| # taz.de -- Myanmars neue Hauptstadt: Königssitz mitten auf dem Reisfeld | |
| > Naypyidaw hat Touristen wenig zu bieten. Die Stadt ist nur ein pompöses | |
| > Machtzentrum. Freiwillig lebt hier kaum jemand. Doch das soll sich | |
| > ändern. | |
| Bild: Nur ein Nachbau: die goldene Uppatasanti-Pagode in der neuen Hauptstadt. | |
| Die Fahrt auf der leeren, zwanzigspurigen Autobahn zum Parlament von | |
| Naypyidaw, Myanmars neuer Hauptstadt, endet abrupt. Eine Schranke, ein | |
| Militärposten und die freundliche Bitte, man möge bitte umkehren. | |
| „Im Hluttaw, im Parlamentsgebäude wird gerade getagt, vorbeifahren ist | |
| nicht gestattet“, erklärt der Fahrer. Wir steigen aus und machen zumindest | |
| aus der Ferne Fotos von dem riesigen Komplex, der aus 31 Gebäuden besteht. | |
| Nur die vielen pagodenartigen Dachtürme erinnern an die typische | |
| Architektur des Landes, das früher Birma hieß. So riesig und | |
| überdimensioniert wie das Abgeordnetenhaus, Symbol für Myanmars Übergang | |
| zur Demokratie nach fast 50 Jahren Militärregime, ist alles in dieser auf | |
| dem Reißbrett entworfenen Stadt: die beiden glitzernden Messezentren, die | |
| fast schon stalinistisch anmutende Stadthalle, die zahlreichen Hotels, die | |
| sich nicht füllen lassen, obwohl auch klangvolle Namen wie Hilton oder | |
| Kempinski nicht fehlen. | |
| Sie sind sauber in einer Linie aufgereiht, das Gleiche gilt für die | |
| Ministerien, die in einem eigens für sie konzipierten Areal liegen. Alle | |
| Straßen hier erinnern an Landepisten für Flugzeuge, unterbrochen nur von | |
| mit Lotosblumenskulpturen geschmückten Verkehrsinseln, um die sich so gut | |
| wie nie Verkehr bewegt. Ist das Größenwahn oder neu gefundenes | |
| Selbstbewusstsein der größten Nation Südostasiens, die nach | |
| jahrzehntelanger Isolation ihre Rolle als Schnittstelle zwischen den | |
| Supermächten Indien und China sucht? | |
| Aus seinem Schattendasein heraus trat Naypyidaw erstmals 2013 als | |
| Austragungsort der Südostasienspiele, sogar US-Präsident Barack Obama | |
| reiste letzten November zum Gipfeltreffen der südostasiatischen Staaten | |
| (Asean) in die „seltsame Geisterstadt“ (Washington Post) und traf | |
| Staatspräsidenten Thein Sein. „Als Obama da war, wurden die Lotosblumen | |
| nachts von innen beleuchtet“, sagt der Taxifahrer. Der Mann ist sichtlich | |
| bemüht, uns von den Qualitäten der neuen Planstadt zu überzeugen. | |
| „Hier ist alles übersichtlich, ordentlich und sauber, und vor allem haben | |
| wir hier keine Staus wie in Rangun.“ Auch ansonsten könnte der Gegensatz | |
| zwischen beiden Städten größer nicht sein. Rangun, 320 Kilometer weiter | |
| südlich gelegen, eng, laut, übervölkert, war bis 2005 die Hauptstadt des | |
| einstigen britischen Kolonialreichs. | |
| ## Nur ein Kino | |
| Das neue Machtzentrum Naypyidaw im Herzen des Landes ist trotz aller | |
| Anstrengungen bis heute noch steril und ohne Leben. Auch Kasinos oder | |
| sonstige Vergnügungsstätten sucht man hier vergebens, es sind auch keine | |
| geplant. Das einzige Kino fristet ein Schattendasein in einem | |
| Einkaufszentrum. | |
| So wird offensichtlich, dass die Militärs, die auch nach dem Übergang zur | |
| Demokratie 25 Prozent der Parlamentssitze einnehmen, weiterhin alles unter | |
| Kontrolle haben wollen. Davon zeugen auch die Wachhäuschen, die in | |
| regelmäßigen Abständen die Prachtstraßen säumen. | |
| Niemandem würde einfallen, hier zu Fuß zu gehen, zu groß sind die | |
| Distanzen. Und so sind die emsig fegenden Straßenkehrerinnen mit ihren | |
| Strohhüten die einzigen Menschen, die man sieht. Das ist schwer zu glauben, | |
| denn schon knapp eine Million Birmanen sollen hier auf einer Fläche leben, | |
| die siebenmal so groß wie Singapur ist und zehnmal so groß wie Berlin. | |
| Viele der Bewohner sind nicht freiwillig gekommen, sondern wurden 2006 zur | |
| Umsiedlung in die neue Verwaltungsmetropole gezwungen. Nun wohnen sie in | |
| Blocks, die in verschiedenen Farben gestrichen sind, je nachdem zu welchem | |
| Ministerium sie gehören. Autos brauchen sie angeblich keine, sie werden mit | |
| einem Shuttle-Service zur Arbeit gebracht. | |
| ## „Sitz der Könige“ | |
| Naypyidaw bedeutet übersetzt „Sitz der Könige“, wobei an dieser Stadt | |
| allenfalls die riesigen Parkanlagen - es gibt sogar einen Kräuterpark - | |
| einen royalen Touch haben und vielleicht noch der weltgrößte Rubin und der | |
| „Starsaphir“, die im Edelsteinmuseum zu bewundern sind. Der Name der neuen | |
| Hauptstadt stand auch noch gar nicht fest, als sie ab Ende der 90er Jahre | |
| mitten auf Reisfeldern entstand. | |
| Wo Rangun mit Geschichte aufwartet, von der die zahlreichen Gebäude aus der | |
| Kolonialzeit zeugen, kontert Naypyidaw mit Protz, Beton und Glas. Selbst | |
| seine wichtigste Sehenswürdigkeit, die goldene Uppatasanti-Pagode, ist nur | |
| ein Klon der majestätischen Shwegadon-Pagode in der einstigen Hauptstadt. | |
| Anders als das 2.500 Jahre ältere und etwas größere Original ist sie zwar | |
| begehbar, doch es fehlt die großzügige Tempelanlage um die Pagode herum, es | |
| fehlen die Schreine, gar nicht zu reden von den vielen betenden Mönchen. | |
| An diesem Vormittag findet sich auch nur eine Handvoll Touristen hier ein, | |
| andere Europäer sind nicht darunter. Sogar einen topmodernen Aufzug gibt | |
| es. Als wir versuchen, die Treppe zur Kuppel ohne den traditionellen | |
| Wickelrock, den Longyi, zu ersteigen, werden wir vom Wachpersonal | |
| zurückgepfiffen. Mit flinken Fingern werden unsere ohnehin knöchellangen | |
| Hosen mit einem zusätzlichen Stoff umhüllt. | |
| ## Ein Symbol für Glück | |
| Im Inneren der Kuppel thronen vier Jade-Buddhas, ansonsten erinnert die | |
| Architektonik eher an eine Moschee. Kein Andrang auch am Gehege der fünf | |
| rosafarbenen Elefanten am Fuße der Pagode. Der damalige Diktator Than Shwe | |
| ließ sie vor zehn Jahren im westbirmanischen Urwald einfangen und | |
| hierherbringen. Angeblich kommen die edlen Dickhäuter, die früher nur für | |
| die Könige bestimmt waren, heutzutage noch bei Militärparaden zum Einsatz. | |
| „Sie sind das Symbol für Glück“, sagt May Myat, eine junge Frau, die nur | |
| wenige Meter vom Gehege entfernt Obst und Thanaka verkauft und so eine Spur | |
| von Myanmarflair in der surrealen Umgebung versprüht. Wie fast alle Frauen | |
| hierzulande hat auch sie die ockerfarbene Paste auf Wangen, Stirn und Nase | |
| aufgetragen. | |
| Thanaka besteht aus gemahlenem Sandelholz und der Rinde des Thanakabaums, | |
| die mit Wasser gemischt wird und vor den intensiven Sonnenstrahlen schützen | |
| soll. Sie verkauft uns ein Päckchen für 300 Kyat, das sind etwa 30 Cent. | |
| Wer Menschen wie May treffen will, muss in die kleinen Siedlungen rechts | |
| und links der Prachtalleen gehen, wo die Menschen in einfachen Hütten leben | |
| und ihre Felder noch mit Wasserbüffeln pflügen. Und so ist es auch nicht | |
| erstaunlich, dass Touristen die neue Metropole noch großzügig umfahren; in | |
| den meisten Reiseführern ist ihr, wenn überhaupt, nur eine Seite gewidmet. | |
| ## Hotels für Kongressteilnehmer | |
| Das verstört die neuen Machthaber nicht. „Wir wollen hier vor allem den | |
| Kongresstourismus fördern, dafür haben wir die Hotelkapazitäten wie überall | |
| im Land auch in Naypyidaw konsequent ausgebaut“, so Tourismusminister U | |
| Htay Aung beim jährlich stattfindenden Asean Tourism Forum (ATF), das | |
| erstmals seit seinem Bestehen in Myanmar abgehalten wurde. | |
| Naypyidaw wurde bewusst im Zentrum des Landes errichtet. Es liegt immer | |
| noch vier volle Autostunden von den beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten, | |
| Bagan und Mandalay, entfernt. | |
| Kein Problem für den Minister. „So können Kongressteilnehmer einen | |
| Tagesausflug unternehmen.“ | |
| Dass außerdem nur zwei internationale Airlines - aber keine europäische - | |
| seine Stadt anfliegen, macht dem Politiker ebenfalls keine Sorgen, denn der | |
| Tourismus hat sich in seinem Land prächtig entwickelt, seit ein von der | |
| norwegischen Regierung und der Asiatischen Entwicklungsbank (ASB) | |
| finanzierter Masterplan schrittweise in die Tat umgesetzt wurde. Im letzten | |
| Jahr kamen bereits 3 Millionen Besucher nach Myanmar, 51 Prozent mehr als | |
| im Vorjahr. 2015 dürfte diese Zahl auf 4,5 Millionen steigen. | |
| Internationale Beobachter halten dies durchaus für machbar. | |
| ## Neue Freiheiten | |
| „Es ist kaum zu glauben, wie sich dieses Land entwickelt hat“, so Mara | |
| Armanini, die in Mailand eine Reiseagentur betreibt. „Als ich 1987 zum | |
| ersten Mal hierherkam, durfte man maximal sieben Tage bleiben, und wir | |
| wurden auf Schritt und Tritt überwacht. Es gab kaum etwas zu essen, wir | |
| hatten unsere eigenen Vorräte in Koffern und lebten hauptsächlich von | |
| Schüttelbrot aus meiner Heimat“, erinnert sich die 52-jährige gebürtige | |
| Südtirolerin. | |
| Der Boom begann mit der Freilassung von Friedensnobelpreisträgerin und | |
| Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi vor vier Jahren. Ihr Konterfei | |
| ziert alle Arten von Devotionalien, die in Myanmar erhältlich sind. Die | |
| Menschen bezeichnen die zierliche Frau, die zehn Jahre unter Hausarrest | |
| stand, respektvoll als „die Lady“. Viele bedauern, dass sie nicht zu den | |
| Wahlen im November antreten und für das Amt des Präsidenten kandidieren | |
| kann. Denn dafür müsste die Verfassung geändert werden. Noch ist die | |
| Kandidatur von Bürgern verboten, deren Mann oder Kinder keine Birmanen | |
| sind. | |
| Dies trifft in Suu Kyis Fall zu: Die Söhne, die sie mit ihrem verstorbener | |
| Ehemann hat, sind beide Briten. „Ob sie nun kandidiert oder nicht, sie ist | |
| das Symbol für den demokratischen Aufbruch unseres Landes“, sagt Dr. Aung | |
| Myat Kyaw (46). Er ist Generaldirektor einer Kreuzfahrtgesellschaft, eines | |
| Luxusresorts in Ngapali Beach im Süden des Landes sowie eines | |
| Reiseunternehmens und einer der Birmesen, die von der Öffnung des Landes | |
| überdurchschnittlich profitieren. | |
| ## Private Unternehmen | |
| Eigentlich wollte der als Sohn eines im Rom stationierten Diplomaten | |
| Kieferchirurg werden. Doch nach dem Militärputsch 1988 schlossen Schulen | |
| und Universitäten zeitweise. „Statt sieben Jahre brauchte ich elf Jahre für | |
| mein Studium, nämlich bis 1994“, erinnert sich Kyaw. Doch da hatte er nur | |
| seine Zahnarztausbildung beendet, es gab in der Heimat keine Möglichkeiten, | |
| sich auf Kieferchirurgie zu spezialisieren. | |
| Seine Stunde schlug, als das sozialistische Regime kleine touristische | |
| Privatunternehmen erlaubte; das isolierte Land braucht ja dringend Devisen. | |
| „In Italien hatte ich gesehen, welche Chancen der Tourismus birgt“, erzählt | |
| Dr. Aung Myat Kyaw, der zwischen Yangon, Naypyidaw und seinem Resort am | |
| Strand hin- und herpendelt. | |
| Würde er in Naypiydaw leben wollen? Kyaw, ganz der Sohn eines Diplomaten, | |
| legt sich lieber nicht fest und streicht seinen tadellosen weißen Rock | |
| glatt. Dann sagt er: „Haben Sie Geduld mit Naypyidaw. Die neue Zeitrechnung | |
| in Myanmar hat doch eben erst begonnen.“ | |
| 26 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ute Müller | |
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