# taz.de -- Unterwegs auf der Old Birma Road: Straße der Leiden, Band der Hoff… | |
> Die legendäre Route zwischen dem chinesischen Kunming und Lashio in Birma | |
> war einst eine wichtige Handelsverbindung. | |
Bild: Mit dem Zug geht es über das spektakuläre Gokteikviadukt | |
Die Hauptstadt der chinesischen Provinz Yunnan, eine | |
Sechsmillionenmetropole mit viel Grün, ist der Endpunkt der Old Birma Road. | |
Von Kunming fährt der Bus nach Westen auf der historischen Trasse, die alte | |
Straße selbst wurde weitgehend durch eine Autobahn ersetzt. | |
Vorstellungskraft ist also gefragt. Aber es gibt immer wieder | |
Hilfestellungen. | |
In Yunnan Yi wird die Kriegsgeschichte zum ersten Mal greifbar. Am | |
Dorfeingang liegt ein halbes Dutzend steinerner Walzen mit einem | |
Durchmesser von einem Meter und mehr. Sie sind aus Kalkstein gehauen oder | |
aus Beton gegossen. An einer Deichsel zogen Arbeiter das schwere Gerät über | |
Split. Zwischen 150.000 und 250.000 Männer, Frauen und Kinder, niemand weiß | |
es genau, waren an den 28 Bauabschnitten der Old Birma Road im Einsatz. | |
Angehörige der Yi, der Bai, der Miao und anderer der 36 Volksgruppen | |
Yunnans arbeiteten zusammen, und die Fahrt entlang der Strecke macht auch | |
heute noch eindrücklich klar, welch ungeheure Leistung sie vollbrachten: An | |
Steilhängen meißelten sie die Trasse aus dem Fels, Flüsse mussten | |
überquert, langgezogene Täler umgangen und Schwemmland musste befestigt | |
werden. | |
Etwa 20 Kilometer der ursprünglichen Straße sind noch vorhanden und | |
verlaufen manchmal parallel zur Autobahn, holprig, voller Löcher und gerade | |
breit genug für einen Lkw. Den Rest denkt man sich dazu. | |
Auf dem Weg nach Westen wechselt gelber Raps mit dem Grün dicker Bohnen, | |
Strommasten staksen wie knochige Riesen über braune Hügel. Dann wieder | |
spiegelt sich ein Bambushorst in einem Fluss, idyllisch wie auf einem alten | |
Holzschnitt – und am Bergkamm darüber drehen sich die Windräder. | |
## Ein aufgehübschtes Juwel aus der Mingzeit | |
Weishan, eine der besterhaltenen Städte aus der Mingzeit im 14. | |
Jahrhundert, wurde aufgehübscht, ohne dass es seine Seele verloren hätte. | |
Dunkelrote Häuserfronten und geschwungene Dächer schälen sich aus dem | |
Morgendunst. Noch ist es kühl, die Vögel in den Käfigen haben keine Lust zu | |
singen. An der Suppenküche auf dem Marktplatz beugen sich verschlossene | |
Gesichter über dampfende Schälchen, Münder saugen die „Endlosnudel“ auf, | |
für die Weishan berühmt ist. | |
Vor dem Gongchen Turm steht sinnend ein alter Mann im Mao-Look, wie | |
herausgefallen aus einer sehr, sehr fernen Zeit. An Teestuben, Nagelstudios | |
und Trödelläden rasseln die Rollläden hoch, die Friseurinnen fegen den | |
Gehsteig, der Juwelier wischt feucht vor seinem Laden. Geduld für einen | |
Morgenschwatz haben jetzt nur noch wenige – gleich wird geöffnet, höchste | |
Zeit, Geld zu verdienen. An die Straße der Leiden von damals erinnert hier | |
nichts. | |
Ebenso wenig in Dali. Der quirlige Ort ist so etwas wie das Rothenburg | |
Yunnans – als hätte Walt Disney seine Fantasie von China verwirklicht. | |
Unter rosa blühenden Kirschbäumen schieben sich Tausende chinesischer | |
Touristen durch die Gassen, dicht an dicht, laut und fröhlich, immer ihrer | |
Fremdenführerin in der Tracht der Bai-Minderheit hinterher, immer | |
pausenlosem Sichvergnügen verpflichtet. | |
Vom Wahrsager lassen sie sich Hoffnungsvolles prophezeien, an Ständen | |
naschen sie walnussförmige Kuchen mit Rosenwassergeschmack und decken sich | |
mit Ginsengwurzeln, hustenstillenden Pilzen und Ziegeln von Pu-Erh-Tee ein, | |
der „trinkbaren Antiquität“. | |
Der Selfie-Stick hat keine Pause. Geknipst wird vor dem mächtigen Südtor | |
neben verkleideten Soldaten, bei den Sesamschlägern, die mit großen | |
Schlegeln die Körner für Krokant und Kekse zermalmen, beim Jadeschleifer, | |
der aus unscheinbaren, braunen Steinbrocken glatte, schillernde Armbänder | |
zaubert. Von den Grills duftet es nach Fächerkäse, der am Stock gegart | |
wird, aus den Garküchen nach Bratnudeln mit jungem Aal. | |
Tengchong dagegen, eine Großstadt mit breiten Boulevards, feiert die | |
Erinnerung an die einstige Überlebensader. Im Jahr 2013 wurde ein Museum | |
zum chinesisch-japanischen Krieg eröffnet. In neun Sälen werden der | |
Kriegsverlauf, die Schlachten und der Alltag an und hinter der Front | |
dargestellt. Dokumentarfilme zeigen die Gräuel der japanischen Armee, ein | |
Raum ist allein den „Comfort Women“ gewidmet, Frauen aus Südostasien, die | |
zur Prostitution für japanische Soldaten gezwungen wurden. Waffen und | |
Stahlhelme füllen die Vitrinen, in nachgestellten Szenen feuern, stürmen | |
und sterben menschengroße Figuren. Manches ist nahe am Kitsch, anderes an | |
der Grenze des Erträglichen. | |
Überall spürt man, welch schmerzhafte Wunde dieser Krieg im Gedächtnis | |
Chinas hinterlassen hat. Der größte Raum befasst sich mit dem Bau der Old | |
Birma Road. Ein lebensgroßes Diorama zeigt Frauen und Kinder, die Steine | |
klopfen und Schotter in Körbe schaufeln, Männer arbeiten mit Spitzhacken | |
und Meißeln. | |
Der Gouverneur von Yunnan, Long Yun, hatte befohlen, den Bau der Straße | |
„mit Zuckerbrot und Peitsche“ voranzutreiben. 3.000 Menschen stürzten dabei | |
in die Tiefe, wurden von Felsen erschlagen oder starben an Unterernährung | |
und Erschöpfung. Im Gedenken an sie und die anderen Opfer legen die | |
Besucher am Mahnmal gelbe Chrysanthemen nieder. | |
## In engen Kehren durch zerklüftetes Terrain | |
Zur Grenze sind es noch 70 Kilometer, ausgedörrte Steppe mit abgeholzten | |
Hügeln. Dahinter beginnt Myanmar. Es ist, als habe jemand einen Hebel | |
umgelegt und in eine andere Epoche geschaltet. Glitt der Bus eben noch 200 | |
Kilometer östlich über eine blitzblanke, sanft geschwungene Autobahn, quält | |
er sich nun auf einer gewundenen Straße in engen Kehren durch zerklüftetes | |
Terrain. | |
Immer wieder mal blockiert ein Ochsenkarren mit Reissäcken hochbeladene | |
Lkws. Der Asphalt wirft Blasen, Plastiktüten hängen wie zerzauste Vögel in | |
den Bäumen. Die unzugänglichen Täler und Bergketten eignen sich bestens zum | |
Heroinschmuggel, Rebellengruppen liefern sich immer wieder Scharmützel mit | |
der Armee. | |
Myanmar ist heiß, unaufgeräumt, staubig – und sehr viel gelassener als sein | |
Nachbar. Auf dem Marktplatz von Hsipaw schieben sich Mopeds unaufgeregt | |
zwischen den Fußgängern hindurch, Frauen tragen hier weder Make-up noch | |
Pumps, sondern weißgelbe Sonnenschutzpaste und ausnahmslos Flipflops. | |
Effizienz, Geschäftigkeit, Eile – das chinesische Mantra gilt nicht mehr. | |
Plötzlich scheinen Menschen alle Zeit der Welt zu haben. | |
Junge Nonnen, ganz in Rosa, betteln geduldig um ihr Essen, während ihre | |
Altersgenossinnen im Osten zur selben Zeit mit Sonnenbrille und | |
durchlöcherten Jeans fröhlich in die Smartphones giggeln. Die blitzblanken | |
Fußgängerzonen und die aufs Sorgfältigste restaurierten Paläste Westchinas | |
scheinen nicht nur ein paar hundert Kilometer, sondern eine ganze Epoche | |
entfernt. | |
Lashio, heute eine nichtssagende Ansiedlung, war einst der Ausgangspunkt | |
der Old Birma Road. Ab 1938, als die Straße fertig war, kam der Nachschub | |
aus Rangun über die Eisenbahn. Züge verkehren auch heute noch. | |
## Das Gokteikviadukt, ein technisches Meisterstück | |
Am Gleis in Kyaukme wartet eine Diesellok mit gelb-braunen Waggons. Im | |
Inneren sitzen auch einige Touristen – erstmals während dieser Reise | |
begegnet man einer größeren Anzahl westlicher Gesichter. Ächzend setzt sich | |
der Zug in Bewegung. Irgendwann tauchen die langen, stählernen Beine einer | |
Brücke aus dem Dunst auf, ein weißes Technikskelett, wie aus Streichhölzern | |
zusammengeklebt: Das Gokteikviadukt wurde von den Briten im Jahr 1900 | |
gebaut und gilt als technische Meisterleistung. | |
Im Schritttempo rollt der Zug auf die Brücke, 100 Meter über der Schlucht, | |
15 aus Eisenstreben gebildete Pfeiler tragen das Gleis, 700 Meter lang ist | |
das Wunderwerk. | |
Vor dem Fenster wechseln Teakbaumplantagen mit dichtem Dschungel, | |
Wasserbüffel pflügen abgebrannte Felder. Und immer wieder mal blitzt die | |
goldene Kuppel eines buddhistischen Stupa aus dem Grün. | |
Auch in Pyin U Lwin, der „britischsten aller britischen Ansiedlungen in | |
Burma“, hielt und hält der Zug. Nachdem die Eisenbahn 1904 fertig war, | |
stieg der Militärposten zur gefragten Sommerfrische auf. Wer immer es sich | |
leisten konnte, verließ im März das drückend heiße Mandalay und die | |
malariaträchtige Tiefebene. Hier oben, auf 1.070 Meter Höhe, holten | |
Militärs und Kolonialbeamte wieder Luft und die Gattinnen trafen sich zum | |
Five o’Clock Tea. Offiziere spielten Polo, wo heute die Golfer einlochen. | |
Villen und Hotels im Tudorstil schossen aus dem Boden. | |
Einige von ihnen verstecken sich noch immer mit ihren Fachwerkfassaden, den | |
Balkonen und Pavillons hinter lila Jacarandabäumen. Um den Uhrturm von | |
1936, ein Muss aller Kolonialstädte im Empire, gruppieren sich Hotels, eine | |
Moschee, Banken und Läden, die „Stylish“, „Trend“ und „Pond’s Whit… | |
heißen. Die heutigen Inhaber sind Nachkommen indischer Soldaten und | |
nepalesischer Gurkhas, die im Dienst der Briten standen. Zu ihren Kunden | |
zählen nicht mehr Offiziere mit Stock im Rücken und Stöckchen in der Hand, | |
aber doch deren Enkelinnen, wettergegerbte britische Ladys in Barbourjacken | |
und Wanderstiefeln. | |
In einer abgesperrten Seitenstraße ist ein Arbeitertrupp mit dem Ausbessern | |
des Belags beschäftigt, Kinder von zehn, elf Jahren passen Steine ein. Als | |
ein Tourist seine Kamera zückt, brüllt der Chef empört, und ein Polizist | |
hastet wütend heran: Tabu, dieses heutige Stück Myanmar! | |
Das Candacraig Hotel ist doch viel pittoresker. In dem einstigen Gästehaus | |
der Burma Trading Company befand sich der Britische Club. Der | |
Schriftsteller George Orwell, der damals noch Eric Blair hieß und als | |
Polizist nahe Mandalay stationiert war, logierte einst hier. In seinem | |
Roman „Tage in Burma“ würdigt er die Bedeutung dieser Institution: „In | |
jeder Stadt ist der Europäische Club die geistige Zitadelle, der | |
eigentliche Sitz der britischen Macht, das Nirwana, nach dem die | |
eingeborenen Beamten und Millionäre vergeblich schmachten.“ | |
Als Birma im Jahr 1948 unabhängig wurde und die Volksrepublik China sich | |
ein Jahr später gründete, ging auch die Bedeutung dieser Clubs zurück. Die | |
Tage der Briten in Südostasien waren gezählt. Die Old Birma Road und ihr | |
Zubringer waren lange davor schon überflüssig geworden. | |
24 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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