| # taz.de -- Syrische Flüchtlinge prostituieren sich: „Ich bin billig, gerade… | |
| > Im Libanon prostituieren sich immer mehr Männer. Aus Geldnot bieten sich | |
| > dort auch syrische Flüchtlinge zu Dumpingpreisen an. Ein Besuch. | |
| Bild: Eskorts in Beirut arbeiten im Verborgenen | |
| BEIRUT taz | Es ist Samstagnacht. Vor einem unscheinbaren Hauseingang im | |
| Industrieviertel von Beirut drängen sich junge Männer. Sie warten auf den | |
| Einlass ins Posh, einen der größten Queer-Clubs im Libanon. Der Türsteher | |
| winkt einen nach dem anderen durch. Mit dem Aufzug geht es in die fünfte | |
| Etage, und als die Stahltüren sich langsam aufschieben, dröhnt Elektromusik | |
| in die Kabine. Die Tanzfläche füllt sich schnell. Schwarzlicht setzt grelle | |
| Neon-Effekte auf die tanzenden Körper. Bunte Musikvideos flimmern über eine | |
| riesige Leinwand. Zweimal in der Woche öffnet das Posh in verschiedenen | |
| Locations um und in Beirut. Heute werden laut Veranstalter bis zu 1.000 | |
| Gäste erwartet. Aber nicht alle kommen, um zu feiern. | |
| Vor dem Club wartet Jamal* auf Kundschaft. Im schummerigen Licht der | |
| Straßenlaterne wirkt der Zweimetermann mit den muskulösen, tätowierten | |
| Armen einschüchternd. Selten löst ein Lächeln seine harten Gesichtszüge. | |
| Jamal arbeitet als Eskort, wie im Milieu ein männlicher Prostituierter | |
| genannt wird. Viele seiner Kollegen halten im Club Ausschau nach Freiern. | |
| Er ist nicht in Feierlaune, deshalb bleibt er lieber draußen. | |
| Jamal ist 40 Jahre alt. In den 90ern kam er aus Syrien nach Beirut. | |
| „Eigentlich bin ich gelernter Schuster. Aber als ich damals in den Libanon | |
| kam, bot mir ein Mann 600 Dollar für eine gemeinsame Nacht an. Da habe ich | |
| eingeschlagen. Das ist nun 12 Jahre her und war der Beginn meiner | |
| Eskort-Karriere.“ Doch spendable Freier kommen nur noch selten nach Beirut. | |
| Aufgrund der Nähe zum Syrienkrieg verbringen bedeutend weniger reiche | |
| Araber aus den Golfstaaten ihre Urlaube im Libanon. „Die Saudis waren meine | |
| besten Kunden – fast alles verheiratete Männer. Mein Standardpreis ist 150 | |
| Dollar. Das können viele Libanesen nicht bezahlen“, sagt Jamal. | |
| ## Eskortdienste via App | |
| Er lernt die meisten seiner Kunden durch Apps wie Grindr kennen, der | |
| homosexuelle, flirtwillige Männer im näheren Umkreis anzeigt. Auch in | |
| Internetportalen für Homosexuelle wie Manjam.com können Eskorts unter der | |
| Rubrik „Business“ ein Geschäftsprofil anlegen. Andere männliche | |
| Prostituierte arbeiten im Hammam. In manchen dieser traditionellen | |
| arabischen Bäder können sie einen Raum anmieten und bieten ihren Kunden | |
| neben Wellness auch gewissen Extraservice. Wieder andere treten mit Freiern | |
| lieber in Queer-Clubs und Bars in Kontakt. Und davon gibt es in Beirut | |
| einige. | |
| Im Libanon tritt die lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle | |
| Gemeinschaft (kurz: LGBT) viel öffentlicher auf als in anderen arabischen | |
| Ländern. Legal ist Homosexualität trotzdem nicht: Artikel 534 des | |
| Strafgesetzbuches besagt, dass „unnatürliches Sexualverhalten“ mit bis zu | |
| einem Jahr Gefängnis geahndet werden kann. Darunter fällt je nach Auslegung | |
| auch gleichgeschlechtlicher Verkehr. | |
| 2012 nahm die Polizei 36 Männer in einem Beiruter Kino fest. Um ihnen | |
| homosexuelle Handlungen nachzuweisen, mussten sie eine Rektaluntersuchung | |
| über sich ergehen lassen. Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen | |
| verurteilten die erniedrigende Pseudo-Praxis, die als solche keinen Beleg | |
| für gleichgeschlechtlichen Verkehr liefert. Noch im selben Jahr bannte das | |
| Justizministerium die Rektaluntersuchung bei Verdacht auf homosexuelle | |
| Handlungen. | |
| Doch die libanesische LGBT-Gemeinschaft hat noch einen langen Weg vor sich, | |
| obwohl der Libanon im Vergleich zu anderen arabischen Ländern als liberaler | |
| gilt. Erst 2013 gab die libanesische Psychiatrie-Vereinigung bekannt, dass | |
| sie Homosexualität nicht länger als mental-geistige Störung einstuft, die | |
| mit Medikamenten zu behandeln sei. Artikel 534 besteht jedoch weiter. | |
| ## Prostitution mit „Künstler-Visum“ | |
| Und so haben es Eskorts im Libanon doppelt schwer. Prostitution ist zwar | |
| legal, aber nur für Frauen. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa oder | |
| Nordafrika und arbeiten für maximal sechs Monate in „Super Night Clubs“ | |
| entlang des Küstenhighway. Die Frauen erhalten ein sogenanntes | |
| „Künstler-Visum“. Laut einer Studie von Human Rights Watch werden pro Jahr | |
| bis zu 5.000 dieser Visa ausgestellt. | |
| „Die Frauen werden von Banden kontrolliert. Mit denen sollte man sich | |
| besser nicht anlegen“, sagt Jamal und zieht ein letztes Mal an seiner | |
| Zigarette, bevor er sie wegschnippst. Eskorts arbeiten im Verborgenen und | |
| sind meist allein unterwegs. Damit besteht auch ein höhere Risiko, Opfer | |
| von gewalttätigen Freiern zu werden. „Man weiß nie, wo die Reise hingeht. | |
| Ich steige in fremde Autos ein und dann hoffentlich irgendwo wieder aus.“ | |
| Mit seiner hünenhaften Gestalt macht er sich aber relativ wenig Sorgen. Wer | |
| nach Stress sucht, ist bei ihm an der falschen Adresse. | |
| Jamal hat kein Problem damit auf den Strich zu gehen, obwohl er sich selbst | |
| nicht als homosexuell bezeichnet. Aber es bringt viel Geld. Und es war | |
| seine freie Entscheidung. Anders als in Sams* Fall. Er ist vor dem Krieg in | |
| Syrien geflohen und in Beirut gestrandet. In Damaskus hatte der 25-Jährige | |
| BWL und Englische Philologie studiert und bereitete sich auf seinen Master | |
| vor. Doch dann erreichte ihn der Einberufungsbefehl der syrischen Armee und | |
| er verließ das Land, so schnell er konnte. Im Libanon steht er nun vor dem | |
| Nichts. | |
| Sam war anfangs wenig begeistert davon, ein Interview zu geben. Nach | |
| einigem Hin und Her willigte er doch ein. Sein Zögern begründet er so: | |
| „Meine Geschichte ist kein Futter für Neugierige, die mal kurz in mein | |
| trauriges Leben reinschnuppern wollen.“ | |
| ## „Man sieht mir die Armut an“ | |
| Das Dilemma des jungen Mannes ist groß. Als syrischer Palästinenser hat er | |
| im Libanon so gut wie keine Rechte. Die meisten der über 400.000 | |
| libanesischen Palästinenser verteilen sich auf zwölf Camps im Land, in | |
| denen Wohnraum und Arbeit knapp sind. Da bleibt kaum Platz für die | |
| palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien. Auch wurde im Mai eine Gruppe | |
| syrischer Palästinenser am Beiruter Flughafen mit gefälschten | |
| Reisedokumenten aufgegriffen und zurück nach Syrien gebracht. Seitdem | |
| gelten verschärfte Einreise- und Aufenthaltsbedingungen. | |
| „Als ich 2013 in den Libanon kam, hatte ich lange Zeit kein Dach über dem | |
| Kopf und nichts zu essen. Der Libanon hasst die Palästinenser“, sagt Sam. | |
| Nach erfolglosen Versuchen, Arbeit zu finden, sah er nur den Ausweg, seinen | |
| Körper für Geld zu verkaufen. „Ich mach das nicht aus freien Stücken. | |
| Selbst als Müllmann bräuchte ich eine Arbeitserlaubnis, die ich als | |
| Palästinenser aus Syrien nicht bekomme“, sagt Sam über seine missliche | |
| Lage. | |
| Nur in größter Geldnot sucht Sam nach Freiern. Zu seinen Kunden zählt er | |
| Männer aus Bahrain, Kuwait, Libanon aber auch Skandinavien. „Ich bin | |
| billig. Ich koste gerade mal 40 Dollar, da ich weder besonders attraktiv | |
| noch Libanese bin. Man sieht mir die Armut an. Reiche Kunden mögen das | |
| nicht“, fügt Sam trocken hinzu. Anders als Jamal hat er sehr wohl Erfahrung | |
| mit gewalttätigen Freiern gemacht. Sam möchte nicht ins Detail gehen, doch | |
| einmal musste er sich ein Woche lang von einem Vorfall erholen. „Die | |
| Menschen hier machen mir Angst. Manchmal wünsche ich mir, dass ich als | |
| Schoßhündchen auf die Welt gekommen wäre, das alle lieb haben und | |
| knuddeln.“ | |
| ## Neues Leben in Europa? | |
| Im Juni war Sam plötzlich verschwunden. Er hatte seine Familie in Syrien | |
| besucht und wurde vom syrischen Regime aufgespürt. Nach ein paar Wochen in | |
| Haft kam er mit anderen Gefangen frei, die Assad nach seiner Wiederwahl zum | |
| syrischen Präsidenten begnadigen ließ. Sam ging zurück nach Beirut. | |
| Hoffnungsvoll in die Zukunft blickt er nicht: „Ich würde gerne woanders | |
| hin; wieder studieren und einen guten Job finden. Aber da ich Palästinenser | |
| bin, ist es fast unmöglich, ein Visum für ein anderes Land zu bekommen.“ | |
| Auch Jamal will den Libanon verlassen, obwohl es ihm dort nicht schlecht | |
| geht. Doch vor Kurzem hat sich ihm eine einmalige Gelegenheit eröffnet: Ein | |
| ehemaliger Freier, der sich in Jamal verliebt hat, will ihn zu sich nach | |
| Europa holen. Sollte er ein Schengen-Visum bekommen, ist er bereit, ein | |
| komplett neues Leben zu beginnen. | |
| * Alle Namen geändert | |
| 12 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Juliane Metzker | |
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