| # taz.de -- Debatte deutsche Rüstungspolitik: Große Beschaffungskoalition | |
| > Der Verteidigungsetat als Kampfzone: Immer wieder werden Projekte | |
| > geplant, obwohl der Nutzen nachrangig zu sein scheint. | |
| Bild: Klar, mit solcher Bewaffnung kann man keinen Krieg gewinnen. | |
| Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass die Banken- und Finanzkrise den | |
| damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg dazu | |
| veranlasste, seine Generäle und Admirale in Hamburg auf einen Sparkurs | |
| einzuschwören. Als „Conditio sine qua non“ künftiger Bundeswehrplanung | |
| gelte das „Staatsziel der Haushaltskonsolidierung“, so zu Guttenberg | |
| damals. Es erfordere einen Sparbeitrag der Bundeswehr im Umfang von 8,3 | |
| Milliarden Euro. | |
| Die Konsequenz: Die mittelfristige Finanzplanung des Jahres 2011 sah vor, | |
| dass der Verteidigungshaushalt von 31,5 Milliarden Euro auf 27,6 Milliarden | |
| Euro im Jahre 2015 sinken sollte. | |
| Der Haushalt für 2015 zeigt, dass es ganz anders kam. In diesem Jahr sind | |
| Militärausgaben in Höhe von rund 33 Milliarden Euro vorgesehen, 5,4 | |
| Milliarden mehr als 2011 geplant. 2016 soll der Haushalt gar auf 34,4 | |
| Milliarden Euro steigen. Für 2017 wird über eine weitere Steigerung | |
| nachgedacht. | |
| Zur Begründung heißt es aus dem Verteidigungsministerium lapidar, man | |
| stocke „die Mittel zur Modernisierung der Bundeswehr“ auf. Mit anderen | |
| Worten: Die Rüstungsindustrie soll mehr Geld bekommen. Jene Industrie, die | |
| die Bundeswehr immer wieder zu spät, zu teuer und zu schlecht belieferte. | |
| Die Unternehmensberatung KPMG hat im Auftrag des Verteidigungsministeriums | |
| untersucht, warum das so ist. Eine Ursache, so die Berater, sei die | |
| politische Einflussnahme auf die Beschaffung. Den Beratern war aufgefallen, | |
| dass manche Rüstungsvorhaben daran kranken, dass sie in erster Linie von | |
| der Politik gewollt werden. Die Hubschrauber Tiger und NH90 zum Beispiel – | |
| Projekte, die auf Wunsch des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl die | |
| deutsch-französische Zusammenarbeit stärken sollten. | |
| Die Berater sahen auch, dass es neben der Einflussnahme durch | |
| Regierungsmitglieder die aus dem Parlament gibt. In den | |
| Regierungsfraktionen sitzen Abgeordnete, die regionale oder sektorale | |
| Wirtschaftsinteressen sowie ihre Wahlkreisinteressen vertreten und sich als | |
| politische Gestalter verstehen. Sie fühlen sich verpflichtet, diese | |
| Interessen durchzusetzen. | |
| ## Der Wunschzettel ist lang | |
| Dieser Tage zeichnet sich erneut ab, das daraus Probleme erwachsen können: | |
| Während das Verteidigungsministerium noch versucht, seine Altlasten in den | |
| Griff zu bekommen, ist die Politik schon eifrig dabei, neue | |
| Rüstungsvorhaben zu planen und die Industrie mit neuen Aufträgen zu | |
| füttern. Der Wunschzettel der Koalitionäre aus den beiden Volksparteien ist | |
| lang. Auf ihm stehen unter anderem:– der Kauf neuer Marinehubschrauber; | |
| – die Beschaffung eines zweiten Loses von Radpanzern des Typs Boxer; | |
| – der Bau von vier Mehrzweckkampfschiffen des Typs MKS 180; | |
| – ein neues Luftverteidigungssystem auf Basis des Entwicklungsvorhabens | |
| MEADS; | |
| – die Entwicklung einer europäischen Aufklärungs- und Kampfdrohne; | |
| – die Wiederaufnahme des gescheiterten Drohnenprojekts Eurohawk; | |
| – die Modernisierung zusätzlicher Kampfpanzer des Typs Leopard 2; | |
| – und Vorarbeiten für einen neuen Kampfpanzer Leopard 3. | |
| Vollständig ist die Liste nicht. Welche Konsequenzen müssen zum Beispiel | |
| aus dem Debakel um das Sturmgewehr G36 gezogen werden? | |
| Die Initiative für viele dieser neuen Rüstungsvorhaben ging von | |
| Parlamentariern aus. Der Verteidigungsausschuss beschloss bereits im | |
| vergangenen Jahr, die Projekte Boxer, Leopard-2-Modernisierung, | |
| Leopard-3-Entwicklung und das Luftverteidigungssystem MEADS anzugehen. | |
| Der Sprecher der SPD in diesem Ausschuss, Rainer Arnold, setzt sich schon | |
| lange vehement für die Weiterführung von MEADS ein; sein Parteikollege | |
| Hans-Peter Bartels, inzwischen der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, | |
| plädierte immer wieder für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der | |
| wehrtechnischen Industrie, machte also industriepolitische Ziele geltend. | |
| Florian Hahn (CDU/CSU) machte früher für den Leopard-Hersteller KMW | |
| Pressearbeit. | |
| Doch was für Verteidigungspolitiker ein Traum sein dürfte, kann der | |
| Albtraum seriöser Haushaltspolitiker werden. Um all diese Vorhaben zu | |
| realisieren, ist deutlich mehr Geld notwendig als im Verteidigungshaushalt | |
| vorgesehen. Auch mehr als jene 8 Milliarden Euro, die Finanzminister | |
| Schäuble bei den letzten Haushaltsberatungen zusätzlich zugestand. Weitere | |
| Finanzspritzen sind nötig. Der Verteidigungshaushalt muss aufgestockt | |
| werden, solange die Koalitionäre auf das traditionelle Allheilmittel | |
| politischer Führung setzen: Vorhandene Probleme werden mit zusätzlichem | |
| Geld und neuen Vorhaben übertüncht. | |
| ## Die Sorgen von morgen | |
| Schon jetzt deutet sich an, dass damit die Probleme der Zukunft geschaffen | |
| werden. Der kürzlich bestellte Marinehubschrauber ist nach Ansicht vieler | |
| Fachleute für die zugedachte Aufgabe nicht geeignet. Ob die Drohnen auch | |
| für zivil genutzte Lufträume zugelassen werden können, ist unklar. Da gilt | |
| das Prinzip Hoffnung. Das Luftverteidigungssystem MEADS wird als | |
| eierlegende Wollmilchsau ausgelegt. Es soll alles zugleich können, um das | |
| Vorhaben besser rechtfertigen zu können. | |
| Es mag sein, dass die Große Koalition ihre klare Mehrheit nutzen will, um | |
| unwiderruflich Pflöcke einzuschlagen und möglichst viele | |
| Beschaffungsvorhaben auf den Weg zu bringen. Sicherheitspolitisch ist | |
| dieses Vorgehen jedoch mehr als fragwürdig: Es greift dem Ergebnis des | |
| Prozesses zur Erarbeitung eines neuen Weißbuchs vor. Statt die künftigen | |
| Aufgaben der Bundeswehr zuerst festzulegen und dann abzuleiten, welche | |
| Fähigkeiten die Bundeswehr braucht, wird das Pferd vom Schwanz her | |
| aufgezäumt: Erst werden Fähigkeiten bestellt und dann wird über die | |
| Aufgaben diskutiert. | |
| Noch kein Jahr ist es her, dass sich die Bundeswehr in der Zukunftsplanung | |
| von dem irrwitzigen Grundsatz verabschiedete, das „Breite vor Tiefe“ gehe. | |
| Es sei wichtiger, alles ein bisschen zu können, als vieles weniger gut. Nun | |
| deutet sich ein neuer Grundsatz an: „Breite und Tiefe“. Das ist deutlich | |
| teurer, aber nicht weniger irrwitzig. Zumal, wenn die Industrie auch | |
| künftig zu spät, zu teuer und zu schlecht liefert. An diesem Umstand zu | |
| zweifeln, gibt es jedoch kaum Gründe. | |
| 8 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Otfried Nassauer | |
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