# taz.de -- Religiöse Unruhen in Birma: 26.000 Menschen auf der Flucht | |
> Der Westen des Landes ist Schauplatz von Unruhen zwischen Buddhisten und | |
> muslimischen Rohingya. Die Opposition schweigt zur Hetze gegen die | |
> Minderheit. | |
Bild: Muslime auf der Flucht vor der Gewalt in einem Sammellager in Kyukphyu. | |
BANGKOK taz | Über der Region liegt schwarzer Rauch, mindestens 26.000 | |
verzweifelte Menschen suchen nach UNO-Angaben der Gewalt zu entkommen. Der | |
Bundesstaat Rakhine im Westen Birmas wird seit Tagen von Unruhen zwischen | |
Buddhisten und muslimischen Rohingya erschüttert. | |
Laut Regierung wurden mindestens 80 Menschen ermordet. Seit der ersten | |
Gewaltwelle im Juni wären das insgesamt mehr als 170 Menschen. Doch das ist | |
nur die offizielle Version. Kritiker mutmaßen, dass die Dunkelziffer der | |
Toten und Vertriebenen viel höher liegt. | |
Die Organisation Human Rights Watch (HRW) forderte die Regierung von | |
Präsident Thein Sein auf, der vor allem gegen die Rohingya gerichteten | |
konfessionsgebundenen Gewalt sofort ein Ende zu setzen. Zudem müsse allen | |
Bewohnern, sowohl Buddhisten als auch Muslimen, Schutz und Hilfe gewährt | |
werden. | |
„Wenn die Behörden nicht auch die Ursachen der Gewalt angehen, könnte es | |
noch schlimmer werden“, warnte Phil Robertson, Vize-Asienchef der | |
Organisation, die Satellitenbilder veröffentlichte, wonach allein in einem | |
überwiegend von Rohingya bewohnten Distrikt der Küstenstadt Kyaukpyu mehr | |
als 800 Häuser und Hausboote niedergebrannt worden waren. | |
## Rache an Unschuldigen | |
Die Spannungen hatten sich entladen, nachdem Ende Mai eine junge Buddhistin | |
vergewaltigt und ermordet worden war. Für die Tat wurden drei Rohingya | |
verantwortlich gemacht. Kurz darauf erschlug ein buddhistischer Mob zehn | |
muslimische Pilger – aus Rache, wie es hieß. Dabei war längst bekannt, dass | |
die drei mutmaßlichen Vergewaltiger bereits verhaftet worden waren. | |
Dies sind Indizien dafür, dass die Rohingya als Sündenböcke für eine | |
verfahrene Situation herhalten müssen. Sie sind in Birma (offiziell | |
Myanmar) nicht als ethnische Minderheiten anerkannt. Obwohl viele von ihnen | |
seit Generationen in Birma leben, wird ihnen die Staatsbürgerschaft | |
verweigert. Für weite Teile der überwiegend buddhistischen Bevölkerung sind | |
die Rohingya illegale Eindringlinge aus dem Nachbarland Bangladesch, die | |
nun gar als „bengalische Terroristen“ gebrandmarkt werden. | |
Kritiker vermuten, die Unruhen seien gesteuert. Sie spielten militärischen | |
Hardlinern in die Hände, die angesichts des Reformprozesses an ihrer Macht | |
festhalten wollen. „Wer profitiert von der Situation?“, fragt Debbie | |
Stothard vom alternativen Asean-Netzwerk „Altsean Burma“ rhetorisch: „Nic… | |
die muslimischen Rohingya, nicht die buddhistischen Rakhine, sondern das | |
Militär.“ Erinnere man sich an die sehr optimistischen Stellungnahmen aus | |
dem Westen und Asien über Birmas Reformen, sei die jetzige Situation ein | |
ernüchternder Warnruf, was wirklich im Land getan werden müsse, „außer | |
Fototermine mit Thein Sein wahrzunehmen.“ | |
## Erschreckendes Schweigen | |
Ein erschreckendes Signal setzt indes Birmas demokratische Opposition. | |
Anstatt dass Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihre Popularität | |
für die Rohingya in die Waagschale wirft, hüllt sich die | |
Oppositionsführerin in Schweigen. Auf die Frage während ihrer Europareise, | |
ob den Rohingya die Staatsbürgerschaft zuerkannt werden solle, sagte Suu | |
Kyi nur: „Ich weiß nicht.“ | |
Teile ihrer Anhängerschaft, darunter führende Köpfe ihrer „Nationalen Liga | |
für Demokratie“, während der Militärdiktatur ein Symbol für den Kampf um | |
Menschenwürde und Freiheit, sind auf den Zug rassistischer Hetze | |
aufgesprungen: Sie beharren darauf, dass die Rohingya nicht als Bürger | |
Birmas gelten könnten. „Schockierend für mich ist, dass diese Dissidenten, | |
die 25 Jahre lang Menschenrechte einforderten, darin versagt haben, ihre | |
humanistischen Ideen zu verinnerlichen“, moniert der birmesische Aktivist | |
Maung Zarni, derzeit Gaststipendiat an der London School of Economics. | |
Ähnliches gilt für Teile des Mönchsstandes: In Anti-Rohingya-Kundgebungen | |
unterstützten sie Äußerungen des heute als Reformer gepriesenen Präsidenten | |
Thein Sein, der erklärte, die Rohingya sollten entweder in Lagern gehalten | |
oder deportiert werden. Erst fünf Jahre ist es her, dass Mönche in Birma | |
prodemokratische Massenproteste anführten, die die Militärjunta blutig | |
niederschlagen ließ. | |
28 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Nicola Glass | |
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