| # taz.de -- Birma setzt auf Tourismus: Monsun in Rangun | |
| > Die Isolation unter der Militärdiktatur wirkte wie ein | |
| > Konservierungsprogramm für das architektonische Erbe des Landes. Nun | |
| > kommen Touristen – und die Spekulanten. | |
| Bild: Auch ein touristisches Highlight: Die Shwedagonpagode in Rangun. | |
| Die beiden Mädchen haben es geschafft. Mit einem Sprung über die | |
| Wasserpfütze retten sie sich unter einen verblichenen Sonnenschirm, der | |
| alle Mühe hat, die herabstürzenden Wassermassen des Monsunregens | |
| abzuhalten. Nun kauern sie auf grünen Plastikstühlen und verspeisen eine | |
| dampfende Reissuppe. | |
| Am Stand nebenan tunkt ein älteres Ehepaar Schweinespieße in Chilisoße. | |
| Ihre angeregte Unterhaltung mit dem Garküchenbesitzer wird vom tosenden | |
| Regen übertönt. In der nahe gelegenen Maha Bandoola Street kommt derweil | |
| der dichte Verkehr zum Erliegen. Auch das öffentliche Stromnetz ist wieder | |
| einmal zusammengebrochen. | |
| Vollgestopfte Straßen und Stromausfälle gehören zum Alltag Yangons, oder | |
| Ranguns, wie die ehemalige Hauptstadt Birmas auch genannt wird. Auf den | |
| Gehsteigen konkurrieren Obst- und Kleiderverkäufer mit Betelnusshändlern | |
| und Garküchen. | |
| Das Yangon City Development Committee schätzt die Zahl der Straßenhändler | |
| allein im Stadtzentrum auf über 40.000 und versucht regelmäßig sie zu | |
| vertreiben. | |
| „Gestank und Müll zerstören das Image der Stadt“, klagt ein Sprecher des | |
| Stadtkomitees. „Es ist eine Schande, wenn Ausländer das sehen.“ | |
| Für Touristen ist die chaotische Downtown nahe der berühmten | |
| Shwedagonpagode jedoch ein Highlight ihres Rangun-Besuchs. Sie begeistern | |
| sich für das multikulturelle Leben ebenso wie für die morbiden | |
| Kolonialfassaden. Auch die rostbraunen Betelnussflecken auf dem Boden und | |
| streng duftende Durianfrüchte an den Ständen gehören für sie zum | |
| Lokalkolorit. | |
| Für die stolze Heimatstadt der Shwedagonpagode war der Zweite | |
| Anglo-Birmanische Krieg von 1852 bis 1853 zunächst eine Katastrophe. | |
| Aufgerieben in den Kämpfen zwischen Truppen des Empires und des Königs aus | |
| Mandalay gingen ganze Stadtteile mit ihren Teakholzhäusern in Flammen auf. | |
| ## Ein Masterplan für die Stadt | |
| Als die neuen britischen Machthaber Rangun 1852 zu ihrer kolonialen | |
| Hauptstadt erkoren, gaben sie einen Masterplan für die zerstörte Stadt in | |
| Auftrag. | |
| Nach Vorbild von Singapurs „Jackson Plan“ ließen sie entlang des Flusses | |
| Rangun ein schachbrettartiges Straßennetz mit breiten Boulevards und | |
| schmalen Gassen anlegen. Schon bald waren die hafennahen Viertel von einem | |
| bunten Bevölkerungsgemisch bewohnt, während die Briten in schicken Villen | |
| im Golden Valley zwischen Shwedagonpagode und Inya Lake residierten. | |
| Auf den Straßen westlich der Sulepagode trafen sich tamilische Hindus mit | |
| goanesischen Christen und bengalischen Muslimen, während nicht weit | |
| entfernt die Einwanderer aus Chinas Küstenprovinzen Guangdong und Fujian | |
| ihren Geschäften nachgingen. | |
| Selbst Juden aus Bagdad und Kerala fanden eine neue Heimat und erbauten an | |
| der 26th Street die schmucke Musmeah-Yeshua-Synagoge. | |
| Heute, über sechs Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit, zeigt sich das | |
| Stadtzentrum noch immer kosmopolitisch, auch wenn der Scott Market heute | |
| nach dem Freiheitshelden Bogyoke Aung San benannt ist und dort fast alle | |
| auf Birmanisch parlieren. | |
| ## Revolution von oben | |
| Die politischen Veränderungen in Birma wirken wie ein kräftiger | |
| Monsunregen. Während in den arabischen Staaten die Diktatoren von ihrem | |
| Wutvolk vertrieben werden, erlebt das südostasiatische Land eine Revolution | |
| von oben. | |
| Was fast ein halbes Jahrhundert lang gültig war, wird von den Reformen | |
| einfach weggespült – die rigide Zensurpolitik etwa, welche Mitte August | |
| weitgehend aufgehoben wurde. Früher endeten politische Aktionen regelmäßig | |
| im Gefängnis, heute gehen Demonstranten gegen die schlechte Stromversorgung | |
| so selbstverständlich auf die Straße wie gegen niedrige Löhne. | |
| Schon erkennt die Asiatische Entwicklungsbank in ihrem jüngsten Bericht das | |
| Land als Asiens neuen aufsteigenden Stern. Der Tourismus gilt als wichtiger | |
| Motor für das Wirtschaftswachstum. | |
| ## Kapazitätsgrenze erreicht | |
| „Myanmars unberührter Dschungel, die schneebedeckten Berge und makellosen | |
| Strände stellen mit der reichen und ruhmvollen Vergangenheit von über 2.000 | |
| Jahren ein enormes Potenzial für den Tourismus dar“, heißt in dem Bericht. | |
| Dass der Fremdenverkehr schon jetzt gutes Geld in die Kassen spült, hat vor | |
| allem die Handvoll Fünfsternehotels in Rangun erkannt. Kräftig haben ihre | |
| Besitzer an der Preisschraube gedreht. Überbuchte Unterkünfte, horrende | |
| Zimmerpreise, volle Flieger – bereits heute sind die Kapazitätsgrenzen | |
| erreicht. | |
| Zwar hat das Tourismusministerium für die Fünfsternehotels mittlerweile ein | |
| Limit von 150 US-Dollar pro Nacht gesetzt, trotzdem ist das Land keine | |
| Destination für Schnäppchenjäger mehr. „Das Letzte, was wir wollen, ist der | |
| Ruf Myanmars als teures Reiseziel“, warnt Frank Janmaat von der lokalen KMA | |
| Hotel Group in der Wochenzeitung Myanmar Times. | |
| ## Steigende Bodenpreise | |
| Doch Gefahr lauert auch anderswo. Rangun droht in den Strudel von | |
| Spekulanten zu geraten. Die Boden- und Mietpreise in der chronisch | |
| überbevölkerten Siebenmillionenmetropole steigen rasant an. Vom Bau | |
| moderner Apartmentblöcke und Einkaufszentren versprechen sich die | |
| Investoren hohe Renditen. | |
| Für die historisch gewachsene Innenstadt bedeutet das nicht viel Gutes. Wer | |
| entlang der schmalen Gassen und schattigen Boulevards spaziert, wähnt sich | |
| in die Kolonialzeit zurückversetzt. Geschwungene Fensterrahmen wechseln | |
| sich mit verspielten Stuckverzierungen ab, in den Eingängen knarren die | |
| Holztreppen. | |
| Die lange Isolation während der Militärdiktatur wirkte wie ein | |
| unfreiwilliges Konservierungsprogramm, auch wenn dunkelgrünes Moos und | |
| schwarzer Schimmel den betagten Bauten arg zugesetzt haben. Mit 189 | |
| denkmalgeschützten öffentlichen Gebäuden besitzt die ehemalige Hauptstadt | |
| des Landes so viel Kolonialflair wie kaum eine andere Metropole Asiens. | |
| ## Auf zu engem Raum | |
| „Wir müssen dringend das bewahren, was wir besitzen. Wenn wir nichts tun, | |
| werden wir unser Erbe bald verlieren“, warnte der Historiker Thant Myint-U | |
| Anfang Juni. Zusammen mit Stadtplanern, Geschäftsleuten und Architekten | |
| gründete der 46-jährige Enkel des UN-Generalsekretärs U Thant vor einigen | |
| Monaten den Yangon Heritage Trust, um das rasante Verschwinden historischer | |
| Gebäude aufzuhalten. | |
| Die Bemühungen zeigen erste Erfolge: Ein Moratorium verbietet den Abriss | |
| von Bauten, die älter sind als fünfzig Jahre. Doch viele koloniale | |
| Prachtbauten stehen nach dem Umzug der Regierung in die neue Hauptstadt | |
| Naypyidaw leer. | |
| In Gefahr sind aber nicht die repräsentativen Gebäude wie das noble Strand | |
| Hotel oder das wuchtige Sekretariatsgebäude, sondern die vielen | |
| heruntergekommenen Gründerzeitbauten, in denen sich zu viele Familien auf | |
| zu engem Raum drängen. | |
| ## Marode Mauern | |
| Mit undichten Wasserrohren, veralteten Stromleitungen und morschen | |
| Holzböden herrschen teilweise unerträgliche Zustände. Nur Geldmangel hält | |
| die Menschen hinter den maroden Mauern. Totalabriss und Neubau wären | |
| weitaus günstiger als eine grundlegende Restaurierung. | |
| „Wir brauchen eine Erhaltungsstrategie, die Arbeitsplätze schafft und die | |
| Menschen in den Wohnvierteln nicht vertreibt. Sie soll die Vielfalt | |
| zelebrieren und dem Tourismus dienlich sein“, meint Thant Myint-U mit | |
| vorsichtigem Optimismus. Bleibt abzuwarten, was der Monsunregen in Zukunft | |
| noch alles bringt. | |
| 1 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin H. Petrich | |
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