| # taz.de -- Klage von rumänischen Arbeitern: Die Löhne sind eine Baustelle | |
| > Elvis Iancu hat die Mall of Berlin mitgebaut. Doch Lohn habe er nie | |
| > bekommen, sagt er. Der 45-Jährige klagt deswegen, wie neun andere. Heute | |
| > könnten erste Urteile fallen. | |
| Bild: Protestiert wurde schon mehrfach, jetzt wird auch geklagt: Demo für die … | |
| Wütend ergreift Elvis Iancu das Stück blaue Kreide und schreibt „Pay the | |
| Workers! Mall of Shame!“ an die Wand. Der 45-jährige Rumäne steht vor einer | |
| Schiefertafel im ersten Obergeschoss des Einkaufszentrums Mall of Berlin; | |
| hier können BesucherInnen Liebesbotschaften an den Konsumtempel oder | |
| einfach Sprüche hinterlassen. „Anni und Lisa BFF“ steht da, neben „Selina | |
| was here“. Nur Elvis Iancus Spruch ist politisch. | |
| Er ist einer von mindestens 16 rumänischen Wanderarbeitern, die im | |
| vergangenen Jahr das etwas schickere Einkaufszentrum am Leipziger Platz | |
| mitbauten, aber dafür nicht ausreichend oder gar nicht bezahlt worden sein | |
| sollen. Das ist im Berliner Baugewerbe wahrscheinlich nicht selten. | |
| Ungewöhnlich ist, dass zehn von ihnen derzeit vor dem Arbeitsgericht ihren | |
| Lohn einklagen. | |
| Iancu gibt eine Führung durch die „Mall of Berlin“, das mit 270 Geschäften | |
| und 76.000 Quadratmetern Verkaufsfläche eines der drei größten | |
| Einkaufscenter der Stadt ist. Er erzählt seine Geschichte, zu fast jeder | |
| Ecke hat er etwas zu sagen, schließlich hat er mehr als zwei Monate täglich | |
| hier verbracht. „Ich könnte offizieller Tourguide der Mall werden“, sagt er | |
| und lacht. | |
| Iancu möchte laut sein, er möchte gesehen werden. Er will nicht, dass | |
| irgendjemand ignorieren kann, was in der Mall of Berlin vorgefallen sein | |
| soll. Deswegen schreibt er seinen Spruch auch in Großbuchstaben an die | |
| Tafel. Sichtbarkeit ist seine stärkste Waffe. Gegen Bauunternehmen haben | |
| die rumänischen Wanderarbeiter sonst keine Chance, glaubt er. | |
| Elvis Iancu ist ein mittelgroßer, schlanker Mann, vor allem seine | |
| Gesichtszüge weisen auf sein Alter hin. Sie sind hart, er wirkt meist ein | |
| wenig traurig. Zum Treffen in der Mall kommt er im Anzug. Schwarze Hose, | |
| blau-weiß gestreiftes Hemd, ordentlich gebügelt. | |
| ## Komplexes Firmengeflecht | |
| Es fällt ihm trotz allen Kampfgeists schwer, sich mit den Logiken, | |
| Strukturen und Zuständigkeiten der Mall of Berlin zu beschäftigen. Es gab | |
| für das Projekt einen Bauherrn, Harald Huth, der übrigens gerade den Bau | |
| eines weiteren Einkaufszentrums in der Moabiter Turmstraße verantwortet, | |
| das Schultheiss Quartier. Huth wiederum hatte für die Fertigstellung der | |
| Mall of Berlin eine Firma als Generalunternehmerin engagiert. Diese | |
| wiederum beauftragte mehrere Subunternehmen, die letztlich die Arbeitnehmer | |
| angeheuert haben sollen. Dann soll es vor Ort noch einen Bauleiter gegeben | |
| haben, der angeblich wieder und wieder Arbeitsverträge versprochen – aber | |
| nie ausgestellt – habe. | |
| Die komplexe Gemengelage und die Hierarchie der Firmen haben dazu geführt, | |
| dass lange Zeit jeder dem anderen die Schuld zuschieben konnte. Huth selbst | |
| hat erklärt, die von seiner Seite beauftragte Baufirma sei überpünktlich | |
| bezahlt worden. | |
| Doch seit April sind zwei dieser Subunternehmen Beklagte vor dem | |
| Arbeitsgericht: die Openmallmaster GmbH und metatec Fundus. Zu Beginn ging | |
| es noch um eine gütliche Einigung. Ab dem heutigen Mittwoch finden nun die | |
| ersten Kammertermine statt. Es könnten also Entscheidungen fallen, die den | |
| Rechtsstreit klären und beenden. Iancus Prozess ist für kommende Woche | |
| angesetzt. | |
| Das Einkaufszentrum wurde im September eröffnet, teilweise war es damals | |
| noch eine Baustelle. Elvis Iancu arbeitete dort von Ende Juli bis Oktober, | |
| bezahlt worden sei er dafür nicht, sagt er. Er fordert vor Gericht genau | |
| 6.737 Euro Lohn ein. Bei den sieben Arbeitern, die von der Berliner Kanzlei | |
| Stähle vertreten werden, geht es insgesamt um 33.000 Euro. | |
| Vor Anfang ihrer Arbeit seien ihnen noch Stundenlöhne von bis zu 8 Euro | |
| versprochen worden; als sie dann begannen, seien es nur noch um die fünf | |
| oder sechs Euro gewesen, deutlich weniger als der – allerdings erst seit | |
| Januar geltende allgemeine – Mindestlohn. Und nicht einmal den haben sie | |
| laut eigenen Aussagen erhalten. Nach Protesten im Herbst wurden einige der | |
| rumänischen Wanderarbeiter minimal entlohnt – sie erhielten jeweils rund | |
| 450 Euro – und entschieden sich daraufhin, nicht zu klagen. | |
| ## Die Hürden sind hoch | |
| Rechtsanwalt Sebastian Kunz arbeitet bei der Kanzlei Stähle, er vertritt | |
| einen Teil der Arbeiter: „Bislang gab es wenig solcher Fälle vor Gericht, | |
| mir sind zumindest keine bekannt.“ Der Grund: Die prozessualen Hürden seien | |
| sehr hoch. | |
| „So ein Prozess kostet Geld, und man muss erst mal einen Zugang zu einem | |
| Anwalt haben, der einem alles erklärt“, sagt Kunz. Das sei bei vielen | |
| ausländischen ArbeiterInnen nicht der Fall. Also ziehen sie sich häufig in | |
| ihr Land zurück, ohne gerecht bezahlt worden zu sein. Tatsächlich bleiben | |
| auch nur wenige der Mall-of-Berlin-Bauarbeiter aus Rumänien für die Dauer | |
| des Prozesses in Berlin. Elvis Iancu ist einer von ihnen. | |
| Von Anfang an war er Wortführer der Gruppe. Auch auf der Baustelle sei er | |
| schnell als Führungskraft wahrgenommen und eingesetzt worden, berichtet er. | |
| Er leitete Unternehmungen, einzelne Bauabschnitte. Das passt zu ihm: Iancu | |
| ist ernst, klug, skeptisch, politisch. Die Proteste vor dem Gebäude hat er | |
| initiiert und organisiert. Sich Sprüche für die Banner überlegt, Material | |
| besorgt. | |
| Vor seiner Zeit in Berlin hatte er nie als Bauarbeiter gearbeitet. Er hat | |
| studiert: Wirtschaft und Recht. Er dürfte also wissen, was er tut. Und er | |
| fühlt sich verarscht: „Die Firmen haben sich drauf verlassen, dass wir | |
| irgendwann aufgeben. Ich wollte genau deshalb immer weitermachen. Ich | |
| wollte es ihnen beweisen.“ | |
| In Constanta, einer 280.000 Einwohner großen Hafenstadt am Schwarzen Meer, | |
| betreibt er einen Laden. Aber das Geschäft lief in letzter Zeit nicht mehr | |
| gut, die Wirtschaftskrise hat auch Rumänien erreicht, Korruption ist dort | |
| ein großes Problem. „Ich lebe wie die meisten Rumänen am Limit. Ich habe 20 | |
| Jahre lang ein Geschäft geführt – aber in Rumänien funktioniert alles über | |
| Verbindungen.“ So kam er nach Berlin. „Ich habe mich entschlossen, das Land | |
| zu verlassen und egal wo zu arbeiten – ohne irgendwelche Ansprüche aufgrund | |
| meiner beruflichen Vorbildung zu stellen.“ Einen seiner zwei Söhne nahm er | |
| mit, mit ihm begann er auf der Baustelle zu arbeiten. | |
| ## Leere Versprechungen | |
| Die Arbeit auf der Baustelle hat ihn angestrengt. Nicht unbedingt | |
| körperlich. Aber psychisch ist er ausgelaugt, er wirkt ausgebrannt. Wieder | |
| und wieder seien den Arbeitern Baustellenausweise versprochen worden, | |
| Arbeitsverträge. Sie hätten damals kein Geld gehabt und deshalb auf einem | |
| Platz hinter der Baustelle übernachten müssen. Iancu beschreibt die | |
| Verhältnisse: „Wir haben neben Mülltonnen geschlafen. Und immer musste | |
| jemand wach bleiben, sonst kamen die Ratten.“ | |
| Irgendwann machten sie mit den BauingenieurInnen vor Ort aus, dass diese | |
| die Container auflassen. Dort sei es wärmer und sicherer gewesen, aber auch | |
| immer viel zu voll. „Wir waren so viele Menschen, dass das Kondenswasser | |
| von der Decke auf uns tropfte, während wir geschlafen haben.“ Ob von der | |
| Bauleitung jemals Schlafplätze versprochen wurden? Anwalt Kunz sagt, | |
| darüber gebe es widersprüchliche Aussagen. Aber auch wenn nicht: Ohne | |
| Bezahlung konnten sich die Rumänen in Berlin nicht selbst unterhalten. Sie | |
| waren auf Spenden angewiesen. | |
| Die kamen zum Glück auch. „Viele Anwohner haben uns geholfen, als sie von | |
| unserer Situation erfahren haben. Sie haben uns Essen gebracht und mit uns | |
| demonstriert. Ich dachte vorher: Für Deutsche sind Rumänen automatisch | |
| Eindringlinge.“ Deswegen mag Iancu Deutschland, trotz seiner unangenehmen | |
| Erfahrungen: Er ist überrascht, wie gastfreundlich und solidarisch sich die | |
| BerlinerInnen zeigen. | |
| Iancu will den Prozess vor dem Arbeitsgericht durchstehen, möchte zumindest | |
| bis zum Ende der Verhandlungen hier in Berlin Arbeit finden. Momentan ist | |
| er in einer linken WG untergebracht, die ihm die Basisgewerkschaft Freie | |
| Arbeiter und Arbeiterinnen Union (FAU) vermittelt hat. Damit hat er Glück | |
| gehabt: Ein anderer rumänischer Kläger in diesem Prozess lebt auf der | |
| Straße. | |
| Ohne die FAU wären die Arbeiter wahrscheinlich gar nicht so weit gekommen. | |
| Vorher hatten sie sich an den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gewendet. | |
| Dort erhielten sie die Adresse einer Kirche, die ihnen Essen gab. | |
| Rechtsbeistand gab es jedoch keinen. Erst danach entstand der Kontakt zur | |
| FAU. Die linksradikale Gewerkschaft hat die Rumänen an die Kanzlei Stähle | |
| verwiesen und außerdem einen ehrenamtlichen Dolmetscher zur Verfügung | |
| gestellt. Das sind die prozessualen Hürden, von denen Kunz spricht. | |
| ## Alles wird geleugnet | |
| Zu den Erfolgsaussichten äußert sich Iancu sehr skeptisch. Er denkt nicht, | |
| dass sie gewinnen können. „Dafür sind die Unternehmen zu mächtig.“ Aktue… | |
| sieht es so aus, als hätten sich diese dafür entschieden, alles zu leugnen. | |
| Rechtsanwalt Kunz: „Die Openmallmaster GmbH bestreitet alles. Sie | |
| bestreiten sogar, dass die Leute dort gearbeitet haben. Die sagen: Die | |
| hatten nur einen Arbeitnehmer, das war der Bauleiter. Und sonst habe es | |
| keine Arbeitnehmer gegeben.“ | |
| Das klingt absurd, auch für ihn. Aber: Natürlich machen sie es dem Anwalt | |
| dadurch schwierig, etwas zu beweisen. Das gesamte Verfahren stützt sich auf | |
| Zeugenaussagen. Unterlagen fehlen, Arbeitsverträge und Baustellenausweise | |
| gibt es nicht. Viele ArbeiterInnen geben außerdem an, von den Unternehmen | |
| körperlich bedroht worden zu sein. Kunz bezweifelt deshalb, dass alle | |
| wahrheitsgemäß vor Gericht aussagen. Für eine Stellungnahme waren die | |
| genannten Unternehmen nicht zu erreichen. | |
| Elvis Iancu wirkt skeptisch, müde, angestrengt. Aber auch: stolz. Keine | |
| Verzweiflung oder Trauer zeichnen sich in seinem Gesicht ab, nur Wut, | |
| Aggression, ein starkes Empfinden von Ungerechtigkeit. Und Ungläubigkeit: | |
| „Ich hätte nie gedacht, dass so was hier passieren kann. Mitten in Berlin.“ | |
| 5 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Emminghaus | |
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