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# taz.de -- Die Christlich-Soziale Union: Kunst des Scheiterns perfektioniert
> Die CSU erlebt im Bund gerade ein Fiasko nach dem anderen. Aber die
> Partei beflügelt das. Ein Exkurs in die bayerische Logik.
Bild: Mit Horst Seehofer (r.): So macht man in Bayern Politik
München taz | Bestens? Hat der Mann wirklich „bestens“ gesagt? Ja, es ist
diese Vokabel, die Horst Seehofer wählt, als er am Rande der
Kabinettsklausur in St. Quirin auf die neuen Nachrichten aus Karlsruhe
angesprochen wird. Wie es denn nun um die Durchschlagskraft der CSU
bestellt sei, wo das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt
habe, wird er gefragt. Und antwortet: Bestens. Man kann das eine
Übertreibung nennen, man kann es aber auch für einen Fall von
Realitätsverlust halten. Oder einfach nur für Chuzpe.
Fassen wir noch einmal zusammen: Das Betreuungsgeld ist nicht irgendeine
politische Maßnahme, es war das Herzstück des Bundestagswahlkampfs der CSU
im Jahr 2009 – den Koalitionspartnern später mühsam abgetrotzt. Dieses
Betreuungsgeld erklärten die Verfassungshüter nun für verfassungswidrig.
Damit ist die Trilogie der großen CSU-Misserfolge der letzten Monate
komplett: Maut, Stromtrassen, Betreuungsgeld.
Denn gerade mal fünf Wochen ist es her, dass Verkehrsminister Alexander
Dobrindt seine Pkw-Maut auf Eis legen musste, weil die EU die Einleitung
eines Vertragsverletzungsverfahrens angekündigt hatte. Vor wenigen Tagen
präsentierte auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sein
Gutachten, laut dem die Maut gegen EU-Recht verstößt.
Und dann war da noch der bayerische Rückschlag in der Energiewende: Anfang
des Monats musste die CSU ihren Widerstand gegen die zwei neuen
Stromtrassen aufgeben und stand mit ihrer vollmundigen Ankündigung, in
jedem Fall nur einer Variante mit weniger als zwei Trassen zuzustimmen,
recht blamiert da.
Nun steht die Partei vor ihrem Scherbenhaufen und muss für den Spott nicht
sorgen. Man kann es nicht anders sagen: Die Partei macht derzeit auf
Bundesebene keine gute Figur. Auch das christsoziale Personal in Berlin ist
nicht gerade dazu prädestiniert, der eigenen Partei besonderes Profil zu
verleihen: Der Großen Koalition geschuldet, stellt die CSU nur drei
Bundesminister – und nicht die bedeutendsten.
## CSU-untypisch: differenzierte Äußerungen
Neben Dobrindt sind das Christian Schmidt und Gerd Müller. Bei Schmidt, dem
„unsichtbaren Landwirtschaftsminister“ (FAZ), wissen nicht einmal die
Bauern, woran sie sind. Und Müller fällt zwar ganz CSU-untypisch immer mal
mit differenzierten Äußerungen auf, hat jedoch mit dem
Entwicklungshilfeministerium einen Wirkungsort, an dem man in der
öffentlichen Wahrnehmung nur in Maßen punkten kann – selbst wenn der
Vorgänger Dirk Niebel heißt.
„Natürlich hat es die CSU momentan schwer, sich auf Bundesebene zu
profilieren“, sagt auch Ursula Münch, Direktorin der Akademie für
Politische Bildung in Tutzing. „Wäre es ihr gelungen, nach der Wahl das
Innenministerium zu behalten, wäre die Situation eine andere.“ Der Bund sei
schließlich ein „Resonanzboden, den die Partei braucht und will“. Auch
Gerda Hasselfeldt, die als Landesgruppenchefin ihre Kollegen in Berlin
sicher führt, ist nicht dafür geschaffen, diesen Resonanzboden in
Schwingung zu bringen.
Nun wäre es in der Tat einfach, die Bayern in Berlin schlicht
abzuschreiben. Doch wer annimmt, die CSU hätte sich nun aus der
Bundespolitik verabschiedet, geht von falschen Voraussetzungen aus. Denn
über das Schicksal der Partei wird fast ausschließlich in Bayern
entschieden, und das nicht nur, wenn es um Landespolitik geht. Nur hier
steht die CSU zur Wahl, und hier schafft sie es seit Jahrzehnten
erfolgreich, sich als bundespolitische Opposition zu inszenieren – selbst
wenn sie mit auf der Regierungsbank sitzt.
## Scheitern zum Sieg ummünzen
Wir Bayern gegen den Rest der Welt, heißt dann das schlichte Motto.
Einerlei ob der Rest der Welt nun in Brüssel, Luxemburg, Karlsruhe oder
eben Berlin sitzt. Und das Wesen einer Opposition ist es nun mal, dass ihre
Vorhaben regelmäßig am Wider- und Unverstand der anderen scheitern.
Die CSU beherrscht die Kunst des Scheiterns perfekt – zumindest eine
besondere Spielart davon. Es gibt Menschen, auch Politiker, die lernen aus
ihren Fehlern, gestehen sie ein, wachsen an ihnen. Sie rappeln sich wieder
auf und finden im besten Fall zu neuer Größe. Das freilich ist nicht die
Art, wie man in der CSU mit Niederlagen umgeht. Hier versteht man es dafür
umso besser, das Scheitern zum Sieg umzumünzen. Das kommt zwar weniger
sympathisch rüber, ist aber ungemein effektiv. Was dabei zählt, ist nicht
die Logik der Argumentation, sondern die Bereitschaft des bayerischen
Wahlvolks, ihr zu folgen.
Und das Volk folgt in der Regel. So zeichnet es sich auch jetzt schon
wieder ab, dass die CSU die Niederlagen erfolgreich umdeutet: Die zwei
Stromtrassen hat man eben doch verhindert, weil sie jetzt größtenteils
unterirdisch verlaufen und daher weniger monströs seien. Und das
Bundesverfassungsgericht habe schließlich gar nicht über das Betreuungsgeld
als solches, sondern lediglich über die Zuständigkeit des Bundes geurteilt.
Positiver Nebeneffekt für die CSU: Über das Thema Familienpolitik wird nun
erneut gestritten – eine Gelegenheit für die Partei, den Wählern ihre
Position in Erinnerung zu rufen.
## Der großen Schwester drohen
Dabei sind es gar nicht die Themen, um die es geht, es ist das Prinzip.
Natürlich ist der Slogan von der „Wahlfreiheit“ Unsinn. Natürlich fällt …
schwer, sich Eltern vorzustellen, die wegen der 150 Euro Betreuungsgeld auf
einen Job verzichten können und ohne sie gezwungen wären, ihr Kind in
Fremdbetreuung zu geben. Und auch die Pkw-Maut ist kein Thema, das die
Wähler im Innersten berührt. „Es geht gar nicht so sehr um das Geld“, so
Politikwissenschaftlerin Münch, „sondern darum, den besonderen Status
herauszukehren: Seht her, wir haben andere Rezepte und machen nicht alles
mit.“
Und selbstverständlich weiß auch die CDU und besonders ihre Vorsitzende
Angela Merkel um die Bedeutung des bayerischen Wählers. Alle vier Jahre
trägt der schließlich einen nicht unerheblichen Anteil zu den Stimmen der
Union bei. Natürlich, sagt Münch, gebe es auch in der CDU einige, die jetzt
aufatmen würden, da sie die Wörter „Betreuungsgeld“ und „Maut“ längs…
nicht mehr hätten hören können. „Aber die Kanzlerin wäre töricht, wenn s…
die vermeintliche Überlegenheit ausspielen würde.“
Dass die CSU in Berlin auch weiterhin ihre Lieblingsrolle der
innerkoalitionären Opposition zu spielen gedenkt, machte Seehofer denn auch
gleich in dieser Woche klar – und drohte der großen Schwester mit einem
Nein zur Erbschaftsteuerreform. Für den Fall, dass Wolfgang Schäuble nicht
zu wesentlichen Änderungen seines Gesetzentwurfs bereit sei, so hieß es,
habe Seehofer die Order an die CSU-Bundestagsabgeordneten ausgegeben, nicht
zuzustimmen. Ein kleinlauter Juniorpartner sieht anders aus.
## Applaus vom Pegida-Mitbegründer
Auch mit Blick auf die Wähler treibt Seehofer längst eine neue Sau durchs
Dorf. Stichwort: Asylmissbrauch. Betonung auf: Missbrauch. Mit
Stimmungsmache nach Art der frühen Neunziger reagiert der CSU-Chef auf die
hohe Zahl der Flüchtlinge aus dem Balkan. Ob das Spiel mit dem Streichholz
in diesem Fall jedoch aufgeht, ist fraglich. Den größten Applaus bekam
Seehofer in dieser Woche ausgerechnet von Pegida-Mitbegründer Lutz
Bachmann.
Aber auch für den Fall, dass das Volk nach bedächtigeren Worten verlangt,
ist der Landesvater gerüstet. Am Mittwoch gab es im Landtag schon einmal
einen Vorgeschmack darauf. Bei der letzten Sitzung vor der Sommerpause
verteidigte Seehofer seine Haltung zum Thema Flüchtlinge, betonte aber auch
die Wichtigkeit von Integration, Humanität und Solidarität.
Am Ende war selbst die Opposition voll des Lobs. SPD-Fraktionschef Markus
Rinderspacher sprach sogar von einer „staatstragenden, fast
landesväterlichen Rede“ des Ministerpräsidenten. Mit einer solchen
Opposition hat man es freilich nicht schwer.
25 Jul 2015
## AUTOREN
Dominik Baur
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