# taz.de -- Gewerkschaften und Minijobs: Lebenshilfe für Lebenshilfe | |
> Ein Mitarbeiter wird von der Lebenshilfe in Frankfurt am Main gekündigt. | |
> Angeblich weil er sich gewerkschaftlich engagiert habe. | |
Bild: Integrative Wohnstätten und Naturkitas – die Lebenshilfe genießt eine… | |
In der Regel sind es positive Meldungen, mit denen die Lebenshilfe von sich | |
reden macht. Hier eröffnet sie eine neue integrative Wohnstätte, dort plant | |
sie eine Naturkita für Kinder mit und ohne Behinderung. Die Lebenshilfe | |
gehört zu den Guten. | |
Doch nicht alles scheint innen ebenso glänzend zu sein, wie es nach außen | |
wirkt. Gerade wurde einem Mitarbeiter, der dort als Minijobber beschäftigt | |
war, gekündigt. Wegen seines gewerkschaftlichen Engagements, wie der | |
Betroffene Paul sagt. | |
Der Student arbeitete mehrere Jahre in der Ambulanten Familienhilfe der | |
Lebenshilfe in Frankfurt. Dort betreute er zuletzt zwei Kinder mit | |
Behinderung. Eine erfüllende und anspruchsvolle Aufgabe. Dafür bekam er 9 | |
Euro in der Stunde. „Zu wenig für diesen Job“, sagt Paul, der seinen | |
richtigen Namen aus Furcht vor Repressionen nicht nennen will. Außerdem | |
könne er von den 450 Euro, die sein Minijob insgesamt einbringt, in der | |
teuren Stadt Frankfurt am Main nicht leben. Paul ist Student. | |
Darüber hinaus beklagt er, dass es bei der Lebenshilfe keinen Tarifvertrag | |
gebe und die Gehälter an die Vereinbarungen des öffentlichen Dienstes | |
angelehnt seien. | |
## Krankschreibung schon am ersten Tag | |
Auch die Arbeitsbedingungen seien nicht die besten. Im Gegensatz zu den | |
regulär Angestellten müssten die Mini-Jobber in er ambulanten Versorgung | |
bereits am ersten Tag einer Krankheit ein Attest vorlegen. Beschäftigte mit | |
einem „normalen“ Arbeitsvertrag erst am dritten Krankheitstag. Weil er mit | |
all diesen Bedingungen nicht einverstanden sind, gründeten Paul und andere | |
unzufriedene Beschäftigte der Lebenshilfe die betriebsinterne „Initiative | |
Lohnerhöhung und Arbeitsbedingungen“. Doch damit die Mitglieder stießen bei | |
der Lebenshilfe nicht auf offenen Ohren. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass die bundesweit aktive Lebenshilfe in die | |
Kritik gerät. In Berlin beispielsweise gab es jahrelang | |
Auseinandersetzungen um Löhne. So sollten 2008 kurzerhand die Löhne der | |
Nachtwachen in Behinderten-WGs um die Hälfte gekürzt werden. | |
Die aktuell unzufriedenen MitarbeiterInnen in Frankfurt am Main beschlossen | |
irgendwann, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Von der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fühlten sie sich allerdings im Stich | |
gelassen, zumindest reagierte dort „wochenlang niemand“, wie Paul sagte. | |
Also schlossen sich die 15 Gewerkschaftsaktiven der 60 Personen starken | |
Lebenshilfe der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter-Union an, kurz FAU. | |
Die „anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsföderation“, wie sich die FAU | |
selbst nennt, ist bekannt dafür, schon mal Belange aufzugreifen, die es bei | |
den klassischen Gewerkschaften schwer haben. In Berlin vertrat sie unter | |
anderen rumänische Baustellenarbeiter. Bekannt ist die FAU aber auch für | |
ihre mitunter erbitterten Arbeitskämpfe. | |
## „Ich war ein Dorn im Auge“ | |
So belagerte sie regelrecht monatelang die Grünen-nahe | |
Heinrich-Böll-Stiftung, wo die FAU unter anderem mehr Geld für freie | |
MitarbeiterInnen herausholen wollte, die auf Zuruf Konferenzräume | |
bestuhlen. | |
Ende August wurde Paul von der Lebenshilfe gekündigt. „Weil ich mich in der | |
Gewerkschaftsgruppe engagiert habe“, glaubt er: „Ich war ein Dorn im Auge | |
des Geschäftsführers.“ | |
Das streitet die Lebenshilfe Frankfurt ab. Mitarbeiter Paul sei aufgrund | |
eines „gravierenden individuellen Fehlverhaltens, welches in keinem | |
Zusammenhang mit seiner gewerkschaftlichen Betätigung steht“ entlassen | |
worden, erklärte Geschäftsführer Volker Liedtke-Bösl gegenüber der taz. | |
Mehr könne er aufgrund des Datenschutzes nicht sagen. | |
## Lebenshilfe: Stundenlon wurde schon angehoben | |
Gegen gewerkschaftliches Engagement habe er nichts, betonte Liedtke-Bösl. | |
Im Gegenteil: Bei Betriebsversammlungen fordere man die MitarbeiterInnen | |
immer wieder auf, sich gewerkschaftlich zu engagieren. „Gewerkschaften und | |
Arbeitgeber können nur gemeinsam in der Sozialwirtschaft mittelfristig | |
höhere Entgelte durchsetzen“, meinte Liedtke-Bösl. | |
Auf die Lohnforderungen der FAU indes sei die Lebenshilfe nicht | |
eingegangen, da MitarbeiterInnen bereits nach einem Tarifvertrag des | |
öffentlichen Dienstes bezahlt würden und deshalb kein weiterer | |
Haustarifvertrag nötig sei. Unabhängig davon sei erst zu Beginn dieses | |
Jahres der Stundenlohn der Minijobber von 8,50 auf 9 Euro angehoben worden. | |
Minijobber Paul hat trotzdem gegen die Lebenshilfe geklagt: auf | |
Wiedereinstellung. | |
2 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Alina Leimbach | |
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