorstellung von Prostituierten
als kriminelle oder deviante Menschen. Er weist auf die Menschlichkeit von
Prostituierten als Arbeiter*innen und „Frauen wie andere auch“ hin. Es ist
ein politischer Begriff, der den Kampf der im Patriarchat stets
unterdrückten Prostituierten um Rechte und um eine „Freiheit“, in der es
Gewalt, Kriminalisierung, Stigma und Hass nicht mehr gibt, erst ermöglicht
hat.
„Sexarbeit“ stellt zwar für manche eine „Befreiung“ und Selbsterfüllu…
dar, aber es ist in der Forschung und unter Sexarbeiter*innen völlig
selbstverständlich, dass es unterschiedliche Erfahrungen und Biografien
gibt. Es ist selbstverständlich, dass Sexarbeiter*innen immer auch
gesellschaftlichen Zwängen unterliegen, in denen sie nach der für sie
besseren Option suchen müssen, auch wenn es eine schlechte Option ist. Kein
noch so gut gemeintes Verbot wird daran irgendwas ändern, dass so manche
Frau die Sexarbeit lieber macht als Pflege, einen Putzjob oder gar einen
Bürojob.
Auch das neue Feindbild der „glücklichen Hure“, der das Schicksal der
weniger privilegierten Kollegin egal ist, ist eine Fantasie, die zur
Delegitimierung der Selbstorganisation von Sexarbeiter*innen dient. Das ist
keine Systemkritik, sondern simpler Hurenhass.
13 Aug 2014
## LINKS
[1] /Debatte-Prostitution/!143124/
## AUTOREN
Sonja Dolinsek
## TAGS
Prostitution
Sexarbeit
Menschenhandel
Sexarbeit
Sexarbeit
Prostitution
Prostitution
Sexarbeit
Prostitution
Prostitution
Online-Dating
Katar
Prostitution
Behandlungsfehler
Flüchtlinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gleichstellungsbeauftragte über Sexarbeit: „Schutz sieht anders aus“
Prostituierte sollen mit einem neuen Gesetz mehr selbstbestimmen können.
Die Gleichstellungsbeauftragte in Kiel befürchtet, dass das Gegenteil
geschieht.
Beschluss von Amnesty International: Für Entkriminalisierung von Sexarbeit
Amnesty International hat sich gegen die Bestrafung von Prostitution
ausgesprochen. Schon der Entwurf hatte heftige Kritik geerntet.
Kommentar Zwangstest für Prostituierte: Sex, Lügen und Idiotentests
Die Regierung möchte Idiotentests für Prostituierte einführen. Die Debatte
darüber zeigt, dass Sexarbeit eben doch kein normaler Job ist.
Streitgespräch über Prostitution: „Es gibt kein Recht auf Befriedigung“
In Europa wird dem Rotlichtmilieu der Krieg erklärt. Soll auch in
Deutschland Sexarbeit verboten werden? Ein Streetworker, ein Freier und
eine Domina diskutieren.
Meldepflicht für Sexarbeiterinnen: Proteste „gegen Zwangsouting“
Sexarbeiterinnen sollen sich künftig bei den Behörden anmelden. Das sei
Diskriminierung, sagen Prostituiertenverbände.
Debatte Prostitution: Die Frauen sind letztlich egal
Die Union will die Prostitution neu regeln. Aber es geht nur um Populismus.
Keiner ihrer Vorschläge hilft in Not geratenen SexarbeiterInnen.
Entwurf zum Prostitutionsgesetz: Flatrate-Sex und Gang-Bang verboten
Künftig sollen sich Prostituierte registrieren müssen, und bestimmte
Praktiken werden verboten. Der Hurenverband warnt vor Moralisierung per
Gesetz.
Datingportale für käufliche Liebe: Daddy, lass was springen!
Drei Millionen ältere Menschen suchen online explizit nach einem Partner,
der Status oder Jugend verspricht. Dabei sind die Grenzen zur Prostitution
fließend.
Ladyboy in Katar: Endlich Frau werden
Zoe hat ein riskantes Geschäftsmodell: Um sich eine Geschlechtsumwandlung
zu finanzieren, schafft der Ladyboy in Katar an und schläft mit Männern.
Debatte Prostitution: Schöne neue Sexarbeit-Welt
Prostitution ist ein schmutziges globales Business und kein
Selbstverwirklichungs-Workshop. Haben Linke eigentlich vergessen, was
Systemkritik ist?
Sozialstaat Schweden: Ein Amt auf Fehlersuche
Falsche Behandlungen, Vernachlässigung im Pflegesektor: In Schweden
versucht eine Behörde herauszufinden, wo es hakt, wenn im Sozialen etwas
schiefläuft.
Syrische Flüchtlinge prostituieren sich: „Ich bin billig, gerade mal 40 Doll…
Im Libanon prostituieren sich immer mehr Männer. Aus Geldnot bieten sich
dort auch syrische Flüchtlinge zu Dumpingpreisen an. Ein Besuch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.