# taz.de -- Sprung in den Ersten Arbeitsmarkt: Raus aus der Werkstatt | |
> Der erste Durchgang einer neuen Qualifizierung für behinderte Menschen | |
> eröffnet sechs BremerInnen den Weg in den regulären Arbeitsmarkt. | |
Bild: Ein ganz normaler Arbeitsplatz – auch für Menschen mit Behinderungen | |
Zum ersten Mal haben in Bremen Menschen mit Behinderung eine anerkannte und | |
bundesweit neue berufliche Qualifikation erworben. Sechs der acht | |
TeilnehmerInnen, die im Februar 2014 mit der Maßnahme im Bereich | |
Hauswirtschaft gestartet waren, haben am gestrigen Dienstag ihre | |
Abschlusszertifikate erhalten. | |
Das Besondere daran: Es handelt sich dabei nicht um Bescheinigungen über | |
Maßnahmen, die innerhalb einer Behindertenwerkstatt absolviert wurden, | |
sondern um eine von der Handwerkskammer geprüfte und nach dem | |
Berufsbildungsgesetz (BBiG) anerkannte Qualifizierung. Die beinhaltet einen | |
praktischen Ausbildungsteil in einem externen Betrieb und den Besuch einer | |
Berufsschule. Die erworbenen Kenntnisse gelten bundesweit als Basis für | |
eine Anstellung oder für Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten auf dem | |
regulären Arbeitsmarkt. | |
Initiiert wurde die Qualifizierung vom Bildungs- und Beschäftigungsträger | |
Werkstatt Bremen/Martinshof, der Finanzsenatorin und der Bremer | |
Heimstiftung. Die war auch der Arbeitsort der Azubis: Fertigkeiten wie | |
Kochen, Service, Textilpflege und Raumgestaltung standen dort auf dem | |
praktischen Ausbildungsplan. Theoretischen Unterricht bekamen die Lehrlinge | |
zweimal pro Woche im Schulzentrum Neustadt und beim Martinshof. | |
Monika Böttjer, Projektleiterin der Heimstiftung, betonte anlässlich der | |
Zertifikatsübergabe, dass die Azubis „an der ganz normalen Berufsschule | |
ohne Unterschiede beschult worden sind“. Dennoch: Teil der regulären | |
Berufsschulklassen waren sie nicht, lediglich den Schulhof haben sich die | |
Azubis mit den nicht-behinderten BerufsschülerInnen geteilt. Das könne sich | |
aber künftig durchaus ändern, sagt Martinshof-Mitarbeiterin Karen | |
Rohlf-Grimm: „Auch für uns war das ja erst einmal Neuland.“ | |
In der praktischen Arbeit in den Altenheimen der Heimstiftung gab es | |
hingegen keine „geschützten Räume“ – und die waren offenbar auch nicht | |
nötig: Die Arbeit, sagten alle TeilnehmerInnen, habe viel Spaß gemacht, | |
aber auch das Arbeitsumfeld hat Eindruck hinterlassen: Vor allem die Arbeit | |
mit dementen Menschen sei interessant gewesen, erzählt eine der Azubis: | |
„Auch in der Schule haben wir viel darüber gelernt. Das fand ich spannend.“ | |
Für die meisten AbsolventInnen ist nach der Ausbildung „gemäß Paragraph | |
neun BBiG über den Erwerb von hauswirtschaftlichen Kompetenzen (...) | |
zugeordnet dem Niveau 2 im deutschen und europäischen Qualifikationsrahmen“ | |
aber erst einmal Schluss mit Lernen: Einer absolviert momentan ein | |
Praktikum und drei von ihnen werden übergangslos bei der Bremer | |
Heimstiftung beschäftigt, allerdings vorerst noch immer teilweise unter dem | |
Dach der Werkstatt Bremen: „Sie haben allerdings die Option, in zwei Jahren | |
übernommen zu werden, also voll sozialversicherungspflichtig dort arbeiten | |
zu können“, sagt Rohlf-Grimm. Zwei der AbsolventInnen wollen weiterlernen | |
und im September die Ausbildung „FachpraktikerIn in der Hauswirtschaft“ | |
beginnen. | |
Um künftigen Azubis auch außerhalb der Heimstiftung Ausbildungsplätze | |
bieten zu können, führt der Martinshof bereits Kooperationsgespräche mit | |
weiteren Betrieben. Einer davon ist die Bremische Evangelische Kirche | |
(BEK), in deren Kitas vielleicht schon ab dem kommenden August | |
TeilnehmerInnen ihren Praxisteil absolvieren können. | |
Das Spektrum der Ausbildungsmöglichkeiten ist bereits vergrößert worden: Im | |
vergangenen Jahr ist eine Qualifikation im Bereich Lagerlogistik gestartet. | |
Drei TeilnehmerInnen haben bereits das erste Modul dieser Ausbildung | |
bestanden. | |
15 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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