# taz.de -- Libanesische Sängerin Fairouz: Die fremde Stimme | |
> Ihr Erfolg währt seit Jahrzehnten: Die libanesische Sängerin Fairouz ist | |
> die größte lebende Diva in der arabischen Welt. Nun wird sie 80. | |
Bild: Fairouz bei einem Konzert vor zwölf Jahren. | |
Die Szene wiederholte sich jahrzehntelang, zuletzt 2011 an fünf Abenden in | |
Beirut: Fairouz geht auf die Bühne, singt ihre ersten Takte, das Publikum | |
ist außer sich, applaudiert. Doch das Gesicht der Sängerin bleibt starr. | |
Nur bei Nahaufnahmen sieht man ein mildes, schwer erkennbares Lächeln über | |
ihre Lippen huschen. Das war es. Keine Geste, keine Gefühlsäußerung, | |
nichts. | |
Der stille Körper und der konzentrierte Blick, der die Ferne sucht, bleiben | |
bis zum letzten Stück des Konzerts erhalten. Sie sind, so scheint es, nicht | |
mehr als eine Hülle der eigentlichen Protagonistin eines jeden | |
Fairouz-Konzerts: der Stimme. | |
Es ist eine mysteriöse Stimme, die Lieder von Sehnsucht, Frieden und | |
Hoffnung singt; eine Stimme, die jedem Hörenden im arabischsprachigen Raum | |
von Kind auf vertraut ist; eine Stimme, die das alte, das neue, das | |
dörfliche und das elitär-großstädtische Libanon gleichermaßen verkörpert. | |
Fairouz, die größte lebende Diva der arabischen Welt, wird am Donnerstag 80 | |
Jahre alt. | |
(Das im Wikipedia-Eintrag angegebene falsche Geburtsdatum wurde aus | |
unerklärlichen Gründen nie korrigiert. Doch die alljährlichen | |
Geburtstagsgrüße ihrer Familienmitglieder am 20. November sowie die | |
Veröffentlichung der persönlichen Daten aller libanesischen Staatsbürger im | |
Vorfeld der Parlamentswahlen 2009 sprechen dafür, dass die schweigsame | |
Ikone am 20. 11. 1934 auf die Welt kam.) | |
## Keine Front kann sie vereinnahmen | |
In vielerlei Hinsicht ist Fairouz’ bis in die 1950er Jahre zurückreichende | |
Karriere mit der Geschichte und Identität des arabischen Kulturraums | |
verknüpft. Allein der Umstand, dass es die christlich erzogene Sängerin | |
während des 15-jährigen libanesischen Bürgerkriegs (1975 bis 1990) | |
schaffte, sich von keiner Front politisch vereinnahmen zu lassen und doch | |
zu Hause in Beirut zu bleiben, während viele andere berühmte | |
Persönlichkeiten des Landes auswanderten, brachte ihr von allen Seiten | |
Sympathien ein, die bis heute anhalten. | |
In Syrien hört man ihre Lieder sowohl im Radio, das von der Assad-Regierung | |
kontrolliert wird, als auch in den oppositionellen Medien. Auch nach ihrem | |
letzten Album aus dem Jahr 2010, dessen Titel „Eh … Fi Amal“ („Ja … e… | |
Hoffnung“) zum Slogan der syrischen Pazifisten avanciert ist, wurde | |
deutlich: Auf Fairouz können sich alle Parteien einigen. Denn Fairouz singt | |
für alle. Aber dass diese neutrale Position in einer solch konfliktreichen | |
Region auf Dauer nicht unproblematisch ist, auch dafür ist die Ikone ein | |
einzigartiges Beispiel. | |
Fairouz, deren Künstlername im Arabischen „türkis“ bedeutet und deren | |
bürgerlicher Name Nouhad Haddad lautet, wuchs mit drei Geschwistern in | |
einer Einzimmerwohnung in al-Basta, einem Viertel in der Beiruter Altstadt, | |
auf. Die Sommer verbrachte sie bei ihrer Großmutter in Debbieh, einem Dorf | |
in den Bergen südlich der libanesischen Hauptstadt. | |
Ihre Kindheitserinnerungen und die Faszination für das simple Leben auf dem | |
Land prägten Fairouz so sehr, dass sie später in ihren großen | |
Musiktheaterproduktionen eine authentische Art fand, Geschichten und Werte | |
der dörflichen Libanesen zu verkörpern. Inszeniert und komponiert wurden | |
all diese Stücke sowie ein Großteil von Fairouz’ Diskografie von den | |
Brüdern Assi und Mansour Rahbani. Ersteren heiratete Fairouz im Jahr 1954. | |
## | |
In einer von Frédéric Mitterrand – dem Neffen des ehemaligen französischen | |
Staatspräsidenten – produzierten TV-Dokumentation gab Fairouz eines ihrer | |
raren Interviews und sprach erstmals rückblickend von dem Druck, den ihr | |
Ehemann Assi Rahbani auf sie ausübte: | |
„Wir haben 24 Stunden am Tag an unserer Kunst gearbeitet. Assi war sehr | |
fordernd und hartnäckig. Und das war wichtig, denn ich bin ein Produkt | |
seiner Hartnäckigkeit. Jeder neue Schritt beängstigte mich. Aber Assi | |
glaubte, dass alles, was er schrieb, perfekt für mich war. Nichts von dem, | |
was ich zu der Zeit tat, resultierte aus meiner eigenen Entscheidung. Er | |
traf alle Entscheidungen. Ich versuchte mich zu wehren, aber er brauchte | |
meine Meinung nicht.“ | |
Die Rahbani-Brüder kreiierten im politisch wie wirtschaftlich relativ | |
stabilen Libanon der 1960er Jahre einen neuen Musikstil, der zur | |
Identitätsstiftung des noch jungen Staates – nach dem Untergang des | |
Osmanischen Reiches und der Auflösung des französischen Mandats – | |
wesentlich beitragen sollte. Das Neue an der Musik war, dass die | |
Rahbani-Brüder sich auf die Harmonie konzentrierten und traditionelle | |
Lieder auf klassizistische Weise interpretierten. | |
Sie schrieben Operetten, folkloristische Musicals und Liebeslieder, Fairouz | |
sang sie mit starrer Miene und wurde zum international gefeierten Star. | |
1971 ging sie – bereits von Angstzuständen geprägt, an denen auch eine | |
Nasenoperation nichts änderte – auf ihre erste Nordamerika-Tour, spielte in | |
der ausverkauften New Yorker Carnegie Hall. Auf der Bühne glänzte die | |
Sängerin und überzeugte Kritiker wie Publikum. Es folgten noch einige | |
Fairouz-Tourneen um die Welt. | |
## „Mutter der Nation" | |
Doch die Versagensangst sollte ein ständiger Begleiter der Sängerin | |
bleiben. Nicht zuletzt, weil Fairouz zur „Mutter der Nation“, zur | |
„Botschafterin der Araber“ proklamiert und selbst zur Gefangenen dieser | |
Projektionen wurde. Schon ihre Vorgängerin, die ägyptische Diva Oum | |
Khaltoum, hatte lange Jahre als schwer beladenes Symbol eines panarabischen | |
Nationalismus gegolten. | |
Ähnlich wie Kalthoum verkörperte auch Fairouz für die Region eine reine, | |
religiöse, devote und letztlich desexualisierte Frau, die als Mutter, | |
Schwester oder Nachbarin, aber niemals als Liebhaberin gesehen werden | |
sollte. Die Last dieses konservativen Frauenbildes, das Fairouz letztlich | |
in allen Lebensbereichen des arabischen Kulturraums salonfähig machte, mag | |
maßgeblich für ihre starre Haltung auf der Bühne verantwortlich sein. | |
Wie sehr die private Fairouz unter der öffentlichen Fairouz litt, zeigt | |
sich vor allem in einer Absage der griechisch-orthodoxen Kirche, als die | |
Sängerin Ende der 70er Jahre die Scheidung von Assi Rahbani beantragte: | |
„Scheidung? Auf keinen Fall. Du bist keine Frau. Du bist das Muster einer | |
Frau.“ Sie blieb mit Assi Rahbani bis zu dessen Tod im Jahr 1986 zusammen. | |
Zumindest auf dem Papier. | |
## Neuerfindung durch den Sohn | |
Doch schon in den 1980er Jahren erfand sich Fairouz neu, oder besser: wurde | |
neu erfunden. Fortan nahm ihr Sohn Ziad Rahbani sie unter seine Fittiche, | |
verpasste ihr einen neuen, jazzigen Sound und legte ihr sarkastische Texte | |
in den Mund. Die hohe arabische Poesie der Rahbani-Brüder wurde durch die | |
Alltagssprache des Sohnes Ziad abgelöst – nicht gerade zur Freude der | |
Kritiker. | |
Ziad machte sich gar über frühe Produktionen seiner Eltern lustig und | |
kritisierte das alte politische Establishment, das Fairouz einst feierte. | |
Denn der libanesische Bürgerkrieg schien kein Ende zu finden und der | |
kritische Blick Ziads sah ein anderes Land als jenes, das seine Mutter | |
einst mit Hymnen wie „Bhebak ya Libnan“ („Ich liebe dich, Libanon“) | |
besungen hatte. | |
Aber der größte Verdienst Ziads, so wird oft geschrieben, sei, dass er | |
Fairouz Stück für Stück dem traditionellen Frauenbild entzogen habe und sie | |
zu einem emanzipierten Subjekt machen wollte. Das Problem ist nur: Fairouz’ | |
angebliche Emanzipation war wieder nur die Inszenierung eines Mannes, | |
diesmal eben des Sohnes. Bis heute distanziert sich Fairouz nicht von ihrem | |
verstorbenen Ehemann und singt immer wieder seine Lieder, um die alten | |
Zeiten zu ehren. | |
Ziad wiederum löste Ende letzten Jahres einen Skandal aus, indem er in | |
einem Interview über die angebliche politische Einstellung seiner Mutter | |
sprach. Ein No-Go für die Diva, die bisher politische Aussagen bewusst | |
vermieden hatte, um mit all ihren Fans konform zu sein. | |
Ziad behauptete, Fairouz habe Sympathie für Hassan Nasrallah, den Führer | |
der islamistischen Hisbollah, die in Syrien dem Assad-Regime militärisch | |
zur Hilfe geeilt ist. Ungeachtet dessen, ob diese Aussage wahr ist oder | |
nicht, ist dies ein sehr pikanter Vorwurf, der Medien und Fairouz-Fans | |
aufschreien ließ. Die einen nannten die bislang unantastbare Fairouz eine | |
„Verräterin“, die anderen warfen Ziad Instrumentalisierung vor. | |
Fairouz selbst schwieg und schweigt immer noch. Ein letztes öffentliches | |
Zeichen sandte die Diva, die sich in den letzten Jahren komplett | |
zurückgezogen hat, mit einem Youtube-Video, am Todestag ihres Ehemannes im | |
Juni. Darin steht sie in einem Wald und singt „Ave Maria“ in einer Version, | |
die Assi einst für sie arrangiert hatte. Ihr Gesicht ist dabei nicht zu | |
sehen, die Stimme klingt, als würde sie von fern hinüber rufen. Es ist eine | |
mysteriöse Stimme, die aber nicht mehr vertraut, sondern fremd klingt. | |
20 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
Sami Rustom | |
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