# taz.de -- Wahlkampf in Myanmar: Wir lieben Mutter Suu | |
> Im Herbst wählt Myanmar ein neues Parlament. Die Partei der | |
> Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kämpft um jede Stimme. | |
Bild: Aung San Suu Kyi punktet auf ihrer Wahlkampftour durch das Land mit Pers�… | |
YANGON taz | Htein Lin sammelt Hände. Hände von früheren politischen | |
Häftlingen. Immer wenn der Künstler, der selbst fast sieben Jahre hinter | |
Gittern saß, ehemalige Leidensgenossen trifft, bittet er sie, einen | |
Gipsabdruck machen zu dürfen. Über 400 stehen derzeit dicht gedrängt auf | |
Regalen im Goethe-Institut im Zentrum von Rangun die „Schau der Hände“. | |
Mit seiner Ausstellung „Schau der Hände“ will Htein Lin, 49, an die jünge… | |
Vergangenheit des Landes erinnern, als die Militärjunta Tausende ins | |
Gefängnis warf und viele folterte. „Jede Hand hat ihre eigene Geschichte“, | |
sagt er. | |
Insgesamt 3.000 Abdrücke will er noch anfertigen. Gips, sagt er, sei aber | |
auch ein Symbol dafür, dass man etwas wieder reparieren kann – eine | |
gebrochene Hand, aber auch ein „gebrochenes Land“ wie seines. | |
Birma, das die Militärs in Myanmar umgetauft haben, erholt sich langsam von | |
langen Jahren der Diktatur. Wenn Htein Lin heute seine Kunst ausstellt, | |
greift kein Zensor mehr ein. Die meisten politischen Häftlinge sind | |
freigekommen. Doch der Weg zur Demokratie ist gewunden. Noch immer sperrt | |
die Polizei zum Beispiel willkürlich Journalisten und Demonstranten ein. | |
## Freie und faire Wahlen? | |
Am 8. November dürfen die über 50 Millionen Einwohner ein neues Parlament | |
wählen. Die heutige Regierung, eine Ansammlung ehemaliger und aktiver | |
Militärs, will eine „diszipliniert-blühende Demokratie“ schaffen – wobei | |
klar ist, dass sie vor allem disziplinierte Untertanen im Sinn hat. | |
Immerhin hat die staatliche Wahlkommission zugesichert, dass die Abstimmung | |
frei und fair wird. | |
Vor wenigen Tagen haben die Parteien ihre Kandidatenlisten präsentiert – | |
und schon deuten sich Konflikte an: So fuhren am Donnerstag vergangener | |
Woche vor dem Hauptsitz der Regierungspartei USDP (Unionspartei für | |
Solidarität und Entwicklung) in der neuen Hauptstadt Naypyidaw Jeeps und | |
Lastwagen mit bewaffneten Polizisten auf. | |
Kurz darauf erfuhren die Birmesen, dass der Parteivorsitzende Shwe Mann | |
abgesetzt worden sei. Gründe wurden nicht genannt. Shwe Mann, ein | |
ehemaliger General, der als Parlamentssprecher zu den bekanntesten | |
Politikern sowie zu den reichsten Männern des Landes zählt, war seinen | |
konservativen Kollegen im Militär offenbar zu aufmüpfig geworden: Er hatte | |
offen mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi sympathisiert. Laut | |
Presseberichten soll er es sich in seiner eigenen Partei auch mit ein paar | |
Dutzend Militärs verscherzt haben, weil er sie als Kandidaten für das | |
Parlament ablehnte. | |
Damit war er in den Augen der mächtigen Armeeführer zu weit gegangen – sie | |
schickten kurz entschlossen ein paar Bewaffnete vor das USDP-Parteigebäude, | |
um zu demonstrieren, wer fünf Jahre nach Beginn der Reformen in Myanmar | |
Herr im Hause ist – und wer es bleiben will. | |
## Rücktritte und Rausschmisse bei der NLD | |
Aber auch in der Opposition verläuft nicht alles geradlinig. Um als | |
Kandidat für die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der | |
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aufgestellt zu werden, konnte | |
sich jeder bewerben. Viele taten es – auch solche, die während der | |
Juntazeit im Exil lebten und zurückgekehrt sind, ebenso wie Birmesen, die | |
im Lande ausharrten und politische Schikanen und Gefängnis erduldeten. | |
Eine Kommission unter der „Lady“, wie ihre Anhänger die 70-jährige | |
Politikerin nennen, wählte die Kandidaten aus und teilte sie Wahlkreisen | |
zu. Allerdings waren auch in diesem Fall die Kriterien undurchsichtig: So | |
fand etwa der prominente Oppositionelle Ko Ko Gyi, ein ehemaliger | |
Studentenführer mit über 17 Jahren Gefängnis auf dem Buckel, keine Gnade | |
vor den Augen der NLD-Chefin. Das überraschte viele Regierungskritiker, die | |
ihn schon als möglichen Präsidentschaftskandidaten der NLD gesehen hatten. | |
Unzufrieden mit Aung San Suu Kyi sind auch örtliche NLD-Funktionäre, denen | |
die Parteizentrale plötzlich fremde Kandidaten vor die Nase gesetzt hat. | |
Streit, Rücktritte und Rausschmisse in der Partei waren die Folge – ein | |
gelungener Start in den Wahlkampf sieht anders aus. | |
Seither fühlen sich Skeptiker bestärkt, die behaupten, die | |
Oppositionsführerin sei nicht gut beraten, oder habe sich womöglich gar vom | |
Militär einwickeln lassen. „Aung San Suu Kyi will nur Lakaien in ihrer | |
Partei, die gehorchen“, sagt der politische Beobachter Khin Zaw Win. | |
## Verfassungsänderung nur mit Zustimmung der Armee | |
Aung San Suu Kyi selbst kann weder Staatspräsidentin noch eine der zwei | |
offiziellen Stellvertreter werden. Der Grund: Ein vom Militär eigens auf | |
sie zugeschnittener Verfassungsartikel verbietet es Birmesen mit | |
ausländischen Staatsbürgern in der engeren Familie, in das höchste Amt | |
aufzurücken. Aung San Suu Kyis Söhne Alexander und Kim haben jeweils einen | |
britischen Pass. | |
Das größte Hindernis ist jedoch die unter der Militärjunta geschriebene | |
Verfassung: Sie sichert dem Militär wichtige Ministerposten und eine | |
25-prozentige Sperrminorität im Parlament zu. Ohne die Stimmen der Armee | |
lässt sich die Verfassung nicht ändern. | |
Jüngste Versuche, diese Artikel zu verändern, scheiterten. „Wenn sich | |
überhaupt etwas bewegen soll, braucht die NLD einen Erdrutschsieg. Yan Myo | |
Thein, einer der wichtigsten politischen Kommentatoren des Landes rechnet | |
vor: „Die NLD benötigt wenigstens 67% der Abgeordneten, damit die | |
Opposition zwei der drei Präsidentschaftskandidaten benennen kann, die dann | |
am Ende Vizepräsidenten werden.“ | |
Mit einer satten NLD-Mehrheit im Parlament und zwei Vizepräsidenten, so das | |
Kalkül von Aung San Suu Kyi, könnte die harte Front des Militärs mit der | |
Zeit aufgeweicht werden. „Alles lässt sich ändern. Keine Verfassung ist in | |
Stein gemeißelt“, sagt sie. | |
## Wahlkampf einer Lichtgestalt | |
Die von einem früheren General geführte staatliche Wahlkommission hat | |
inzwischen Wählerlisten ausgelegt. Aktivisten der oppositionellen NLD | |
laufen von Tür zu Tür, um die Bewohner aufzufordern, rechtzeitig in die | |
Listen zu schauen und zu überprüfen, ob die Regierung nicht wieder – wie in | |
alten Zeiten – die Namen bereits Verstorbener oder Kinder hineingemogelt | |
und die Namen kritischer Wähler vergessen hat. | |
Knapp drei Monate vor den Wahlen rätseln die Birmesen, wer überhaupt der | |
nächste Präsident werden könnte: Der gerade geschasste USDP-Chef Shwe Mann | |
ist zwar noch Parlamentspräsident, dürfte aber aus dem Rennen sein, Aung | |
San Suu Kyi darf nicht, und der jetzige Präsident Thein Sein hält sich | |
bedeckt. | |
Aung San Suu Kyi, erfahren mit Rückschlägen, tut derweil, was sie schon | |
immer getan hat, wenn sie auf freiem Fuß war: Sie reist ins Land. In diesen | |
Wochen tourt sie durch Monsun-getränkte Dörfer und versucht, die Massen zu | |
mobilisieren: „Solche Gelegenheit kommt in den nächsten 50 Jahren | |
vielleicht nicht wieder, also lasst sie euch nicht entgehen […],bitte wählt | |
die NLD“, rief sie jüngst vor Anhängern in Saku in Zentralmyanmar. | |
Viele Bürger verehren sie nach wie vor wie eine Lichtgestalt. Die | |
NLD-Zentrale in Rangun zeigt, dass sie im Wahlkampf weniger auf Programm | |
als auf Persönlichkeit setzt: An den Wänden hängen Porträts der Lady, | |
Taschen, Tassen und T-Shirts mit ihrem Bild und Aufschriften wie „Wir | |
lieben Mutter Suu“ werden verkauft. | |
Allerdings hat sie nicht nur Gegner im Militär. Radikale Nationalisten | |
unter den rund 400.000 buddhistischen Mönchen und Nonnen versuchen, | |
vermutlich angeheizt durch die Armee, den Ruf der Lady zu zerstören. Sie | |
sei eine verkappte Muslima, die nur ein Interesse habe – das Land an | |
Ausländer zu verkaufen, zischeln Aufhetzer in den Dörfern. | |
## Buddhistische Fanatiker | |
Gelenkt werden die Fanatiker von der Gemeinschaft zum Schutz von Rasse und | |
Religion, die im Ywarma-Pariyatti-Kloster im Ranguner Bezirk Insein sitzt, | |
gleich neben dem berüchtigten Gefängnis. Ältere Mönchsschüler büffeln in | |
einer offenen Halle hinter Bücherstapeln. Auf einem Plakat ist | |
Microsoft-Gründer Bill Gates zu sehen: „Es ist nicht dein Fehler, wenn du | |
arm geboren wirst, aber es ist dein Fehler, wenn du arm stirbst.“ | |
Gegenüber zeigen Stelltafeln mit Landkarten den ungerechten Lauf der Welt: | |
Einst seien Länder wie Malaysia, Indonesien und sogar Teile des Iran | |
buddhistisch gewesen, heute aber beherrschen Muslime diese Regionen – die | |
unausgesprochene Botschaft: Ein solches Schicksal könnte auch Myanmar | |
erleiden. | |
Ein paar Kilometer südlich gipst der Künstler Htein Lin weiter die Hände | |
ehemaliger politischer Häftlinge ein. Die Hände von Aung San Suu Kyi, die | |
15 Jahre im Hausarrest saß, hat er noch nicht in seiner Sammlung. Aber er | |
ist zuversichtlich, dass sie noch zu ihm kommt. „Sie hat es versprochen“, | |
sagt er. | |
30 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Lorenz | |
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