# taz.de -- Erinnerungen eines syrischen Flüchtlings: „Ich muss weiter“ | |
> Uday Al Khatib gelang die Flucht aus Syrien. Er lebt jetzt in Bremen. Wie | |
> lange er bleiben darf, weiß er nicht - aber dass seine Familie zu Hause | |
> hungert. | |
Bild: Was Uday Al Khatib von seinem alten Leben blieb, passt in die Hosentasche… | |
BREMEN taz | Uday Al Khatib ist allein. Um ihn herum spielen Kinder. Mütter | |
und Väter sitzen auf Bänken, schauen zu, reden durcheinander, schimpfen, | |
trösten, lachen. Schweigend läuft Uday durch den Eingang des | |
Schwesternwohnheims in Bremen, Osterholz. Er geht den dunklen Flur entlang, | |
setzt sich an den Tisch in seinem kleinen Zimmer. Der 22-jährige Flüchtling | |
aus Syrien musste seine Eltern, seine Freunde, sein Leben zurücklassen. | |
Jetzt soll er hier ein neues anfangen. | |
Was ihm von seinem alten Leben geblieben ist, kann er in der Tasche seiner | |
Jeans verstauen: sein Handy. „Hier ist ein Bild von meinen Freunden“, sagt | |
er und zeigt auf den Bildschirm, der auf der Flucht gesprungen ist. Viele | |
kleine Risse verzerren das Bild. „Der eine ist in Libanon. Die anderen | |
beiden sind tot“, sagt er und steckt das Handy wieder ein. Als könne er so | |
die Vergangenheit verschwinden lassen. | |
## Einer von 30.000 | |
Die Bundesregierung möchte das Kontingent für Flüchtlinge aus Syrien | |
vergrößern. Schon Ende letzten Jahres wurde die Anzahl der Flüchtlinge | |
verdoppelt: Statt 5.000 sollten 10.000 Menschen nach Deutschland kommen. | |
Inzwischen ist von einer weiteren Verdopplung der Zahl die Rede. | |
Außerdem kann über das Programm der Bundesländer ein Antrag gestellt | |
werden, um Verwandte nachzuholen. Allerdings nur dann, wenn der | |
Antragsteller finanziell für sie sorgen kann. Für viele Syrer, die selbst | |
gerade erst angekommen sind, ist das unmöglich. Aber 76.000 solcher Anträge | |
sind inzwischen doch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
eingegangen. | |
Uday ist einer von 30.000 Flüchtlingen aus Syrien, die außerhalb des | |
offiziellen Kontingents nach Deutschland gekommen sind. Inzwischen wohnt er | |
nicht mehr in der zentralen Aufnahmestelle in Habenhausen, sondern im | |
Schwesternwohnheim. Sein neues Leben findet auf zwölf Quadratmetern Platz. | |
Grau melierter Teppich, Raufasertapete, ein Waschbecken, ein Wasserkocher. | |
Auf dem Tisch steht ein Bilderrahmen mit dem Werbefoto einer Katze. | |
Uday hat keine eigenen Bilder. Der 22-Jährige versucht, sein altes Leben in | |
Worte zu fassen. Er schiebt eine Tasse mit roten Herzen darauf über den | |
Tisch: „Das ist jetzt Al Yarmouk, meine Heimat.“ Dann folgt ein Glas mit | |
arabischem Kaffee: „Das ist Assad.“ Er verrückt das Glas wieder und wieder | |
um die Tasse herum. „Assad ist einfach überall. Du kommst nicht mehr | |
heraus.“ | |
Seine Familie sitzt in Al Yarmouk fest. In den Straßen seiner alten Heimat | |
wüten die Aufständischen, draußen machen die Männer Assads alles dicht. | |
„Was bin ich für ein Mensch? Ich habe meine Eltern und meine Schwester da | |
gelassen“, sagt Uday. Er sitzt in seinem Zimmer in Bremen. Aber seine | |
Gedanken sind weit weg. | |
„Ich habe Leuten auf der Straße geholfen, die verletzt wurden“, sagt Uday. | |
Weil er Menschen vor Assads Bomben gerettet hat, gilt er für die Anhänger | |
des Präsidenten nun als Verräter. In Syrien bekam er einen Anruf von seinem | |
Onkel, Mitglied der Assad-Partei. | |
„,Wenn wir dich kriegen, erschießen wir dich‘, hat der zu mir gesagt.“ A… | |
dann auch noch Anhänger al-Qaidas nach Al Yarmouk kamen und Uday zum Kampf | |
gegen die Rebellen und die Assad-Truppen zwingen wollten, schickten ihn die | |
Eltern weg. Er packte seinen Rucksack und verschwand. | |
## Der Behördengang, eine Lotterie | |
Jetzt passt sein Leben in eine kleine blaue Mappe. Er hat alles, was er | |
nach seiner Ankunft in Deutschland bekommen hat, sauber abgeheftet. Uday | |
weiß, dass die Papiere für ihn lebensnotwendig sind. Wer die Entscheidungen | |
über sein Leben trifft, weiß er nicht. „Das habe ich zum Beispiel vom | |
Stadtamt“, sagt er und öffnet einen Briefumschlag. Auf den Papieren stehen | |
Nummern von Paragrafen, Stempel sind draufgedrückt, Unterschriften gesetzt. | |
Zu lesen sind Ausdrücke wie „Aufenthalt“, „Status“ oder „Wohnhaft“. | |
Die Zahlen und Worte entscheiden über seine Zukunft. Für Uday ist der Gang | |
zum Amt wie die Lotterie. Dieses Mal steht „Flüchtlingsstatus“ da, beim | |
nächsten Mal vielleicht „Abschiebung“. Uday könnte nicht einmal sagen, | |
woher das Schreiben kommt. | |
Mit einem gefälschten Pass hat er die libanesische Grenze überquert, mit | |
einem gefälschten Visum ein Flugzeug nach Libyen bestiegen, mit dem | |
Holzschiff ging es schließlich Richtung Europa. 15 der 290 Menschen an Bord | |
sind kurz vor der Küste ertrunken. Ein Militärschiff nahm die Überlebenden | |
an Bord. Vier Tage Lampedusa, Flucht aus Italien über Österreich nach | |
Deutschland. | |
Udays Vater spricht Französisch und war vor dem Krieg Übersetzer. Ein | |
Zufall, der ihm jetzt zugute kommt: „Ich habe Deutsch in Damaskus gelernt“, | |
sagt er. „Deswegen wollte ich unbedingt hierher.“ | |
Die ganze Flucht komme ihm vor wie ein Traum. Als Asylbewerber gilt er | |
jedoch nicht: Weil er illegal über den Landweg hergekommen ist, wird ihm | |
nur der Flüchtlingsstatus zugesprochen. Wie lange sein neues Leben in | |
Deutschland dauern wird, weiß er nicht. | |
Uday steigt in die Bahn Richtung Gröpelingen. Er kennt sich gut aus in | |
Bremen. „Ich laufe viel herum“, sagt er. „Ich muss ja wissen, wo was ist. | |
Da ist zum Beispiel ein Stadtamt“, sagt er und zeigt mit dem Finger aus dem | |
Fenster. Er spricht ruhig und bedacht, laut wird er nie. Im Lärm der Bahn | |
ist er kaum zu verstehen. Die Fahrt führt vorbei an übrig gebliebenen | |
EU-Wahlkampfplakaten. Auf einem steht „Flüchtlinge schützen, nicht | |
ertrinken lassen“, auf dem nächsten „Mut zu Deutschland“. | |
## „Alles nicht so einfach“ | |
Uday steigt aus, blinzelt in die Sonne. Er hat einen Termin mit einem | |
Hausverwalter, möchte sich eine Wohnung ansehen. Aber der 22-Jährige ist | |
skeptisch. „Es ist alles nicht so einfach hier“, sagt er und verschwindet | |
in einem Treppenaufgang. Als er die Treppe wieder herunterkommt, blinzelt | |
er nicht in die Sonne, sondern schaut auf den Boden. „Der Hausverwalter | |
möchte den Vermieter fragen“, sagt Uday. „Weil ich Flüchtling bin.“ Mie… | |
und Kaution übernehme die Stadt Bremen. Vorurteile aber kann man mit Geld | |
nicht aus dem Weg räumen. | |
Über das deutsche Flüchtlingskontingent sollen in erster Linie Menschen | |
aufgenommen werden, die sich schon nicht mehr in Syrien befinden. Für Udays | |
Eltern besteht da kaum Hoffnung. Er telefoniert einmal pro Woche mit ihnen. | |
„Sie müssen hungern. | |
Nichts kommt mehr rein und raus“, sagt Uday. Auf seinem Tisch im | |
Schwesternwohnheim liegt ein Kinderbuch, „Meine Werkstatt“. So lernt er | |
Begriffe: In Syrien hat der 22-Jährige Kfz-Mechaniker gelernt. „Ich muss | |
arbeiten“, sagt er, „ich muss meinen Eltern Geld schicken.“ | |
Erst mal ist er zum Stillstand gezwungen. Die neue Wohnung hat Uday nicht | |
bekommen. Der Vermieter wolle keine Flüchtlinge. Neben einem Deutschkurs, | |
drei Mal die Woche, kann er nicht viel machen. Er verbringt die Zeit auf | |
seinem Zimmer und lernt. | |
Er weiß nicht, wie lange er noch auf seine Arbeitserlaubnis warten muss. | |
„Ich darf nicht stehenbleiben“, sagt Uday. „Mein Leben muss weitergehen.�… | |
Er sagt das, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Mit jedem Schritt | |
scheint er sich weiter von seiner alten Heimat zu entfernen, von Freunden | |
und Eltern. | |
Gerade hatte er Besuch von seinem einzigen Freund: Ahmad und Uday sind | |
zusammen geflohen, haben viel durchgemacht. Die deutsche Bürokratie hat die | |
beiden doch noch getrennt: Ahmad ist nach Chemnitz gekommen. Seinen Laptop | |
hat er Uday dagelassen. | |
Der hat im Ordner „Revolution Syria“ Dokumentarfilme gespeichert. Er klickt | |
einen ZDF-Beitrag mit arabischen Untertiteln an. Immer wenn die Gewalt | |
eskaliert, Bomben fallen, Kinder erschossen werden, hält er an, zeigt mit | |
dem Finger auf den Bildschirm, fragt: „Verstehst du, was da passiert?“ | |
## Deutschland hat Pause | |
Unter seinem Fenster spielen Kinder in einem Sandkasten. Uday hört nicht | |
hin. Die Tür ist geschlossen. Deutschland hat gerade Pause. Sein altes und | |
sein neues Leben liegen vor ihm auf dem Schreibtisch. Auf Handy und Laptop | |
ist die Vergangenheit gespeichert, in der blauen Mappe die Zukunft | |
abgeheftet. „Ich darf nicht stehenbleiben“, sagt er noch einmal. „Ich muss | |
weiter.“ Nur wohin, das weiß er noch nicht genau. | |
15 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Timo Robben | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Syrien | |
Flüchtlinge | |
Weltflüchtlingstag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Syrische Flüchtlinge prostituieren sich: „Ich bin billig, gerade mal 40 Doll… | |
Im Libanon prostituieren sich immer mehr Männer. Aus Geldnot bieten sich | |
dort auch syrische Flüchtlinge zu Dumpingpreisen an. Ein Besuch. | |
Kommentar Flüchtlingsbericht: Der Süden braucht Hilfe | |
Italien hat was geändert. Jetzt werden Flüchtlinge in Seenot gerettet. Doch | |
es fehlen die Hilfe Europas sowie vor allem ein neues Denken. |